Meschede. Sexualisierte Gewalt trifft alle Frauen. Wie sie sich wehren, wo sie im HSK Hilfe finden und was Polizistin Julia Henneböle von Catacalling hält.
Julia Henneböle ist bei der Kreispolizeibehörde seit 2022 die Fachfrau für Kriminalprävention und Opferschutz. Mehr als sieben Jahre war sie zuvor im Hochsauerlandkreis zuständig für Sexualdelikte. Die Kriminalhauptkommissarin kennt die Vorurteile und Fakten rund um die Themen sexuelle Beleidigung, Nötigung und Vergewaltigung und weiß, wie wichtig Aufklärung ist - gerade auch die der Frauen.
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Sie sagen, Frauen kennen Ihre Rechte zu wenig, wenn es um Sexualstraftaten geht?
Ja, leider. Beispielsweise wissen viele immer noch nicht, dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist. Nein heißt Nein - und man muss nicht alles mitmachen, was einem unangenehm ist, nur weil es vielleicht gerade in irgendwelchen Filmen angesagt ist. Das merke ich bestürzenderweise oft in der Präventionsarbeit besonders bei jungen Frauen, die sich nicht trauen, bestimmte Sexualpraktiken abzulehnen, weil sie denken, das gehöre zu ihren Pflichten. Aber besonders ist mir das aufgefallen, als ich einer Prostituierten erklären musste, dass auch sie das Recht hat, Nein zu sagen.
Du dumme Hure, geiler Hintern…- sind solche Sprüche als sexuelle Beleidigung schon strafbar?
Das kommt immer auf den Kontext an. Wer sagte das? Bei welcher Gelegenheit? Aber „Du dumme Hure“ ist sicher eine Beleidigung, den „geilen Hintern“ in einer Paarbeziehung zu nennen, kann ja - wenn beide das so sehen - durchaus ok sein. In einer toxischen Beziehung können solche Sprüche aber auch eine Art sein, die Partnerin kleinzuhalten. Am Arbeitsplatz haben sie ganz klar nichts zu suchen, aber auch schon Worte, die nicht so drastisch klingen, wie Kleine, Süße oder Schätzchen.
Und wie sollen Frauen da reagieren?
Grundsätzlich sollte man aufpassen, dass Grenzverletzungen immer klar als solche benannt werden. Dabei geht es auch darum, dass das Gegenüber sein Verhalten überdenken kann. Ich bin nicht „das Mädchen“, irgendwelcher Kollegen. Das sollte man sachlich klarstellen. Allerdings rate ich dazu, manchen Spruch zu ignorieren, wenn man abends allein unterwegs ist - damit sich keine Aggressionen aufschaukeln.
Was ist wenn die Hand eines fremden Mannes bei einer Party oder im Job auf der Brust einer Frau oder auf dem Po landet - kann dieses übergriffige Verhalten schon zur Anzeige gebracht werden und würden Sie dazu raten?
Da würde ich immer eine Strafanzeige stellen. In meinen Augen gibt es keinen Grund, warum ein fremder Mann absichtlich einer Frau an die Brust oder an den Po fassen sollte. Eine solche Respektlosigkeit würde ich mir nicht gefallen lassen. Und das gilt natürlich auch umgekehrt: Eine Frau darf einem Mann auch nicht einfach in den Schritt fassen.
Frauen werden nicht vergewaltigt, weil sie einen Minirock tragen, lautet ein Ausstellungsprojekt, das die Kleidung zeigt, die Frauen trugen, als sie vergewaltigt wurden. Was zeigt Ihre Erfahrung?
Das ist schon erstaunlich, wie sich dieses Mythos in den Köpfen hält. Dabei trifft es auch keinen bestimmten Frauentyp. Meist gibt es ein Vorverhältnis. Es handelt sich um Übergriffe im engen und erweiterten sozialen Umfeld. Die Gefahr, auf einen fremden Täter in einem dunklen Wald zu treffen, ist gering. Viel größer ist die Gefahr, Opfer sexueller Gewalt vor, in oder nach einer Beziehung zu werden. Aber natürlich erregt die Fremdtat mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Es gibt aber Fälle, wo Fremdtaten zunehmen, das ist im Internet. Dort können Täter anonym agieren. In der Beziehung wird die Sexualstraftat oft nicht wahrgenommen und Frauen müssen sich sogar noch vor ihrem Umfeld rechtfertigen, was es für sie noch viel schwieriger macht.
Ab wann wird es in den Beziehungen gefährlich?
Meist haben die Frauen schon lange Erniedrigungen hingenommen. Oft beginnt es mit der Überwachung durch den Partner, mit dem Verbot, das eigene Geld auszugeben oder Verabredungen einzugehen. Ich sage da ganz klar: Es hat in der Regel nichts mit Romantik zu tun, wenn man immer von der Arbeit abgeholt wird. Auch da geht es um Kontrolle.
Wie können sich Frauen schützen?
Prävention ist wichtig. Wir müssen Mädchen und Frauen in ihrem Selbstwert stärken. Je mehr ich mich selbst schätze, desto eher bin ich bereit Grenzen zu setzen.
Und wenn man Hilfe braucht?
Findet man kompetente Ansprechpartnerinnen in den vielfältigen und guten Beratungsstellen im Kreis oder, wenn man sich nicht dorthin traut, beim Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen unter der Nummer 116016. Dort gibt es Beratung anonym, kostenfrei, rund um die Uhr und in mindestens 18 Sprachen. Wichtig ist mir auch, darauf hinzuweisen, dass es möglich ist, Spuren nach einer Misshandlung oder einer sexuellen Straftat im Karolinen Hospital in Hüsten oder im Marienkrankenhaus in Brilon anonym zu sichern. Dort bleiben beispielsweise Abstriche oder Fotos von Hämatomen mehrere Jahre gespeichert, und die Frau kann sich auch noch viel später in Ruhe für eine Anzeige entscheiden. Tut sie das nicht, wird eine Beweisführung nach längerer Zeit schwer.
Was passiert, wenn sich Frauen direkt an Sie wenden?
Wenn es sich um eine Gewalttat handelt, bin ich als Polizistin - anders als die vielen Beratungsstellen - verpflichtet, direkt von Amts wegen Anzeige zu erstatten. Das muss man wissen. Ohne den genauen Sachverhalt zu kennen, vermittle ich aber gerne Hilfsangebote oder kläre vor Ort auf. Beispielsweise durch Vorträge.
Was halten Sie von Catcalling-Aktionen, also davon, dass Frauen, sexuelle Beleidigungen im öffentlichen Raum sichtbar machen, indem sie diese dort, wo sie passiert sind, auf den Boden schreiben?
Ich bin für alle Aktionen, mit denen man jemand erreicht. Es ist wichtig, Bewusstsein zu schaffen!