Bestwig. Alfred Liese leidet an COPD. Stufe 4. Danach folgt der Tod. Jeder Schritt fällt schwer. Auf einen Behindertenparkplatz darf er trotzdem nicht.

Seine Lunge hat nur noch eine Leistung von gerade einmal 28 Prozent. Ständige Atemnot macht ein Leben ohne Sauerstoffgerät für ihn nicht mehr möglich. Alfred Liese aus Bestwig leidet an COPD. Die Krankheit ist fortgeschritten. „Stufe 4“, sagt der 64-Jährige und ergänzt: „Danach folgt nur noch der Tod.“ Als wenn die Diagnose und die Symptome seiner fortgeschrittenen Krankheit nicht schon schlimm genug wären, machen ihm nun auch noch die Behörden das Leben schwer.

Dabei wünscht sich Liese gar nicht viel - nur einen kleinen Buchstaben in seinem Behindertenausweis. Ein „a“ vor dem „G“! Denn damit wäre er nicht mehr nur als „Gehbehindert“ sondern als „außergewöhnlich Gehbehindert“ eingestuft. Und das würde ihn berechtigen, seinen Wagen auf einem Behindertenparkplatz abzustellen. Doch die Bezirksregierung in Münster stellt sich quer. „Die vorliegenden Befunde rechtfertigen das von Ihnen gewünschte Merkzeichen nicht“, hat sie ihm mitgeteilt.

Wie ein Schlag ins Gesicht

Alfred Liese Bestwig mit seinem Ausweis.
Alfred Liese Bestwig mit seinem Ausweis. © Frank Selter

Es ist nicht gut, wenn Alfred Liese sich aufregt. Denn das kostet ihn wertvolle Luft. Aber angesichts dieser Reaktion kann er nicht anders. „Ich frage mich, was noch passieren muss, um Anspruch auf einen Behindertparkplatz zu haben“, sagt er.

Liese und seine Frau Jutta empfinden die Reaktion der Bezirksregierung als einen Schlag ins Gesicht. Was ihnen bleibt, ist eine Klage vor dem Sozialgericht in Dortmund. Das Verfahren kostet zwar kein Geld. „Aber es kostet Nerven“, sagt Jutta Liese. Und mit denen sind die beiden langsam am Ende. Zumal Ausgang und Dauer eines solchen Verfahrens völlig ungewiss seien.

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Dabei hätte es eigentlich ganz einfach sein können. Denn offenbar, so die Vermutung von Jutta Liese, stört man sich bei der Bezirksregierung an Formulierungen in ihrem Antrag. Was genau sie geschrieben hat, kann sie heute zwar nicht mehr exakt sagen. Das Schreiben hatte sie im Namen ihres Mannes handschriftlich verfasst und auf die Reise geschickt. Eine Kopie existiert nicht. Die Behörde jedoch teilt ihr genau mit, warum Alfred Liese keinen Anspruch auf einen Behindertenparkplatz haben soll: „Atemnot in Ruhe ist nicht vorhanden. Sie selbst haben ausgeführt, dass Sie lediglich keine längeren Wege gehen können“, heißt es in dem Schreiben.

„Irgendwann setzt die Panik ein“

„Und genau das ist der Punkt“, sagen die beiden. „Für meinen Mann sind 50 Meter schon ein langer Weg“, erklärt Jutta Liese, während Alfred Liese zustimmend nickt. Was sie sich gewünscht hätten: Dass der zuständige Sachbearbeiter noch einmal nachgefragt hätte, bevor er die Ablehnung verfasst. „Im persönlichen Gespräch hätte man sicherlich vieles klären können“, sagt Jutta Liese. Zum Beispiel, wie es ist, wenn von jetzt auf gleich die Atemnot einsetzt. Denn dafür sei manchmal weder eine lange noch eine längere Strecke erforderlich.

Ein Behindertenparkplatz: Wer hier parken möchte, muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen, die genau geprüft werden.
Ein Behindertenparkplatz: Wer hier parken möchte, muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen, die genau geprüft werden. © Imago

„Man darf sich das nicht vorstellen, wie bei einem Menschen, der außer Atem ist“, sagt Alfred Liese und ergänzt: „Der würde einfach ein paar Minuten stehen bleiben, tief Luft holen, bis es wieder geht und dann weiterlaufen.“

Bei COPD-Patienten wie ihm sei das aber anders. Wenn die Atemnot akut einsetze, gehe weder Luft rein, noch Luft raus. Es sei in etwa vergleichbar, wenn einem im Hallenbad immer und immer wieder der Kopf unter Wasser gedrückt werde. „Irgendwann setzt dann die Panik ein“, schildert Liese. Vielleicht müsse man mit seinem Rollator und dem Sauerstoffgerät ja erst auf offener Straße zusammenbrechen, um den Ausweis für einen Behindertenparkplatz zu bekommen, sagt Liese sarkastisch.

„Es geht nur um den Besuch beim Arzt“

Um es klarzustellen: Liese strebt den Ausweis nicht an, um vorm Supermarkt neben der Tür parken zu können. „Das Risiko, das mit den Anstrengungen eines Einkaufs verbunden ist, gehe ich schon längst nicht mehr ein“, sagt er. Ihm gehe es allein darum, bei den regelmäßigen Besuchen seines Lungenfacharztes in Neheim, vor der Tür parken zu dürfen. „Auf einem der beiden Behindertparkplätze, die bislang immer leer waren, wenn ich dort war“, betont der Bestwiger. Weil er dort aber nicht stehen darf, müsse er sich jedes Mal von Bestwig nach Neheim fahren lassen, um vor der Tür aussteigen zu können. Denn die wenigen anderen normalen Parkplätze in der Nähe seien stets belegt.

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„Hier steht es Schwarz auf Weiß“, sagt Jutta Liese und zitiert eine der vielen Seiten, auf denen sie und ihr Mann sich schlau gemacht haben: „Voraussetzung für das Merkzeichen aG ist eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung, die mindestens einem Grad der Behinderung (Gdb) von 80 entspricht.“ Genau das treffe auf ihren Mann zu, wirft Jutta Liese ein und fährt mit dem Zitat weiter fort: „Dies ist dann der Fall, wenn der Mensch mit Behinderung sich außerhalb seines Autos nur unter großer Anstrengung oder mit Unterstützung durch eine andere Person fortbewegen kann“. Damit passe doch wohl eigentlich alles.“ Eigentlich!

„Es geht vor allem auch ums Prinzip“

Jutta und Alfred Liese geht es vor allem auch ums Prinzip. Natürlich könne er sich auch fahren lassen, sagt der 64-Jährige. Irgendjemand finde sich immer. Was ihn aber ärgere, sei die offenbare Leichtfertigkeit, mit der solche Anträge abgelehnt werden. „Reine Bürokratie, ohne mal zu hören, was dahintersteckt. Und am Ende wird dann einfach auf den Klageweg verwiesen“, kritisiert Alfred Liese mit klaren Worten. Er wolle gar nicht wissen, wie vielen älteren und hilflosen Menschen es schon ähnlich ergangen ist wie ihm.

Behörde verweist auf Hotline

Die Bezirksregierung Münster will sich zum konkreten Einzelfall öffentlich nicht äußern. Sie verweist in ihrer allgemein gefassten Antwort auf eine Anfrage unserer Zeitung unter anderem darauf, dass eine gutachterliche Stellungnahme Grundlage einer solchen Verwaltungsentscheidung sei. „Die subjektive Schilderung der Beeinträchtigung wird bei der Beurteilung des Sachverhaltes durch den Arzt berücksichtigt, soweit diese anhand der vorliegenden medizinischen Befunde nachvollziehbar ist“, so die Pressestelle der Bezirksregierung.

Eine Kontaktaufnahme zum Widerspruchsführenden erfolge in der Regel nur dann, wenn Rückfragen zum Sachverhalt bestünden. „Zum Beispiel, wenn bisher keine medizinischen Unterlagen zu einer im Widerspruch geltend gemachten Beeinträchtigung vorliegen oder sich aus dem Widerspruch offene Fragen ergeben, die vor der Entscheidung geklärt werden müssen.“ Betroffene hätten jedoch die Möglichkeit, sich an eine Hotline der Bezirksregierung zu wenden, teilt die Pressestelle weiter mit. Allerdings sei ein Widerspruchsverfahren mit der Erteilung des Widerspruchsbescheides abgeschlossen. Genau das ist bei Alfred Liese der Fall.

Ärger beim Anblick

Neben einer Klage vor dem Sozialgericht bliebe ihm auch noch die Möglichkeit, einen Überprüfungsantrag nach Paragraph 44 des Sozialgesetzbuches stellen. Hierbei wird geprüft, ob bei der getroffenen Entscheidung das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Wie das ausgeht, könne man sich ja denken, sagt Jutta Liese. Sie werde ihren Mann einfach weiter nach Neheim fahren und sich beim Anblick der leeren Behindertenparkplätze vor der Tür ärgern.