Meschede. Modistin Eva Siebert erklärt, wer alles Hüte tragen kann und warum die Meschederin ihre Wahlheimat Wien nicht wieder verlassen will.
Was sie so genau nach ein paar Umwegen ins Hut-Handwerk gezogen hat, das kann Eva Siebert aus Meschede gar nicht mehr erklären. Aber schon bei ihrem ersten Probearbeiten habe sie gemerkt, dass sie die Handarbeit, der Umgang mit Filz, Stroh und Stoffen, mit Bügeleisen und Nähnadel „glücklich macht“. Sie blieb dabei. Heute hat die 37-jährige Modistin ihr eigenes Geschäft in Wien: „Biester. Ein Gespräch über Hut-Gesichter und die österreichische Hauptstadt.
Gibt es Menschen mit Hut-Gesicht?
Eva Siebert: Ja, die gibt es tatsächlich, wenn auch nur wenige. Die können praktisch jedes Modell aufsetzen und es steht ihnen. Aber auch für alle anderen findet sich mit individueller Beratung und der entsprechenden Auswahl die passende Kopfbedeckung. Oft kann dabei ein Zentimeter den Unterschied machen. Deswegen verkaufe ich hauptsächlich Maßanfertigungen und habe mich unter anderem auch deswegen gegen einen Online-Shop entschieden. Es macht mir einfach Spaß, Menschen dabei zu helfen, super auszusehen.
Wie sollte ein Hut sitzen?
Dafür gibt es ein paar Regeln, zumindest wenn man es klassisch betrachtet. Er sollte über den Augenbrauen sitzen und nicht über die Ohren rutschen. Aber eigentlich ist man da frei. Wenn man mag, darf er auch nur auf dem Hinterkopf platziert werden. Man sollte sich nur damit wohlfühlen.
Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?
Klassisch, aber modern interpretiert, mühelos. Ich mag keinen Schnickschnack, dafür dürfen meine Kreationen aber gern schon mal farbenfroh und auch witzig sein.
Wer sind Ihre Kunden?
Das reicht von ganzen normalen Hut- oder Kappenträgern, über Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen auf eine Kopfbedeckung angewiesen sind und Kunden, die für einen besonderen Anlass, zum Beispiel eine Hochzeit, etwas suchen, bis zu denjenigen, die sich gar nicht vorstellen können, ohne Hut aus dem Haus zu gehen, weil sie es immer schon so gewohnt waren. Zuletzt hatte ich eine junge Kundin, die UV-Licht nicht vertrug. Für sie habe ich dann mit UV-undurchlässigen Folien gearbeitet. Aber ich fertige auch fürs Theater oder für Foto-Shootings. Alles sehr individuell.
Haben Sie auch unverkäufliche Lieblingsstücke?
Nein, was ich herstelle, verkaufe ich auch. Ich könnte es mir ja jederzeit wieder neu anfertigen.
Und was würden Sie gern noch schaffen?
Ich würde gern mal einen Kostümfilm ausstatten. Auch die Kooperation mit Mode-Labels würde ich gern ausbauen. Cool wäre es natürlich auch, wenn irgendwelche Berühmtheiten sich mal für eine meiner Kreationen entscheiden. Und ich würde gern selbst ausbilden. Dafür fehlen mir bisher leider Zeit und Geld.
Wofür steht eigentlich Biester-Hutmode?
Biester ist ein Anagram, also ein Wort, das durch die Umstellung der Buchstaben meines Nachnamens entstanden ist. Siebert klang mir zu langweilig.
Seit zehn Jahren leben Sie jetzt in Wien und wollen die Stadt auch nicht mehr verlassen, obwohl Eltern und Geschwister in Meschede leben?
Ich komme gern ins Sauerland zu meiner Familie und zu Freunden, aber Wien ist eine tolle Stadt mit sehr viel Lebensqualität. Das Wetter ist beständig, die Stadt ist sehr grün, hat schon südliches Flair, alles ist ein wenig entspannter. Manches dauert deswegen auch länger, daran muss man sich als Deutsche erstmal gewöhnen (lacht). Doch auch wenn hier 1,9 Millionen Menschen leben, hat es eher einen dörflichen Charakter. Man kann dort auch gut leben, weil Wien einen großen Anteil Sozialbauten hat. 60 Prozent der Wiener Bevölkerung leben in einer geförderten oder einer Gemeindewohnung. Dadurch bleibt das Leben in der Großstadt auch für Familien erschwinglich. Wien gehört nicht umsonst zu den lebenswertesten Städten der Welt. Aktuell sind wir mal wieder laut einer britischen Studie auf Platz eins, vor Kopenhagen und Zürich. Gleichzeitig ist das kulturelle Angebot riesig und ich fürchte, mit meinem Hutladen wäre es für mich im Sauerland deutlich schwerer, genügend Kundschaft zu finden.
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Hatten Sie bei Ihrem letzten Besuch im Sauerland einen Hut dabei?
Nur eine Pelzmütze aus Lammvelours - auch wenn es dann gar nicht so kalt war. Die Mütze passt sich an.
Hintergrund
Eva Siebert stammt aus Meschede. Nach dem Abitur am Städtischen Gymnasium ging sie erst für ein FSJ nach Bolivien. Anschließend studierte sie Soziale Arbeit in Berlin.
Nach dem Bachelor-Abschluss und einem kurzen Abstecher ins Lehramt-Studium, begann sie eine Ausbildung zur Modistin in Berlin-Charlottenburg bei „Chapeaux“.
Nach ihrem Abschluss bewarb sie sich in Wien bei der Hutmanufaktur Mühlbauer. Dort blieb sie sieben Jahre, bevor sie sich 2020 in der Großen Pfarrgasse 12 selbstständig machte. Daneben unterrichtet sie Modisten an der Wiener Berufsschule. Der Nachwuchs ist überschaubar. Im kommenden ersten Lehrjahr hat sie genau einen Schüler.
Eva Siebert ist 37 Jahre alt und Mutter einer siebenjährigen Tochter.