Oberkirchen/Stuttgart. Der Oberkirchener Christian Hesse ist Mathe-Professor. Er sagt die Abschlusstabelle der Bundesliga vorher: Wer Meister wird, wer absteigt.

90 Minuten, 22 Spieler, ein Schiedsrichtergespann und das ganze 306 mal verteilt über 34 Spieltage. Das bedeutet jede Menge Ungewissheit. Es ist das, was die Bundesliga auszeichnet. Für Christian Hesse aus Oberkirchen steht der Meister und Absteiger hingegen schon vor Anpfiff des ersten Saisonspiels fest. Er hat an der Harvard University promoviert und ist Professor für Mathematik an der Universität Stuttgart. Der 63-Jährige hat eine eigene mathematische Formel für die Berechnung der Bundesliga-Abschlusstabelle entwickelt. Im Interview spricht er über sein mathematisches Vorgehen und erzählt, was er mit dem Fußball verbindet. Seine Vorhersage: Bayern vor Dortmund und Leipzig. Bochum in der Relegation. Heidenheim und Darmstadt steigen ab.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Bundesliga-Tabelle zu berechnen?

Das liegt an meinem Arbeitsgebiet. In der Stochastik beschäftigt man sich mit Statistik und Wahrscheinlichkeiten, dafür sind bei jeder Berechnung eine große Menge an Daten notwendig. Bei der Bundesliga fallen diese angesprochenen Datenmengen an, da wird es interessant für mich. Auch während der Corona-Zeit beispielsweise hat unsere Abteilung viele Anfragen seitens der Medien nach der weiteren Entwicklung der verschiedenen Wellen erhalten.

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Was waren Ihre ersten Schritte?

Anfangs habe ich mir auf transfermarkt.de die Rangliste der Marktwerte der Mannschaften schon vor Saisonbeginn angesehen und diese mit der Abschlusstabelle neun Monate später verglichen. Um die Ähnlichkeit der Werte mathematisch festzuhalten, habe ich den Korrelationskoeffizienten ermittelt, der lag mit 0,8 bei einem hohen Wert. Als ich mir dann allerdings die letzten vier bis fünf Spielzeiten angesehen habe, ist mir aufgefallen, dass der Marktwert alleine nicht aussagekräftig ist. Zusätzlich ist ein Stabilitätsparameter von Nöten.

Wird es wieder so sein? Die Meisterfeier des FC Bayern auf dem Marienplatz in München.
Wird es wieder so sein? Die Meisterfeier des FC Bayern auf dem Marienplatz in München. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand

Welcher Parameter ist das?

Als weitere Komponente hat sich die Persistenzprognose angeboten, diese kommt aus dem Bereich der Wettervorhersage. Konkret arbeitet sie mit dem einfachen Ansatz, dass das Wetter von morgen so ähnlich wird wie das Wetter heute. Angewandt auf die Bundesliga-Tabelle würde das bedeuten, dass die Abschlusstabelle der vorherigen Saison mit der jetzigen eine große Ähnlichkeit hat. Und tatsächlich: Zwischen den Platzierungen der Spielzeiten 2021/22 und 2022/23 besteht eine Korrelation von 0,9. Aufgrund dessen ist mir die Idee gekommen, diese beiden Prognosen zu vereinen, die sogenannte Kombinations-Prognose. Denn es hat sich herausgestellt, dass mal die eine, mal die andere Prognose aussagekräftiger ist.

2011: Da feierte der BVB mit Jürgen Klopp die Meisterschaft.
2011: Da feierte der BVB mit Jürgen Klopp die Meisterschaft. © dpa | Torsten Silz

Wie ist die Fehlerquote Ihrer Prognose?

In der letzten Saison lag ich mit meiner Prognose bei sechs Tabellenplätzen exakt richtig. Die Fehlerprognose belief sich im Mittelwert für alle 18 Mannschaften auf 2,0 Platzierungen. Langfristig über mehrere Spielzeiten gesehen, ist die Fehlerquote bei der Marktwert-Prognose höher als bei der Kombinations-Prognose.

Wie lange haben Sie für die Berechnungen gebraucht? Und was hat Sie am meisten erstaunt?

Die Rechnungen sind nicht kompliziert oder zeitintensiv. Es dauert nur seine Zeit, bis man alle benötigten Daten zusammengetragen hat. Überrascht war ich von der Tatsache, dass der Marktwert doch so viel über die Qualität der Spieler und Mannschaften und damit das Ergebnis in der Abschlusstabelle aussagt. Auch eine Art von Persistenz zwischen aufeinander folgendenden Spielzeiten ist nicht von der Hand zu weisen.

Sind Sie selber Fußball-Fan? Wenn ja, welches Team lässt Ihr Fußball-Herz höher schlagen?

Grundsätzlich bin ich erstmal ein Fan von Daten. Ich finde es spannend, was man alles damit herausbekommen kann. Trotzdem würde ich mich auch als fußballbegeistert beschreiben. Mein Lieblingsverein hat sich über die Jahre immer mal wieder geändert. Seit meiner Jugend aber bin ich Fan der deutschen Nationalmannschaft, auch wenn sie momentan schwächelt.

Darüber, welche Rolle der Marktwert einer Mannschaft spielt, war Mathematik-Professor Christian Hesse, der gebürtig aus Oberkirchen stammt, selbst überrascht.
Darüber, welche Rolle der Marktwert einer Mannschaft spielt, war Mathematik-Professor Christian Hesse, der gebürtig aus Oberkirchen stammt, selbst überrascht. © Uli Regenscheit

Haben Sie früher selber Fußball gespielt? Was machen Sie jetzt in Ihrer freien Zeit?

Ja, in meiner Kindheit und Jugend. Bis zu meinem 16. Lebensjahr habe ich beim SC Listernohl als Mittelstürmer gespielt. Neu-Listernohl ist ein Vorort von Attendorn. Jetzt verbringe ich meine geringe Freizeit gerne mit Reisen und Schach spielen. Ich war zum Beispiel als Moderator und Beobachter bei vielen Schach-Weltmeisterschaften dabei und hatte selber die Möglichkeit, gegen einen indischen Großmeister ein Unentschieden herauszuholen.

Wie sind Sie von Oberkirchen nach Stuttgart gekommen?

Das ging über mehrere Etappen. Mit 19 bin ich aus dem Sauerland weg zum Studium nach Gießen. Dort habe ich zuerst ein Jahr lang Medizin studiert, bin dann aber zur Mathematik gewechselt. 1984 bin ich mit einem Stipendium in die USA gegangen und habe dort unter anderem an der Harvard University im Bereich Mathematik promoviert. Aus dem geplanten einjährigen Aufenthalt wurden zehn Jahre. Die letzten fünf Jahre davon konnte ich als Assistenz-Professor an der Universität von Kalifornien in Berkeley arbeiten. Im Anschluss daran habe ich ein unschlagbares Angebot für eine Professur an der Universität in Stuttgart bekommen.

Kommen Sie regelmäßig in die Heimat?

Ich komme drei bis vier mal pro Jahr ins Sauerland. Meine Mutter und meine Schwestern wohnen dort, daher komme ich regelmäßig zu Besuch.

>>> Die Tabelle

1. Bayern München

2. Borussia Dortmund

3. RB Leipzig

4. Leverkusen

5. Eintracht Frankfurt

6. FC Union Berlin

7. VfL Wolfsburg

8. SC Freiburg

9. Mönchengladbach

10. FSV Mainz 05

11. Hoffenheim

12. VfB Stuttgart

13. FC Köln

14. FC Augsburg

15. Werder Bremen

16. VfL Bochum

17. FC Heidenheim

18. Darmstadt