Meschede/Manchester. Dr. Kristina Tschunkert wird in der 8. Klasse vom Gymnasium auf die Realschule versetzt. Heute ist sie Dozentin einer renommierten Uni in England.

Den britischen Akzent hat sie mittlerweile auch in ihre Muttersprache übernommen. Dass Kristina Tschunkert ihren Lebensmittelpunkt seit gut 13 Jahren nicht mehr in Meschede – sondern ins internationale Ausland – verlagert hat, kann sie allein ob ihrer Aussprache kaum verheimlichen. Aber das will sie auch gar nicht. Sie ist stolz auf sich und ihren Lebensweg. Dass sie es aus der Kleinstadt hinaus geschafft hat in die weite Welt, in der sie als promovierte Doktorin im Bereich der Konfliktforschung wissenschaftliche Arbeit betreibt.

Keine gute Schülerin

Die St.-Walburga-Realschule in Meschede.
Die St.-Walburga-Realschule in Meschede. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Dass das so kommen würde, hat sie in der achten Klasse am Städtischen Gymnasium in Meschede selbst kaum für möglich gehalten. Kristina Tschunkert ist eine schlechte Schülerin. Das sagt sie selbst über sich. „Ich habe nie gelernt, zu lernen“, sagt sie. Die Noten – vor allem in den MINT-Fächern – sind schlecht. Versuche, die Noten zu verbessern, scheitern. Konsequenz: Nach der achten Klasse verlässt sich das Gymnasium und geht auf die Walburga-Realschule. Für Tschunkert fühlt sich das zu dieser Zeit nach einer Niederlage an. In diesem Fall sollte ein augenscheinlicher Schritt zurück aber auch viele Schritte nach vorn bedeuten.

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Auf der Walburga-Realschule lernt sie einen Englisch-Lehrer kennen, dem sie bis heute dankbar ist. „Herr Nübold, ich glaube so hieß er, hat mein Talent für Sprachen entdeckt. In Fächern wie Mathe oder Physik war ich nie gut. Er hat dann aber mein Interesse für Sprachen erkannt und mich gefördert. Hätte er dieses Talent nicht erkannt, weiß ich nicht, wo ich heute wäre“, sagt die Tochter eines Elektrikers aus Meschede.

Wechsel auf Sprachen-Schule in Brilon

Sie absolviert die zehnte Klasse und wechselt anschließend auf die Sprachen-Schule in Brilon. Dort absolviert Tschunkert ihr Fach-Abitur und entdeckt in Spanisch und Französisch weitere Sprachen, die ihr gut liegen. Von ihrem Wohnhaus an der Sparkasse in der Mescheder Innenstadt fährt sie mit dem Bus täglich fast eine Stunde, um zur Schule in Brilon zu kommen. Doch das ist es ihr Wert. Tschunkert merkt: Sprachen – sie liegen ihr.

Tschunkert bewirbt sich nach dem Fach-Abitur auf eine Ausbildungsstelle zur Industriekauffrau bei der Firma Severin in Sundern. Aufgrund ihrer guten Englisch-Kentnisse kümmert sie sich vor allem um den Export-Bereich des Herstellers für Elektrogeräte. Sie merkt jedoch: Einen normalen Bürojob kann sie sich langfristig nicht vorstellen. Mit 23 Jahren spart sie auf eine Weltreise hin. Über zehn Monate erkundet sie Thailand, Indonesien, Neuseeland, Hawaii, Costa-Rica und die USA. Nach ihrer Rückkehr steht für sie fest, dass sie Tourismusmanagement im niederländischen Breda studieren will – und setzt den Plan in die Tat um.

Leidenschaft in Niederlanden entdeckt

In Breda entdeckt Tschunkert ihre Leidenschaft für die Entwicklungsforschung. Innerhalb eines Projekts reist sie nach Myanmar. „Kern der Forschung war, festzustellen, wie Tourismus der Wirtschaft und der Bevölkerung in Ländern der dritten Welt vor Ort helfen können. Das war eine extrem aufregende Zeit“, erinnert sie sich. Sie schreibt ihre Abschlussarbeit zu dem Thema und schließt einen Master an der University og East Anglia im englischen Norwich an.

Der Studiengang „Internationale soziale Entwicklung“ fasziniert sie. Und bringt sie innerhalb eines weiteren Forschungsprojekts in den Libanon, wo sie die Auswirkungen der syrischen Migration nach dem Krieg dort erforscht. Zehn Monate lebt sie im Libanon, lernt dort Menschen kennen, denen sie heute noch freundschaftlich verbunden ist. Was sie am meisten fasziniert ist der Umgang der Menschen mit „Fremden“ wie ihr. „Die Leute dort haben mich einfach aufgenommen, als wäre ich schon seit Jahren fester Teil der Familie. Das wurde gar nicht diskutiert. Wenn ich zu Gast war, war ich fester Bestandteil der sozialen Gruppe dort“, sagt sie.

Den Studiengang schließt sie als Jahrgangsbeste ab. Es folgt ein Engagement für das Schwedische Institut SIPRI („Stockholm International Peace Research Institute“). Tschunkert zieht aus England nach Stockholm – „der schönsten Stadt, die ich vermutlich je kennengelernt habe“, sagt sie. Nach der Arbeit zieht es sie oft in die Natur rund um die Stadt. Ob man ihr daran ihre Wurzeln im Sauerland anmerkt? „Vermutlich, ja“, lacht sie.

Jobangebot aus Manchester

Nach rund anderthalb Jahren in Schweden meldet sich im vergangenen Sommer eine ehemalige Professorin bei Tschunkert – Mit einem Jobangebot als Dozentin an der University of Manchester. Im Studiengang „Friedensforschung und Konfliktlösung“ hält sie Vorträge und arbeitet an Themen der Konfliktforschung. „Der Job macht unglaublich viel Spaß“, sagt sie. Was sie am meisten begeistert ist jedoch die Tatsache, dass sie – eben wie vor vielen Jahren ihr Englischlehrer – jungen Menschen Rat geben kann. Sie will motivierte Studenten fördern, ihnen einen Weg aufzeigen. „Ich habe das Gefühl, dass ich damit das richtige tue“, sagt sie.

Ob sie auch langfristig in Manchester bleiben möchte, steht für sie noch nicht fest. Ihr Arbeitsvertrag ist auf zwei Jahre befristet. Was danach kommt, ist noch unklar. Sicher ist jedoch, dass Tschunkert nicht mehr nach Meschede zurückkehren möchte. „Deutschland kann ich mir auf jeden Fall vorstellen. Dass es Meschede wird, aber eher nicht“, sagt sie. „Um meine Eltern und deren Hund zu besuchen, aber immer wieder gerne.“

>>> Zur Person

Kristina Tschunkert ist 36 Jahre alt und lebt mit ihrem Partner im englischen Manchester.

Aktuell ist sie nach eigenen Angaben etwa zwei bis drei Mal im Jahr bei ihren Eltern in Meschede.

Ihr Vater arbeitet als Elektriker und Hausmeister für die Sparkasse in der Mescheder Innenstadt.

Zwischen 2016 und 2020 promovierte Tschunkert im Gebiet der Konfliktforschung und ist seither Doktorin der Philosophie.