Bad Fredeburg. Alina Lange, Psychologin aus Bad Fredeburg, erklärt, wie stark Ängste das Leben beeinflussen und was Betroffene selbst tun können.
Geflüchtete Menschen müssen sich in einem fremden Land zurechtfinden, nachdem sie alles, was sie sich aufgebaut haben, zurücklassen mussten. Gleichzeitig belasten Kriegserfahrungen und Sorgen um Familie den Alltag. Wie das aus Expertensicht zu beurteilen ist, erklärt Alina Lange, Psychologin an den Johannesbad-Kliniken in Bad Fredeburg.
Mann und Sohn zu verlieren - gibt es Strategien, wie man mit so einer Angst leben kann?
Leider haben viele Millionen Menschen gar keine andere Wahl, als mit dieser Angst zu leben. Wichtig erscheint mir, dass Frau Pryleipska in ihrem Alltag besonders gut auf ihre Tochter und sich achtgibt. Das bedeutet zum Beispiel, gut für den eigenen Körper zu sorgen, das heißt Sport zu treiben, ausreichend Trinken, eine Struktur im Alltag zu haben, sich Ausgleichsmomente und Wohlfühlorte zu schaffen. Gerade wenn die Angst ein täglicher Begleiter ist, ist es besonders wichtig, dass angenehme Gefühle, wie Freude und Wohlempfinden, nicht zu kurz kommen und ich regelmäßig Momente erlebe, in denen ich einfach mal über ein ganz anderes Thema nachdenken darf.
Wie sehr können diese Ängste das tägliche Leben beeinflussen?
Ängste können mit einer Vielzahl von Symptomen einhergehen. So z.B. mit vegetativen Symptome wie Herzklopfen, Zittern, Schwitzen, aber auch Atembeschwerden oder Beklemmungsgefühlen in der Brust, Übelkeit, Schwindelgefühlen, Muskelverspannungen, innere Unruhe, Konzentrations- oder Einschlafschwierigkeiten, um nur ein paar zu nennen. Aus evolutionärer Perspektive betrachtet, ist Angst jedoch zunächst einmal etwas Positives, denn sie ist dafür da uns zu schützen. Wenn wir oder uns nahestehende Personen in Gefahr sind, wird unser Körper durch das „Warnlämpchen“ Angst in Alarmbereitschaft versetzt und es wird Energie für die Körperteile bereitgestellt, die ich brauche, um mich im Ernstfall zu verteidigen oder zu flüchten.
Bereits seit 2014 gab es Vorzeichen in der Region. Ein Dauerstress für Psyche und Körper - wie kann sich das äußern?
Langanhaltende Stressereignisse können dazu beitragen, dass die Vulnerabilität, also Verletzlichkeit eines Menschen steigt. Eine Person, deren Vulnerabilität erhöht ist, nimmt auch kleinere Stressereignisse wie einen Streit oder eine Tasse fällt auf den Boden sehr viel stärker wahr, erlebt schneller hohe Anspannung und reagiert schneller ängstlich oder auch wütend.
Wie können Menschen das Erlebte - auch die Kriegserfahrung - verarbeiten?
Verarbeitung kann z.B. damit beginnen, über das Erlebte mit anderen Menschen zu sprechen. Ich finde es übrigens sehr mutig, dies auch in der Öffentlichkeit zu tun und so auch andere Menschen für das Thema zu sensibilisieren. Wenn wir so schreckliche, lebensbedrohliche Ereignisse, wie Nataliia Pryliepska und ihre Familie erlebt haben, passiert es manchmal, dass es unserem Gehirn schwerfällt, das Erlebte alleine zu verarbeiten. Das kann dann z.B. mit wiederkehrenden Albträumen oder wiederkehrende Bilder im Kopf über das Erlebte einhergehen. Wenn ich merke, dass mich dies in meinem Alltag belastet oder einschränkt, ist es sinnvoll, sich professionelle Hilfe zu suchen.
Ablenkung durch Arbeit hilft Nataliia Pryliepska laut eigener Aussage - ist das eine empfehlenswerte Strategie?
Neben Ablenkung, kann Arbeit weitere positive Effekte haben. So bietet sie eine Struktur und Aufgabe im Alltag, sie gibt Sicherheit - auch finanzieller Natur - und ich kann dort positive Gefühle erleben, z.B. durch Wertschätzung, die ich durch Kunden, Kollegen und Vorgesetzte erhalten. Das sind Dinge, die Nataliia Pryliepska in ihrer Heimat und auf der Flucht vermutlich zuletzt eher selten erleben durfte. Grundsätzlich kann Arbeit im Zusammenspiel mit regelmäßigen Ausgleichsaktivitäten also hilfreich sein. Ich darf meinen Ängsten, aber auch einen Raum geben. Sich ausschließlich abzulenken oder zu versuchen, die Ängste zu verdrängen, kann dazu führen, dass sie umso stärker zurückkommen. Ein bisschen, wie ein Wasserball, den ich unter Wasser drücke und der herausgeschossen kommt, wenn ich ihn loslasse.