Meschede. Ahmet Alticioglu ist in Meschede bekannt, nicht zuletzt durch seine Tankstelle. Seit 50 Jahren lebt er hier. Warum es ihn dennoch fortzieht.

Wer Ahmet Altincioglu nicht kennt, hat in Meschede noch nie getankt. Oder ist nie mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren. Seit 2005 ist der gebürtige Türke Inhaber der Mescheder Aral-Tankstelle an der Warsteiner Straße. Zuvor – und teilweise parallel – fuhr der mittlerweile 57-Jährige viele Jahre für verschiedene Busunternehmen im Sauerland. Im Seegespräch spricht Altincioglu über seine Kindheit, seine Erlebnisse während seines langen Berufslebens und warum er Meschede bald verlassen wird.

Herr Altincioglu, wenn Sie so auf den Hennesee blicken: Welche Gefühle, Gedanken und Erinnerungen kommen da in Ihnen auf?

Mit dem Hennesee verbinde ich eigentlich nur Positives. Ich denke an meine Kindheit und Jugend zurück, als wir auf der anderen Seite dort drüben gezeltet haben und ins Wasser gegangen sind. Damit verbinde ich viel Schönes. Und auch heute noch bin ich mit dem See hier mehr oder weniger eng verbunden. Mit meinen vier Kindern bin ich hier oft spazieren gegangen und auch heute noch gehe ich ab und zu mit meiner Frau hier spazieren. Der See hier ist ein schöner und toller Ort.

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Sie sprechen ihre Kindheit an. Wann sind Sie nach Meschede gekommen?

Das weiß ich noch relativ genau – das war 1975. Da war ich acht Jahre alt. Meine Eltern haben zu dem Zeitpunkt schon zwei Jahre in Deutschland gelebt, sie kamen als Gastarbeiter hierher. Ich habe dann zwei Jahre bei meinen Großeltern in der Türkei, meinem Heimatort Amasya, gelebt. 1975 bin ich dann in den Schulferien nach Deutschland gekommen. Eigentlich sollte ich nur zwei Wochen in Deutschland bleiben und anschließend wieder zurück fliegen. Als ich aber einmal hier war, wollte ich nicht wieder zurück in die Türkei.

Wie kam das?

Erstens: Ich wollte bei meinen Eltern bleiben. Zwei Jahre ohne die Eltern zu leben, ist als Kind schon hart. Auch, wenn meine Großeltern sich immer sehr gut um mich gekümmert haben. Und zweitens: Ich kam aus einem kleinen Dorf in Anatolien. Wir hatten dort nichts zum Spielen. Meistens haben wir uns die Zeit damit vertrieben, Fangen zu spielen oder auf den Obst-Farmen Blödsinn zu machen. Als ich hierhin kam, gab es auf einmal Carrera-Bahnen, Bälle, Spielzeug. Das war für mich eine ganz andere Welt. Das hat auf jeden Fall dazu beigetragen, dass ich in Deutschland bleiben wollte.

Ahmet Altincioglu im Seegespräch mit  Joel Klaas.
Ahmet Altincioglu im Seegespräch mit Joel Klaas. © Joel Klaas

Wie ging es dann für Sie weiter?

Ich war acht Jahre alt, hätte in der Türkei noch ein Jahr gebraucht, bis ich die Grundschule hätte abschließen können. Dadurch, dass ich kein Wort Deutsch konnte, wurde ich in der Grundschule sozusagen aus der vierten Klasse in die erste Klasse zurückversetzt. Als ich die Sprache dann beherrschte, wurde ich später wieder ein paar Jahrgänge nach vorne versetzt, aber das war schon eine harte Zeit. Ich war der mit Abstand Älteste in der Klasse und musste erst einmal die Sprache lernen. Das war keine einfache Zeit, aber ich bin froh, dass ich die deutsche Sprache von Grund auf erlernen konnte.

Nach der Grundschule ging es für Sie auf die Hauptschule am Pulverturm in Meschede. Wie blicken Sie heute auf diesen Zeitraum zurück?

Das war eine schöne Zeit, in der natürlich viel passiert ist. Ich habe dort dann die Schule abgeschlossen und habe eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker angefangen. Das war irgendwie der nächste, logische Schritt, weil mein Vater auch schon Kraftfahrer war. Das Benzin lag mir sozusagen schon im Blut.

Kfz-Mechaniker sind Sie im Anschluss an Ihre Ausbildung aber nicht lange geblieben?

Nein, das stimmt. Ich habe meine Ausbildung beendet und hatte dann Kollegen, die bei Honsel ohne Ausbildung deutlich mehr verdient haben als ich. Ich hatte als Geselle etwa 800 Mark im Monat, die anderen Jungs ohne Ausbildung knapp 2000 Mark. Ich dachte mir: ‘Das kann doch nicht sein’ und bin dann über Kontakte zur Firma Falke in Schmallenberg gekommen. Dort habe ich dann als Schlosser gearbeitet und war auch mit dem Gehalt sehr zufrieden.

...trotzdem hat es Sie auch da scheinbar nicht lange gehalten?

Genau, nachdem ich ein paar Jahre dort war, hat es mit der Kurzarbeit angefangen. Erst war es ein Tag weniger Arbeit, dann zwei und drei Tage. In der Zeit habe ich mir Gedanken gemacht und mir überlegt, wie ich sicher Geld verdienen könne. Auch durch meinen Vater bin ich dann darauf gekommen, den Lkw-Führerschein zu machen. Als ich Anton Rettler getroffen habe, der Busunternehmer aus Remblinghausen, hat er mir ans Herz gelegt, doch auch den Busführerschein zu machen. Er hat mich dann dabei unterstützt und wenig später habe ich dann schon hinter dem Steuer gesessen. Das war 1989.

In den 90er-Jahren wurden Sie vom Unternehmen dann vor allem für Fernreisen eingesetzt. Wie kam es dazu?

So ist es. Ich hatte Lust darauf, die Welt zu sehen. Es gab keinen Job, in dem man das sonst so gut hätte machen können, deshalb war ich froh darum. 20 Prozent der Zeit war ich im Linienbetrieb unterwegs, 80 Prozent im Reisedienst. Das war eine extrem schöne Zeit, an die ich gerne zurückdenke.

Welche Erfahrungen macht man als Reise-Busfahrer?

Das kann ich so gar nicht in kurzen Worten zusammenfassen. Es ist unglaublich, was ich alles erlebt habe. Ich bin bestimmt zehn mal an der Cote d’Azur in Frankreich entlang gefahren, habe die Schweiz, Österreich, die Balkanstaaten, ganz Skandinavien gesehen. Da waren so unglaublich schöne Orte dabei, das kann ich gar nicht in Worte fassen.

Gab es ein Ereignis, an das Sie sich besonders gerne zurückerinnern?

Ja, das war ein Tag im tiefsten Winter. An die Situation erinnere ich mich besonders gerne, weil ich im Bus mit einem Hilfs-Fahrer unterwegs war, mit dem ich mich ganz besonders gut verstanden habe, der allerdings bei einem Autounfall vor einigen Jahren verstorben ist. Wir waren in Zermatt in der Schweiz unterwegs, es war tief verschneit. Wir kamen in dem Ort an, es gab aber keine Möglichkeit, den Bus irgendwo abzustellen. Irgendwann sahen wir einen Platz in der Mitte des Ortes. Wir dachten: Da können wir doch sicher wenden. Nach einigen Minuten kam wild gestikulierend ein Dorfpolizist auf uns zu und fragte uns, wie wir die Unverschämtheit besitzen könnten, mitten auf deren Gartenanlage zu parken (lacht). Weil es so verschneit war, haben wir nicht gesehen, dass wir auf einer Park ähnlichen Anlage standen. Nach zwei Stunden, in denen wir uns dort festgefahren hatten, wurden wir von einer 30-Tonnen-Raupe geborgen. Das werde ich nie vergessen (lacht).

Ihre Zeit als Busfahrer sollte trotz solcher Erfahrungen irgendwann enden. Wie kam es dazu?

Meine Frau war mit Zwillingen schwanger. Wir hatten schon zwei kleine Kinder zu Hause und dann kamen noch zwei. Meine Frau konnte ich zu Hause nicht alleine lassen, ich war im Reisedienst ja ständig über mehrere Tage unterwegs. Also musste ich mir etwas anderes überlegen und habe mich bei Knipschild beworben. Dort konnte ich dann Tagesfahrten und Linienbus-Fahrten machen, das hat besser gepasst.

Trotzdem haben Sie sich irgendwann dazu entschieden, noch eine Tankstelle zu übernehmen.

Ja richtig, das war 2005. Ich wollte mich selbstständig machen und habe dann neben der Tankstelle bis 2013 trotzdem noch weiter Reisebus-Fahrten gemacht. Ich kam einfach nicht davon los. Seit 2013 bin ich aber wirklich nur noch Tankstellen-Betreiber und arbeite nur noch gelegentlich als Busfahrer.

Sie sind jetzt 57 Jahre alt. Wie stellen Sie sich Ihren Lebensabend vor?

In der Türkei. Zum einen ist meine Mutter dort allein und nicht mehr so fit. Ich möchte für sie da sein und plane deshalb, bald wieder in die Türkei zu gehen mit meiner Frau.

Werden Sie das Sauerland also komplett verlassen? Und: Was wird aus der Tankstelle?

(Lacht) Also die Tankstelle ist in guten Händen, die übernimmt mein Sohn. Und natürlich werde ich Meschede nicht komplett verlassen, denn alle meine vier Kinder leben hier mit ihren Kindern und Familien. Daher werde ich immer wieder zurück kommen, da bin ich mir sicher.