Meschede. Aus dem Hochsauerlandkreis werden kaum noch Asylbewerber abgeschoben. Die Behörde benennt Tricks und Probleme. Sie hat eine Prognose.
Während auf der einen Seite die Zahl der Asylbewerber rasant ansteigt, wird auf der anderen Seite kaum noch abgeschoben. Die Ausländerbehörde beim Hochsauerlandkreis bestätigt diese Entwicklung. Sie erlebt dabei die neuen politischen Rahmenbedingungen: So fällt ein Großteil der eigentlich Ausreisepflichtigen unter das neue Chancen-Aufenthaltsrecht des Bundes. Und bei denjenigen, wo eine Abschiebung vollzogen werden müsste, scheitert die Durchsetzung meistens daran, dass Abkommen vor allem von afrikanischen Ländern nicht eingehalten werden: Sie verweigern nach den Erfahrungen des Hochsauerlandkreises oftmals willkürlich die Papiere für die Rücknahme ihrer Landsleute.
In Verkehrsunfall verwickelt
Beispielhaft deutlich wird diese Entwicklung durch einen kürzlich aufgetretenen Fall im Hochsauerlandkreis: Ein gesuchter und ausreisepflichtiger Algerier, der hier gemeldet ist, wird bei Hannover in einen Verkehrsunfall verwickelt. Der Mann wird festgenommen, kommt in Abschiebehaft, er soll in sein Heimatland gebracht werden. Doch: Das scheitert daran, dass die Behörden in Algerien dieses Mal ohne Begründung keine Ersatzpapiere ausstellen. Damit entfällt auch der Haftgrund. Der Mann kommt einige Tage später frei. Er erhält eine befristete Duldung, die fortan immer wieder verlängert werden wird - es sei denn, dass bei einem erneuten Versuch sein Heimatland bei der Abschiebung mitwirkt.
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Lediglich fünf Mal hat der Hochsauerlandkreis im ersten Halbjahr dieses Jahres eine Abschiebung vollzogen, das ist neuer Tiefstwert. Ein Mann wurde nach Tadschikistan gebracht, die anderen vier Male betreffen so genannte Dublin-Fälle, das bedeutet: Ein Flüchtling hatte zuerst ein anderes europäisches Land erreicht und dort bereits einen Asylantrag gestellt. Daher kann Deutschland ihn innerhalb einer Frist dorthin zurückbringen: Kroatien, die Niederlande und Frankreich waren solche Länder.
Grenzen sind offen
Was die Ausländerbehörde dabei sehr wohl weiß: Die Grenzen im Schengen-Raum sind offen. Viele der auf diese Weise Überstellten sind nach ihren Erfahrungen bald wieder zurück. „Das wird auch nicht sanktioniert“, erklärt der Hochsauerlandkreis auf Anfrage. Nach Italien besteht nach Erfahrung der Behörde erst gar keine Möglichkeit mehr, Asylbewerber nach dem EU-Recht zurückzuführen: Das Land weigere sich mit Verweis auf die selbst sehr hohen Flüchtlingszahlen.
Neben den - aufgrund der Rückkehrer - meist vergeblichen Abschiebungen im Schengen-Raum sind es nur noch wenige Länder, wo das Ausländeramt eine Rückführung durchsetzen kann. Hierzu gehören beispielsweise die Westbalkan-Staaten. Abschiebungen scheitern auch daran, dass im Hochsauerlandkreis wieder Kirchenasyl gewährt wird - wie diese Zeitung erfuhr, aktuell beispielsweise beim Bergkloster Bestwig. Die katholischen Ordensschwestern haben in mehreren Fällen eine Überstellung nach den Dublin-Regeln in europäische Länder wie zuletzt Kroatien verhindert. Danach war die Frist abgelaufen, während der eine Abschiebung möglich war.
Chancen-Aufenthaltsrecht
Für einen beträchtlichen Anteil der eigentlich Ausreisepflichtigen gilt darüber hinaus das Chancen-Aufenthaltsrecht des Bundes: Es gilt für alle abgelehnten Flüchtlinge, die bis zum Stichtag 1. November 2017 nach Deutschland eingereist sind. Wer unter die Voraussetzungen dieser Regelung fällt, erhält eine für 18 Monate gültige Aufenthaltserlaubnis und kann sich in diesem Zeitraum für einen längerfristigen Aufenthalt bewähren. Was der Behörde auffällt: Auf einmal tauchen bei den Anwärtern für ein Chancen-Aufenthaltsrecht viele Pässe auf, die vorher angeblich verschwunden oder nicht zu beschaffen waren: Wer seine Chance nutzen will, muss zweifelsfrei seine Identität nachweisen.
Fälschungen von Dokumenten spielen laut Hochsauerlandkreis nebenbei eine zunehmende Rolle: Auf fünf Euro beziffern die Sachbearbeiter die Kosten, um sich bei Schleusern oder bei Ankunft in Europa zum Beispiel ein gefälschtes griechisches Ausweispapier zu besorgen. In Brilon setzte das Ausländeramt kürzlich mehrere Tunesier fest, die gefälschte Dokumente vorgelegt hatten. Als sie in Abschiebehaft sollten, beantragten sie Asyl. Dadurch kamen sie in eine Aufnahmeeinrichtung und können sich weiter frei bewegen.
Steigerung von 93 Prozent
Eine Steigerung von 93 Prozent hat der Hochsauerlandkreis bei der Anzahl der zugewiesenen Asylbewerber zwischen 2022 zu 2023 ausgerechnet. „Tendenz rasant steigend“, heißt es. Selbst während des Syrien-Kriegs sei die Lage nicht so dynamisch und dramatisch gewesen. In absoluten Zahlen meldet der Hochsauerlandkreis - ohne Daten aus Arnsberg, weil dort ein eigenes Ausländeramt betrieben wird, - immer mehr zugewiesene Asylbewerber: Waren es im ersten Halbjahr 2022 noch 227, sind es im ersten Halbjahr 2023 bereits 440. Die Folgen sind in vielen Kommunen spürbar, zuletzt in Oeventrop und in Nordenau.