Bad Fredeburg. In Bad Fredeburg wird mit einem Messer brutal auf einen Passanten eingestochen. Der Richter spricht von versuchtem Totschlag.

Der Angeklagte ist vielen Bad Fredeburgern aus dem Ortsbild bekannt. Und auch Richter Ralf Fischer kennt den 35-Jährigen nur zu gut. Das führte jetzt dazu, dass der Richter persönlich dafür sorgte, dass der Angeklagte pünktlich zum Gerichtstermin erschien.

Er hatte den schlaksigen jungen Mann nämlich auf dem Weg zum Prozess an einer Bushaltestelle entdeckt, ihn dann von der Polizei auflesen und in den Gerichtssaal befördern lassen. „Ich musste Ihnen ein Taxi bestellen“, kommentierte das der Richter ironisch. Und nahm es auf die leichte Schulter, dass der Angeklagte auf den Bus in Richtung Schmallenberg gewartet hatte und eigentlich gar nicht zur Hauptverhandlung am Amtsgericht hatte erscheinen wollen.

Die Anklage: gefährliche Körperverletzung

Nervös nahm der Angeklagte Platz neben seinem Verteidiger. Er habe einen Kaffee in Schmallenberg trinken wollen, erklärte er. Dabei sprach er so schnell und leise - mehr mit sich selbst - dass alle Weitere Erklärungen nicht zu verstehen war. „An der Haltestelle hatten Sie eine leere Bierflasche in der Hand“, sagte der Richter. „Seit wann konsumieren Sie Alkohol und Drogen?“ Auch die Antwort auf diese Frage ist fahrig und kaum zu verstehen.

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Vor dem Discounter in Bad Fredeburg hat sich die Messerstecherei ereignet.
Vor dem Discounter in Bad Fredeburg hat sich die Messerstecherei ereignet. © Archiv

Gefährliche Körperverletzung lautete die Anklage an diesem Tag. Vorstrafen hat der 35-Jährige schon einige angesammelt: Diebstahl, Wohnungseinbruch, exhibitionistisches Verhalten und mehr. Konkret ging es jetzt am Amtsgericht um einen Vorfall vor dem Aldi in Bad Fredeburg im März 2022. Ein Streit zwischen einem Passanten und dem Angeklagten war so eskaliert, dass dieser ein Messer gezogen und einen 29-jährigen Bad Fredeburger am Handgelenk verletzt hatte.

Bleibenden Folgen insbesondere für einen Handwerker einschneidend

„Bis heute ist der Daumen taub und ich habe wenig Kraft im Handgelenk“, berichtete der Geschädigte, der als Zeuge geladen war. Nerv und Muskel seien durchtrennt gewesen, er musste operiert werden, so der gelernte Bauschlosser. Dass die bleibenden Folgen insbesondere für einen Handwerker einschneidend seien, fasste Richter Fischer zusammen, er weiß aber auch: „Bei dem Angeklagten ist nichts zu holen. Nach dem Opferentschädigungsgesetz haben Sie jedoch einen Schadensersatz-Anspruch - darum müssen Sie sich kümmern. Nehmen Sie den Rat an.“

Wie es überhaupt soweit kommen konnte, konnte auch der 29-jährige Geschädigte nicht erklären. Weil der Angeklagte vor einem angeleinten Hund am Eingang des Discounters „einen Kasper gemacht hatte“ und das Tier verängstigt wirkte, hatte der 29-Jährige ihn angesprochen und aufgefordert, den Hund in Ruhe zu lassen. Er selbst war mit seinem Hund zum Spaziergang unterwegs. Den Angeklagten habe er bis dahin nur vom Sehen her gekannt. Streit habe der kräftig gebaute Handwerker bislang nicht mit ihm gehabt. „Ich wollte ihn nur zur Rede stellen“, ergänzte der Zeuge. „Das geht nie gut aus“, warnte der Richter mit Nachdruck.

Streit zwischen zwei jungen Männern eskaliert

Der Streit zwischen den jungen Männern eskalierte - „ich habe nur noch gesehen, wie das Messer von oben angeflogen kam“, erzählte der Zeuge. Mit der Hand habe er abwehren können, dass es im Hals landete.

Als die Polizei am Tatort eintraf, war der Krankenwagen schon vor Ort. Blutspuren auf dem Asphalt wurden festgehalten. Die Beamten griffen den Angeklagten „völlig verängstigt“, aber auch „alkoholisiert und unter Drogen“ auf, wie ein Polizist dem Richter als Zeuge erklärte. „Er war sehr redselig, fast schon hyperaktiv.“ Habe immer wieder von Notwehr gesprochen. Es folgte die Zwangseinweisung. Nach der Tat war er vier Wochen lang in Marsberg untergebracht.

Akute Psychose

In seiner Version des Tathergangs sprach der Angeklagte von einer Verfolgungsjagd über den Parkplatz und einem weiteren Beteiligten, der aus einem Auto gestiegen sei. Aus Angst habe er das Messer gezogen - „das habe ich immer dabei, für mein Schnitzelbrötchen oder Matjes.“ Auch habe er nicht zugestochen, vielmehr habe sich der 29-Jährige beim Gerangel selbst daran geschnitten.

„Für mich ist der Sachverhalt sehr klar“, sagte Richter Ralf Fischer. Der Gutachter hatte ihn mit seiner Einschätzung noch bestärkt. Der Angeklagte leide demnach unter Wahn-Vorstellungen. Die akute Psychose sei auch der Hauptgrund für die soziale Ausgrenzung. Alkohol und Drogen verstärkten dies. Aufgrund der Schizophrenie sei der 35-Jährige auch nicht in der Lage, eine Entwöhnungsbehandlung erfolgreich zu Ende zu bringen.

Unterbringung in Psychiatrie

Gerichtsakten liegen auf dem Tisch des Richters.
Gerichtsakten liegen auf dem Tisch des Richters. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Eine Unterbringung nach Paragraf 63 muss in Erwägung gezogen werden“, fasste Richter Fischer zusammen. Gemeint ist damit die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Auch den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung könne er nach den Zeugenaussagen so nicht stehen lassen. Es gehe hier um versuchten Totschlag.

Richter Fischer will nun prüfen, ob er das Verfahren mit Blick auf die Schwere der Tat und der Folgen an die Große Strafkammer - ans Landgericht Arnsberg - abgibt. Weil sich der Angeklagte bereits der Hauptverhandlung in Bad Fredeburg entziehen wollte und um das weitere Verfahren zu sichern, wurde der 35-Jährige in die JVA eingewiesen.