Meschede. Vor 50 Jahren kam Dünyamali Özmen als einer der ersten türkischen Gastarbeiter nach Meschede. Was er erlebte und warum er nicht mehr weg will.
Er war einer der ersten Gastarbeiter aus der Türkei in Meschede. Viele sind gekommen, um Geld zu verdienen und möglichst bald zurückzukehren. Er blieb.
Arbeiten, das konnte Dünyamali Özmen immer schon - zu Hause in der Landwirtschaft gab es jede Menge zu tun. Aber der junge Mann aus der türkischen Stadt Kars, einer Stadt im Nordosten Anatoliens, wollte mehr.
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Als Gastarbeiter in der Heimat registriert
Deutschland brauchte Arbeitskräfte. Dünyamali Özmen hatte sich bereits in seiner Heimatstadt Kars bei den zuständigen Behörden als Gastarbeiter registrieren lassen. Grundlage war das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei. Nachdem die Auflagen der Bundesanstalt für Arbeit - Gesundheitstest und ein Crash-Sprachkurs „Wir mussten Sätze aus einem Buch vorlesen“ - in Istanbul erfüllt worden waren, begann eine Reise mit ungewisser Zukunft.
Postleitzahl 5773 als Wegweiser
In München wurden die sogenannten Gastarbeiter Postleitzahlen zugeteilt. Dieses Mal war das Ziel 5778 Meschede. Am Mescheder Bahnhof wurden er und weitere 29 Männer von Vertretern der Firma Honsel, „Herr Deitmann, Herr Sonntag und ein Dolmetscher Namens Nico“, so erinnert er sich, empfangen. Anschließend ging es zum damaligen Wohnheim an der Schützenstraße. Als Begrüßungsessen gab es Kuru Fasulye, einen Bohneneintopf. Vier Männer teilten sich ein Zimmer - dazu gab es eine Küche, Waschräume, Wohn- und Essräume. Bis heute hält die Gruppe ihre Freundschaft. Der Kontakt zu den Eltern dagegen war schwierig. „Wir konnten ja nur Briefe schreiben“.
Nach einem freien Tag, an dem die Gastarbeiter durch die Mescheder Innenstadt geführt wurden, folgte der erste Arbeitstag. Dem Mann aus der Stadt Kars gefiel die Kleinstadt Meschede. „Als ich ankam, war Meschede noch ein Dorf. Durch die Fußgängerzone fuhren Autos, dort wo später Karstadt war, war eine Kfz-Werkstatt, die Post lag noch an der Arnsberger Straße.“ Er hätte später zu Thyssen nach Duisburg wechseln können. „Aber ich wollte nicht in eine größere Stadt. Hier ist die Luft besser, und es ist ruhiger.“
Rundgang durch die Firma Honsel
Am nächsten Tag folgte ein Rundgang durch die Firma Honsel, und die Gastarbeiter wurden in die jeweiligen Abteilungen zugeteilt. Vor genau 50 Jahren, am 1. Oktober 1973, begann für Dünyamali Özmen der erste Arbeitstag bei Honsel im Fräswerk.
Wechsel zu Tital in Bestwig
„Schon ein Jahr später wurde das Fräswerk geschlossen und ich ging nach Bestwig.“ Dort hatte Honsel gemeinsam mit Heraeus aus Wetzlar eine Tochtergesellschaft gegründet für Titan- und Aluminium Feinguss - „Tital“. Özmen gehörte zu den ersten Arbeitern dort und blieb 40 Jahre. Acht Jahre arbeitete er dort auch im Betriebsrat mit. Er ging im Juli 2014 in Rente - nach 41 Jahren als Arbeiter im Sauerland, ohne Unterbrechungen oder längere Krankheiten.
Viele Überstunden geleistet
Eigentlich hatte er nur ein paar Jahre Geld verdienen und dann zurückkehren wollen, wie so viele. „Doch die Firmen haben sich damals dafür eingesetzt, dass wir blieben.“ Er erinnert sich auch, dass er schon früher hätte in Rente gehen können, gegen eine Abfindung. „Das habe ich abgelehnt“, sagt er. Und auch als die Rente anstand, habe er noch versucht, seinen Vertrag zu verlängern. Dabei hatte er vor allem in den Anfangsjahren schwer körperlich gearbeitet und manche Überstunde geleistet. „Zehn Stunden am Tag waren keine Seltenheit, 300 Stunden im Monat.“ Für einen Spezialauftrag fertigte er Mitte der 80er-Jahre mit vier Kollegen von sechs Uhr morgens bis zwei Uhr nachts Raketenköpfe. „Als Bezahlung gab es zehn Mark extra und ein gebratenes Hähnchen“ erinnert sich der Rentner und schmunzelt über die ungewöhnliche Bezahlung.
Nach drei Jahren das Wohnheim verlassen
Dünyamali Özmen lebte nach seiner Ankunft in Deutschland drei Jahre im Wohnheim, wo er sich die Räumlichkeiten mit weiteren Gastarbeiter-Kollegen teilte. 1976 reiste er in seine Heimatstadt Kars um seine Frau Zennure Özmen zu heiraten. Er kehrt erst allein zurück, mietete sich eine Wohnung und holte seine Frau nach. „Wir wollten uns hier eine gemeinsame Zukunft aufbauen.“
In direkter Nähe zur Mietwohnung kaufen sich das Ehepaar Özmen das erste, hart erarbeitete Eigenheim das für sie, die Kinder und Enkelkinder zum Zuhause wurde. Zwischen 1978 und 1995 kamen sieben Kinder in Meschede zur Welt, davon sind drei bereits verheiratet und haben eigene Familien gegründet. Der Großteil in der Region - eine Tochter wohnt in der Schweiz. Die Familie wuchs. Es folgten acht Enkel.
Bis heute lebt das Paar in seinem Eigenheim und denkt nicht daran, auszuwandern oder zurück in die Heimat zu gehen. Dünyamali und Zennure Özemn kümmern sich um ihren Garten, die Hühner, und alles, was rund ums Haus und die Enkelkinder erledigt werden muss.
Zurück in die Türkei wollen sie nicht. „Ich kenne in Meschede mehr Menschen als in der Türkei“, sagt Dünyamali Özmen. „Hier ist meine Familie, hier sind meine Freunde.“ Nach Kars fährt er höchstens noch für Kurzurlaube.
Aufbau der Moschee: Mensch ist Mensch!
Engagiert war der Senior auch am Aufbau der muslimischen Gemeinde. „Erst trafen wir uns in einer Garage, dann in dem Haus an der Arnsberger Straße, anschließend dann in der großen Moschee an der Jahnstraße.“ Noch heute findet man ihn regelmäßig dort zum Gebet, aber auch im Gespräch mit Freunden. Der Glaube sei ihm immer wichtig gewesen, erzählt er. An politischen Diskussionen beteilige er sich nicht. „Mensch ist Mensch!“
Er ist stolz, darauf, wie er sein Arbeitsleben in Meschede gemeistert hat, dass seine Kinder Sauerländer sind. Bereut hat er den Schritt nie. „Ich war jung und hatte auch gar keine Zeit darüber nachzudenken“, sagt er. Der Mann mit der langen Mescheder Geschichte findet es wichtig, heute seine Leben zu erzählen. „Es ist die Geschichte von vielen Gastarbeitern im Sauerland, die mittlerweile hier heimisch sind.“