Bad Fredeburg. Dr. Dieter Geyer hat 26 Jahre lang die Fachkliniken Bad Fredeburg geleitet. Er warnt vor allem davor, nachlässig mit Genussmitteln umzugehen.

Dr. Dieter Geyer hat 26 Jahre lang die Geschicke der Fachkliniken in Bad Fredeburg und Holthausen aus ärztlicher Sicht geleitet, außerdem die Adaption in Dortmund. Nun ist er offiziell im Ruhestand. Verabschiedet hat er sich mit einer Fachtagung. Im Interview spricht Dr. Geyer über die größten Herausforderungen, Erfolge und seine Zukunft.

Wie vielen suchtkranken Menschen haben Sie in Ihrem Berufsleben geholfen, einen Weg zurück in ein geregeltes Leben zu finden?

Mit dem Team zusammen sind das schätzungsweise 40.000 Personen gewesen. Das macht mich auch tatsächlich sehr zufrieden.

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Haben sich die Patienten im Laufe der Zeit verändert?

Ja, Ein Grund dafür ist sicherlich, dass die ambulante Suchtbehandlung ausgebaut wurde und dadurch stärker belastete Betroffene zu uns kommen. Allerdings haben sich auch die Konsummuster geändert. Eine Alkoholsucht wird heute oft ergänzt mit Cannabis, Amphetaminen, Schmerz- und Schlafmitteln usw. Leider geht die Gesellschaft insgesamt zu nachlässig mit Genussmitteln um - gerade in Hinblick auf Alkohol. In eine Sucht zu rutschen, das kann jeden treffen. Was sich auch geändert hat: Früher wollten Einheimische auf gar keinen Fall in die Klinik vor Ort gehen. Obwohl Suchtkranke immer noch stigmatisiert werden, herrscht in der Gesellschaft mittlerweile ein größeres Verständnis dafür, dass es eine Leistung ist, eine Sucht zu überwinden.

Dr. Geyer in der Mitte, umrahmt von seiner Familie (innen: Tochter, Sohn und Ehefrau; außen: Cousin und Ehefrau des Cousins).
Dr. Geyer in der Mitte, umrahmt von seiner Familie (innen: Tochter, Sohn und Ehefrau; außen: Cousin und Ehefrau des Cousins). © Privat | Privat

Was sind für Sie die größten Herausforderungen in Ihrem Berufsleben gewesen?

Als Ärztlicher Leiter muss man ein Generalist sein. Mitarbeiterführung ist natürlich ein wichtiger Aspekt, aber auch die Anpassung an gesellschaftliche Entwicklungen spielte immer eine große Rolle. Von den Lebensbedingungen unserer Patienten müssen wir stetig lernen, um ihnen helfen zu können. Eine große Herausforderung ist außerdem, alle Bedarfe zu erkennen. Wenn ein Patient zum Beispiel unter schweren Rückenschmerzen leidet, ist auch dies wichtig mit einzubeziehen.

Was war besonders spannend an Ihrem Beruf?

Dass man mit einem breiten Spektrum der Gesellschaft zu tun hat. Zu uns in die Klinik kamen Langzeitarbeitslose, geflüchtete Menschen, bis hin zu Fußballnationalspielern und Universitätsprofessoren. Das bringt natürlich auch Herausforderungen mit sich. Man muss mit jedem Menschen reden können bzw. als Klinikleiter das Milieu für die Mitarbeiter schaffen, dies zu tun. Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist immer eine warmherzige und zugleich professionelle Atmosphäre.

Worauf blicken Sie mit Stolz zurück?

Wir haben im Laufe der Jahre stationär-ambulante Konzepte erprobt, die mittlerweile bundesweit zum Einsatz kommen. Besonders hervorzuheben, ist die Rehabilitation zur Teilhabe am gesellschaftlichen, beruflichen und sozialen Leben. In Kooperation mit dem Berufsbildungswerk haben wir in Dortmund die Adaption aufgebaut, die 40 Plätze umfasst. Damit ist es uns erstmalig in Deutschland gelungen, medizinische und berufliche Reha miteinander zu verbinden. Entscheidend dafür ist ein gutes Netzwerk. Wir haben zum Beispiel jahrelang mit Ford in Köln kooperiert und die Kontakte dorthin gepflegt. Das klingt banal, sind aber oftmals die entscheidenden Stellschrauben.

Wie ist Ihnen das von Bad Fredeburg aus gelungen?

Mit 290 Behandlungsplätzen bieten die drei Fachkliniken eine Vielfalt an Möglichkeiten. So konnten zum Beispiel Untergruppen mit weiteren psychischen Störungen gebildet und die entsprechenden Angebote geschaffen werden - es gibt Süchtige mit Angststörungen, Depressionen, Trauma-Folgeerkrankungen usw. So haben wir zum Beispiel Behandlungskonzepte für Traumapatienten entwickelt, etwa für Afghanistan-Rückkehrer, die von Ängsten geplagt sind. Eine gute Vernetzung in der Wissenschaft ist dafür eine wichtige Voraussetzung.

Vier aktuelle und ehemalige Chefärzte auf einem Bild: (v.l.) Dr. Bogdan Alin Caba (aktueller Chefarzt der Johannesbad Fachkliniken Fredeburg und Holthauser Mühle sowie der Johannesbad Adaption Dortmund); Kathrin Lux (von 2018 bis 2021 Chefärztin der Johannesbad Fachkliniken Fredeburg und Holthauser Mühle sowie der Johannesbad Adaption Dortmund); Dr. Jens Schneider (aktueller Chefarzt der Johannesbad Fachklinik Hochsauerland), Dr. Dieter Geyer.
Vier aktuelle und ehemalige Chefärzte auf einem Bild: (v.l.) Dr. Bogdan Alin Caba (aktueller Chefarzt der Johannesbad Fachkliniken Fredeburg und Holthauser Mühle sowie der Johannesbad Adaption Dortmund); Kathrin Lux (von 2018 bis 2021 Chefärztin der Johannesbad Fachkliniken Fredeburg und Holthauser Mühle sowie der Johannesbad Adaption Dortmund); Dr. Jens Schneider (aktueller Chefarzt der Johannesbad Fachklinik Hochsauerland), Dr. Dieter Geyer. © Privat | Privat

Wie beurteilen Sie den Standort Bad Fredeburg?

Die Verkehrsanbindung im ÖPNV ist ein großer Nachteil, denn suchtkranke Menschen sollen kein Auto fahren und sind daher auf Bus und Bahn angewiesen. Anders als in Ballungszentren ist es im ländlichen Raum außerdem schwieriger, Mitarbeiter zu finden. Einen Vorteil sehe ich ganz klar darin, dass es schön ist im Umfeld der Kliniken. Die Natur trägt zur seelischen Genesung bei. Viele unserer Patienten gehen spazieren oder wandern - und genießen das auch. Viele kommen Jahre nach ihrer Therapie immer wieder zurück, um in Bad Fredeburg und Umgebung Urlaub zu machen. Für viele ist Bad Fredeburg ein Vertrauensort.

Mit Dr. Bogdan Ali Caba gibt es bereits einen Nachfolger. War Ihnen das wichtig?

Ja, das hat mich sehr gefreut. Dr. Bogdan Ali Caba stand schon seit einiger Zeit mit mir in Kontakt. Wir haben dann noch eine Zeit lang zusammen gearbeitet. Für die Patienten und natürlich auch die Mitarbeiter ist es ein Vorteil, wenn eine solcher Wechsel fließend vonstatten geht.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Ich werde weiterhin in der Fachgesellschaft und in der Weiterbildung aktiv sein. Außerdem bin ich Mitglied im Team der Suchtberatungsstelle der Caritas. Es ist mir ein großes Anliegen, mich dort weiter zu engagieren. Darüber hinaus möchte ich das Leben genießen. Ich spiele gerne Tennis und bin kulturell interessiert. Außerdem habe ich drei Enkelkinder - da ist viel zu tun.

Steckbrief:

- Dr. Dieter Geyer ist Psychiater, Neurologe und Psychosomatiker.

- Der 68-Jährige stammt gebürtig aus Limburg an der Lahn. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

- Studiert hat er in Mainz und anschließend eine Zeit lang in Koblenz gelebt.

- 1990 ist Dr. Dieter Geyer ins Sauerland gekommen, um dort zunächst an einer Klinik in Brilon-Wald zu arbeiten.