Bad Fredeburg. Die Cannabis-Legalisierung ist fast da. Richter Ralf Fischer vom Amtsgericht Schmallenberg über das Gesetz und die Probleme, die kommen werden.

In diesem Jahr wird es wohl nicht mehr kommen, das Gesetz zur Legalisierung von Cannabis, doch im nächsten Jahr ist es so weit.

Der Gesetzesentwurf sieht dabei zum Beispiel folgende Dinge vor: Cannabis darf in so genannten Cannabis-Clubs für den nicht-gewerblichen Vertrieb angebaut werden, volljährige Personen, bei denen keine Minderjährigen im Haushalt leben, dürfen drei Cannabispflanzen zum Eigenbedarf haben. Der Besitz von 24 Gramm Cannabis ist dann legal, allerdings darf im Umkreis von 200 Metern um Schulen, Kindergärten und öffentliche Einrichtungen nicht „gekifft“ werden.

Doch was bedeutet das in der Rechtssprechung? Welche Veränderungen gibt es vor Gericht? Und welche Herausforderungen bringt das neue Gesetz mit sich? Diese und weitere Fragen beantwortet Ralf Fischer. Er ist Direktor des Amtsgerichts Schmallenberg.

„Dieses Gesetz ist mit der schnellen Nadel gestrickt“

Ralf Fischer ist Direktor des Amtsgerichts Schmallenberg in Bad Fredeburg.
Ralf Fischer ist Direktor des Amtsgerichts Schmallenberg in Bad Fredeburg. © Archiv

Herr Fischer, was ist Ihre Meinung zum Gesetzesentwurf zur Legalisierung von Cannabis?

Ganz persönlich muss ich sagen: Für mich ist das ein sehr irrationales, handwerklich schlechtes Gesetz. Das ist meine persönliche, private Meinung. Dieses Gesetz ist mit der schnellen Nadel gestrickt und wird zu einer weiteren, unglaublichen Arbeitsbelastung, gerade bei der Polizei, führen. Als Privatmann glaube ich, dass hier die unterschiedlichsten Interessen massiv aufeinandergestoßen sind.

Man hat festgestellt, dass es ist sehr schwierig ist, ein solches Gesetz in vernünftige Bahnen zu lenken – wollte es aber unbedingt. Und dann sind diese Regeln dabei rausgekommen, die dazu führen, dass der legale Konsum von Cannabis sehr kompliziert sein wird. Man hat einfach Grauzonen geschaffen, die eine Wahnsinnsbelastung mit sich bringen werden. Bereits die Begründung, warum man das Gesetz macht, zeigt, dass man dann eigentlich alle Drogen freigeben müsste. Denn auch bei Amphetaminen und Heroin wird mit dem Konsum gegen das Gesetz verstoßen.

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Cannabis ist keine harmlose Droge

Cannabis gilt allerdings nicht als so gefährliche Droge wie viele andere Rauschgifte. Welche Rolle spielt Cannabis jetzt in der Rechtsprechung?

Wenn ich das aus der Praxis sehe, dann ist da sehr viel Verkennung von Tatsachen. Denn in der Praxis ist es nicht mehr so wie manche vielleicht mit verklärtem Blick sehen, wie damals in Woodstock und der Hippie-Zeit. Es ist nicht mehr so, dass Cannabis eine harmlose Droge ist. Der THC-Gehalt hat sich nachweislich in den letzten Jahren vervielfacht. Das heißt, das ist in meinen Augen nicht mehr als harmlose Droge anzusehen.

Und das wirkt sich sowohl in Strafsachen aus als auch im Bereich der Unterbringung nach PsychKG [Anm. d. Red.: Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten] und Betreuungsrecht. Da ich viel im richterlichen Eildienst unterwegs bin, kann ich sagen, dass ich subjektiv feststelle, dass fast die Hälfte aller Unterbringungen irgendwie mit Drogenmissbrauch zusammenhängen. Allein in diesem Jahr hatte ich aber auch in Strafverfahren beim Amtsgericht Schmallenberg zwei Personen, die durchaus schwere Straftaten begangen haben, aber beide sind vom Psychiater, unter anderem wegen drogeninduzierter Psychose, schuldunfähig geschrieben worden.

Das endet unter Umständen in einer dauerhaften Unterbringung in der Psychiatrie. Und auch die, die nicht in geschlossener Unterbringung landen, müssen teure Therapien auf Kosten des Steuerzahlers machen. Und wenn Kinder oder Jugendliche, bei denen das Gehirn noch nicht voll entwickelt ist, diese Drogen nehmen, kann das lebenslange, massivste negative Auswirkungen haben.

Die Probleme mit der Kontrolle

Wie meinen Sie das: Was an dem Gesetz ist nicht praktikabel?

Wie will die Polizei denn kontrollieren, ob in einem Haushalt zwei oder drei Pflanzen dem Einen gehören und die anderen Pflanzen den Mitbewohnern? Welchen Aufwand sollen wir denn betreiben? Oder in einem gewissen Abstand von Kindergärten und Schulen soll ja nicht konsumiert werden dürfen. Wie soll das denn kontrolliert werden? Soll die Polizei demnächst mit einem Laserentfernungsmessgerät durch die Gegend laufen und gucken, dass der Konsument nicht zu nah dran steht? Das ist katastrophal. Und die Pflicht, Betäubungsmitteldelikte aufzudecken, die ist ja nicht weg – die ist ja nur dann viel, viel komplizierter.

Dieses Argument, Rauchen sei auch schlecht, funktioniert nicht: Das ist es, aber ich habe noch nie gesehen, dass ein Raucher aufgrund seines Konsums durchdreht, eine Psychose erlebt und im Zweifelsfall schwere Straftaten begeht. Der stirbt schneller, gut, aber das ist seine Freiheit. Alkohol möchte ich nicht verkennen, der ist auch eine sehr gefährliche Droge. Aber der Alkoholiker geht in Haft, wenn er Straftaten begeht – der Drogenabhängige kann Therapie statt Haft machen. Der ist sogar jetzt schon privilegiert.

Illegales oder legales Marihuana?

Was bedeutet das Gesetz für Ihre Rechtsprechung?

Das kann ich noch nicht sagen. Aber die Probleme, die die Polizei hat, werden sich in Einzelfällen auch ins Gericht verlagern. Dann wird es darum gehen: Waren es jetzt 25 Gramm oder doch 27? Ich befürchte, dass die Einsicht, dass man Unrecht getan hat, abnimmt. Man wird das als Formalverstoß ansehen – dann hat man eben ein Gramm mehr dabeigehabt, oder man wusste nicht, dass eine Schule in der Nähe ist. Es wird wahrscheinlich zusätzliche Beweisschwierigkeiten geben. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass der Verfolgungsdruck insgesamt abnehmen könnte.

Die Vorstellung, dass auf einmal alle wirklich Abhängigen in irgendeinen Cannabis-Club eintreten, ist völlig daneben. Das wird so sein, dass sie sich nach wie vor illegaler Drogen bedienen von Dealern, die auch mit Amphetaminen und anderen Rauschgiften handeln. Dann hat man im Gerichtsverfahren auch das Problem, einen Unterschied festzustellen, ob es illegales oder legales Marihuana ist. Warum wird der eine nicht bestraft, der das Marihuana teuer im Club gekauft hat, und der andere, der es irgendwo auf der Straße gekauft hat, wo man es nicht nachweisen kann, wird bestraft? Der wird doch sagen, das sei doch das Gleiche. Da stellen sich meines Erachtens nach auch verfassungsrechtliche Fragen.

Inwiefern?

Wenn ich so eine Konstellation habe: Abgesehen von den ganzen Beweisschwierigkeiten wäre es doch verfassungsrechtlich sicherlich nicht in Ordnung, wenn man absolut den gleichen Sachverhalt unterschiedlich beurteilt. Es ist unter Umständen sogar absolut der gleiche Stoff, dann würde man nur den Formalverstoß bestrafen, dass es woanders gekauft wurde. Ob das dann strafwürdig ist und rechtfertigt, mit der harten Keule des Strafrechts zuzuschlagen, ist die nächste Frage. Und der Staat hat ja auch eine gewisse Pflicht, die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu schützen. Für mich sind da ganz, ganz viele Fragen offen.

„Man gewöhnt sich an den Rausch und braucht irgendwann einen neuen Kick“

Wie wird aktuell mit Straftaten rund um Cannabis umgegangen? Landet jeder Besitz gleich vor Gericht?

Nein. Wir haben in NRW die Situation, dass gerade Ersttäter, die nur kleinste Mengen zum Eigenkonsum haben, überhaupt nicht verfolgt werden, die Verfahren werden eingestellt. Bei Wiederholungstätern oder wenn es größere Mengen sind, dann wird Anklage erhoben. Im Regelfall geht das mit einer Geldstrafe. Aktuell wird der Schwerpunkt auf größere Mengen und unerlaubtes Handeltreiben gelegt.

Cannabis ist eine Einstiegsdroge – das wird auch in Zukunft so sein. Man gewöhnt sich an den Rausch und braucht irgendwann einen neuen Kick. Also, ich bin ja nicht realitätsblind, es gibt deutlich gefährlichere Drogen – Crystal Meth, Amphetamine, und so. Aber nur weil das eine schlimmer ist, ist ja das weniger Schlimme nicht okay. Und mir als Richter wird die Chance genommen, da einzugreifen. Gerade heranwachsende Ersttäter im Alter von 18 bis 21 Jahren, kann ich bislang Therapiestunden auferlegen, und dann ist das Verfahren erledigt, wenn sie die innerhalb einer gesetzten Frist absolvieren. Aber wenn das vom Kabinett beschlossene Gesetz in Kraft tritt, dann landen die ja gar nicht mehr bei mir, weil es ja dann legal ist.

„Die Sicht des politischen Berlins ist eine völlig andere“

Aber glauben Sie nicht, dass durch die angedachten Cannabis-Clubs der Kontakt zu den Drogenkreisen verringert werden kann?

Ich persönlich denke, dass die Clubs auch zum legalen Ausprobieren motivieren. Aber die, die auch heute schon zu Problemfällen werden, die werden nicht in einen Club gehen, sondern sich weiterhin auf der Straße bedienen. Die stehen dann hier vor Gericht und sagen: „Aber es ist doch jetzt erlaubt!“ Die Sicht des politischen Berlins ist eine völlig andere als die derjenigen, die vor Ort auf der Straße sind. Den Leuten, die so etwas entscheiden, denen hätte ich mal empfohlen, eine Nacht im Polizeigewahrsam mitzulaufen und sich das anzuschauen oder mal in die Psychiatrien zu gehen.

Ich weiß auch, dass es Kriminalbeamte gibt, die sagen, dass man sich auf die harten Drogen konzentrieren muss. Das ist eine politische Entscheidung, die will ich nicht treffen. Aber das zu verharmlosen und dieses chaotische Gesetz zu machen, das ist sicher nicht der richtige Weg. Lange Rede kurzer Sinn: Ich halte erstens diese Legalisierung in dieser Art und Weise, wie sie gemacht ist, für ein katastrophales Gesetz, weil es nicht praktikabel ist, und Zweitens auch für medizinisch völlig verfehlt.