Schmallenberg/Meschede. Die Studie zur Lesekompetenz hat die Schmallenberger Buchhändlerin Katrin Föster nicht überrascht. Wo sie den Hebel ansetzen würde.
Katrin Föster ist Buchhändlerin aus Leidenschaft. Vier Standorte betreibt sie mittlerweile - neben Schmallenberg und Meschede außerdem Arnsberg und Winterberg. Die neue IGLU-Studie zur Lesekompetenz der Viertklässler hat sie nicht überrascht. Was die Buchhändlerin und ihr Team bereits alles für die Leseförderung tun, welche Grenzen ihr gesetzt werden und was die Meschederin von der Politik erwartet.
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Jeder vierte Viertklässler in Deutschland kann nicht richtig lesen, so das Ergebnis der neuen IGLU-Studie. Hat Sie das überrascht?
Nein. Für diejenigen, die sich mit dem Thema beschäftigen, ist das nichts Neues. Mit dem Stand der Technik kann man seit Jahren beobachten, wie die Lesekompetenz abnimmt. Mittlerweile haben ja sogar schon Grundschüler ein eigenes Smartphone. Seine Zeit kann man nur einmal nutzen - wenn man sich stundenlang mit dem Handy beschäftigt, wird in dieser Zeit nicht gelesen. Die Frage ist ja auch, was wird zu Hause vorgelebt? Und je nach Sozialisierung ist die nächste Frage, ob Kindern zu Hause überhaupt noch vorgelesen wird.
Inwiefern engagieren Sie sich als Buchhandlung für die Leseförderung?
Wir bieten sehr viel an, und das schon seit einigen Jahren. Der Kollege in Meschede zum Beispiel macht einmal in der Woche die Ausleihe in der ortsansässigen Schulbücherei. An den sogenannten Vorlesetagen gehen Kollegen aus unserem Team in die Schulen, wir bieten Büchertische in den Kindergärten an und veranstalten Vorlesewettbewerbe an den Schulen - in der Regel in den vierten Klassen in Meschede. Dann gibt es den Lesekoffer mit 60 Titeln für die Klassen 1 bis 4, den wir den Schulen zur Verfügung stellen. Das ist leider während Corona eingebrochen, auch weil die Schulen selbst so viele Anforderungen erfüllen müssen, das ihnen dafür einfach die Zeit fehlt. Am Welttag des Buches beteiligen wir uns immer an der Aktion „Ich schenk dir eine Geschichte“ des Deutschen Börsenvereins und der Stiftung Lesen. Über 900 Bücher haben wir in diesem Jahr darüber verteilt und passend zur Geschichte eine Rallye vorbereitet. Die Lösungszettel kommen anschließend in eine Verlosung. Die Gewinne: natürlich Bücher. Für die Schulen ist das alles kostenlos, für mich als Buchhändlerin aber nicht.
Was meinen Sie damit?
Ich will damit nur sagen, dass mir als Einzelhändlerin auch Grenzen gesetzt sind. Leseförderung liegt mir sehr am Herzen. Wir legen den Fokus gern auf das Buch, aber wir müssen auch wirtschaftlich denken. Wenn ich Kollegen für derartige Aktionen abstelle, bindet das Personal und verursacht automatisch Kosten. Manchmal fühlt man sich schon wie der Kämpfer allein auf weiter Flur.
Müssten denn Ihrer Meinung nach Schulen oder Kindergärten mehr tun?
Nein. Schulen und Kindergärten haben mittlerweile so viele Aufgaben, dass das nicht mehr zu leisten ist. Die Dokumentation in den Kindergärten raubt zum Beispiel unheimlich viel Zeit, die natürlich dann fürs Vorlesen fehlt. Ganz abgesehen davon, dass das Personal ohnehin knapp ist. Viele Kinder sind aber auch nicht mehr in der Lage, länger still zu sitzen und zuzuhören. Ich sehe das vielmehr als gesellschaftliches Problem. Das sind Aufgaben, die in erster Linie das Elternhaus übernehmen muss. Vorlesen, die Kinder zum Lesen motivieren usw. Entweder Eltern haben das nicht gelernt, oder sie haben keine Zeit, oder kein Interesse. Da geht die Schere leider auch sehr weit auseinander. Die, die zu Hause voll gepackte Bücherregale haben, denen viel vorgelesen wird und die selbst auch gern lesen, besuchen regelmäßig die Büchereien oder Buchhandlungen und begeistern sich für Aktionen zur Leseförderung. Die Kinder und Eltern zu erreichen, die eigentlich gefördert werden müssten, ist dagegen schwierig.
Glauben Sie, dass es ein Stadt-Land-Gefälle gibt?
Davon bin ich überzeugt. Wir sind hier traditioneller unterwegs. Oft kümmern sich auch noch Omas und Opas um die Kinder. Und auch die Klassenzusammensetzung ist eine andere als in vielen Großstädten, der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund einfach deutlich kleiner.
Welche Rolle spielt die Migration?
Auch eine große. Flüchtlingskinder in den Schulen zu integrieren, ist für die Lehrer sicherlich eine Herausforderung, die Zeit und Energie kostet. In einigen Kulturkreisen gehen die Kinder auch erst später in den Kindergarten. Und das Buch hat in manchen Kulturkreisen auch gar nicht so einen hohen Stellenwert wie bei uns. Wenn diese Kinder dann weder im Elternhaus mit Büchern in Kontakt kommen oder erst spät im Kindergarten, sind sie anderen Gleichaltrigen gegenüber direkt benachteiligt. Erschwerend hinzu kommt die Sprachbarriere.
Was ist Ihrer Meinung nach der große Hebel? Was muss sich ändern?
Dass Verlage extra Buchreihen entwerfen, mit Texten in vereinfachter Form mit kurzen Sätzen und einfachen Begriffen, ist meiner Meinung nach nicht die richtige Lösung. Auch wenn der Zugang dann leichter fällt. Im Grunde sinkt aber das Niveau nur weiter. In der Gesellschaft muss ein Umdenken stattfinden.
Das klingt nach einer kaum zu lösenden Aufgabe.
Das ist natürlich ein ganz schwieriges Feld. Wir könnten aber zum Beispiel mal auf die Länder gucken, die gut in der IGLU-Studie abgeschnitten haben. Das sind zum Beispiel Singapur und Großbritannien. Ich bin aber auch der Meinung, dass die Politik in der Verantwortung ist. Warum kann man nicht ein Sondervermögen für die Bildung auflegen? Für die Bundeswehr war das innerhalb kürzester Zeit möglich. Am Ende handelt es sich doch um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wer gar nicht oder nur schlecht lesen kann, wird in der Arbeitswelt später wenig Chancen haben. Eine gute Bildung legt den Grundstein für alles Weitere. Das würde vermutlich einige Probleme lösen und in vielen Bereichen Geld sparen, allein mit Blick auf unser Sozialsystem oder auch den Fachkräftemangel.
Infobox:
Die aktuellen Ergebnisse der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) zeigen erneut eine Verschlechterung der Leseleistungen deutscher Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich. Besorgniserregend ist, dass ein Viertel aller Viertklässler den festgelegten Mindeststandard nicht erreicht.
Seitdem es die Studie gibt, nimmt die Lesekompetenz deutscher Viertklässler immer mehr ab. Deutschland hat bisher fünfmal teilgenommen: in den Jahren 2001, 2006, 2011, 2016 und 2021. In Hinblick auf die Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit hat sich in den letzten 20 Jahren in Deutschland praktisch nichts verändert, lautet ein Ergebnis der Studie.
Daraus entstehen nicht nur individuelle Probleme, sondern auch Probleme für die gesamte Gesellschaft. Wer nicht gut lesen kann, kann auch keine Ausbildung erfolgreich abschließen und ist anfälliger für Fake-News.