Meschede. Krankschreibungen werden häufig nur noch elektronisch an Krankenkasse und Arbeitgeber übermittelt. Wie läuft das System im Hochsauerlandkreis?
Der „gelbe Schein“ ist Geschichte – zumindest in weiten Teilen. Seit Jahresbeginn hat das Bundesgesundheitsministerium die elektronische Krankschreibung, die so genannte „eAU“ – auf den Weg gebracht. Krankschreibungen werden seither nicht mehr in Papierform zwischen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Krankenkasse ausgetauscht, sondern über den elektronischen Weg übermittelt. Außerdem gilt: Arbeitgeber müssen die Krankschreibungen ihrer Arbeitnehmer seit Jahresbeginn bei den Krankenkassen abfragen.
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Hartes Urteil beim HSK
Wie gut das System eAU funktioniert – darüber gibt es nach einer Umfrage dieser Redaktion in Meschede verschiedene Auffassungen. Der Hochsauerlandkreis als ein großer Arbeitgeber in der Umgebung stellt verschiedene Probleme im Zusammenhang mit dem neuen System fest. Sprecher Martin Reuther fällt ein hartes Urteil: „Das Verfahren eAU ist noch nicht ausgereift.“ Als Grund hierfür nennt er die Tatsache, dass nicht alle Ärzte teilnehmen und der HSK zusätzlich noch die „normalen“ Bescheinigungen der Beamten erfassen muss.
Auch den Abgleich zwischen Arbeitgeber und Krankenkassen ist laut Reuther durch die digitale Einzelabfrage zeitaufwendig. „Bis zu zwei Wochen Wartezeit“ gehen laut Reuther ins Land, bis Antworten der Krankenkassen kommen. Zudem sei das System fehleranfällig, da der Datenabgleich unvollständig sei, Wochenenden nicht von Krankschreibung erfasst würden und es eine Diskrepanz zwischen übermittelten Daten und tatsächlicher Krankschreibung gebe. „Insgesamt aus Sicht als Arbeitgeber ein umständliches und zeitintensives Verfahren - jedoch von hoher Wichtigkeit, da Krankengeldzahlungen davon abhängig sind.“
Sicht des Hausarztes
Jörg Tigges, praktizierender Arzt in Meschede, kommt nach einigen Monaten der eAU in der Praxis zu einem positiveren Fazit. Er sagt: „Die eAU hat sich insgesamt gut etabliert. Anfänglich gab es immer mal Erreichbarkeitsprobleme mit einigen Krankenkassen, aber das Problem tritt nur noch gelegentlich auf.“ Auch von den Praxen im Umkreis habe er bisher keine nennenswerten Probleme mitbekommen. Und trotzdem: Probleme habe er nach der Umstellung Anfang des Jahres festgestellt, als Arbeitgeber versuchten, die AU digital bei den Krankenkassen abzurufen. „Soweit ich das beurteilen kann, läuft das aber jetzt wohl“, so Tigges, der dennoch Nachbesserungsbedarf sieht. „Das Verfahren ist sehr zeitaufwendig. Eine direkte Weiterleitung der AU von den Krankenkassen an die Arbeitgeber wäre langfristig sehr hilfreich“, ist er überzeugt.
Als „erfreulich“ schätzt Ulrich Biene, Pressesprecher der Brauerei Veltins in Meschede-Grevenstein, die Entwicklung seit Einführung der eAU ein. „Das System hat sich als praktikabel und alltagstauglich erwiesen. Es hilft allen Beteiligten - den Mitarbeitern, den Arztpraxen, unserer Personalabteilung und natürlich den Krankenkassen.“
Zum Teil Erfassungslücken
Und trotzdem: ganz rund läuft das neue System an allen Stellen noch nicht. Biene sagt: „Noch sind wir nicht bei der 100-Prozent-Akzeptanz angekommen, denn einige Arztpraxen bevorzugen noch die Papierlösung. Wenn Mitarbeiter uns dann über ihren Ausfall in Kenntnis setzen, aber die Papier-AU nicht abgeben, gibt es im digitalen Prozess eine Erfassungslücke, die später nachgearbeitet werden muss.“ Potenzial zur Verbesserung sieht der Veltins-Sprecher vor allem in der Harmonisierung der Datenerfassung- und Weiterleitung. „Letztlich ist das System nur so gut wie das schwächste Glied, aber wir sind auf dem besten Weg, dass die Zukunft der eAU alsbald komplett auf digitalen Weg erfolgt“, so Biene
Eine positive Zwischenbilanz zieht seit Einführung der eAU auch die Krankenkasse AOK Nord-West. Jens Kuschel, Stabsbereichsleiter Presse, gibt auf Anfrage dieser Redaktion bekannt, dass rund 90 Prozent der Arztpraxen, Krankenhäuser und Zahnarztpraxen im Verbreitungsgebiet von der eAU Gebrauch machen. „100 Prozent werden in einem technischen Verfahren nie erreicht werden können wegen nicht ganz auszuschließender Störungen in der technischen Infrastruktur. Hier ist dann als Ersatzverfahren weiterhin ein Papierverfahren vorgesehen“, so Kuschel.
Von Zustellpflicht entbunden
Nachteile im Umgang mit dem neuen Krankschreibungssystem sieht die AOK Nord-West kaum: „Wir sehen keine Nachteile, sondern vor allem die Vorteile, die für alle beteiligten Akteure bestehen: für die Ärztinnen und Ärzte, für die Arbeitgeber, die Versicherten und auch für die Krankenkassen.“ Erstellungs- Übermittlungs- und Bearbeitungskosten könnten laut Kuschel für alle Beteiligten reduziert werden. Hinzu kommt: „Die Krankenkassen können für ihre Versicherten mögliche Krankengeldzahlungen aus laufenden Fällen heraus noch rascher vornehmen. Außerdem werden die Versicherten durch das neue digitale Verfahren von der Zustellpflicht per Post oder persönliche Übergabe an die Krankenkasse entbunden, seit 1. Januar 2023 auch von der Zustellpflicht an den Arbeitgeber.“
Und auch den Arbeitgebern könne laut AOK-Sprecher durch die schnellere Aktualisierung der Informationslage ein „noch besserer Service geboten werden, da die Krankenkassen noch zügiger die Information über die Arbeitsunfähigkeit zum Abruf bereitstellen können.“ Dieser Prozess mit den Arbeitgebern spiele sich mittlerweile auch immer besser und routinierter ein. Hinzu kommt, dass weniger Nachbearbeitung der eingelesenen Informationen erforderlich wird. „Bei jährlich etwa fünf Millionen AU-Dokumenten allein bei der AOK Nord-West können erhebliche zeitliche Ressourcen eingespart und für andere Prozesse eingesetzt werden“, so Kuschel.
Bundesagentur für Arbeit dabei
Zum Ende des Jahres wird das eAU-Verfahren laut Kuschel analog zum Arbeitgeberverfahren auf die Bundesagentur für Arbeit erweitert und eAU-Zeiten bei Krankenkassenwechsel elektronisch von der bisherigen an die neue Krankenkasse übermittelt. „Diese Erweiterungen werden die Prozesse perspektivisch noch weiter verbessern“, so der Sprecher.