Schmallenberg. Der Schmallenberger Arzt Prof. Dr. Dieter Köhler blickt auf die derzeitige Corona-Lage und erläutert seine Meinung zur vierten Impfung.
Prof. Dr. Dieter Köhler ist Lungenfacharzt und Vorsitzender des Vereins „Sokrates – kritische Rationalisten“. Dieser Verein gibt regelmäßig neue Veröffentlichungen raus, die sich unter anderem auf die aktuelle Lage der Corona-Pandemie beziehen. In der aktuellen Veröffentlichung geht es um die Fragestellung, ob die Pandemie vorbei ist. Zu diesem Thema hat Prof. Dr. Dieter Köhler Fragen beantwortet:
Warum muss man noch eine Maske in Bus und Bahn tragen? Wie stehen Sie zu dieser Regel?
Die Masken senken die Viruslast um 50 bis 70 Prozent. Sie reduzieren die Infektion, verhindern sie aber in der Regel nicht. Ihr entscheidender Vorteil liegt in der Reduktion der Zahl der eingeatmeten Viren, denn damit hat das Immunsystem mehr Zeit zu reagieren. Deswegen haben Masken einen erheblichen Einfluss auf lebensbedrohliche Verläufe. Das ist auch plausibel, wenn man beispielsweise in einer kleinen Kneipe mehrere Stunden an der vollen Theke steht. Dann kann man schon mal über 50.000 Viren inhalieren, wenn ein Superspreader im Raum ist. Damit entstehen sofort große Virusmengen im Körper, die das Immunsystem überrollen können. Da wir uns vermutlich alle bereits mit dem Coronavirus infiziert haben (oft unmerklich), sollte man mit allen Beschränkungen aufhören. Also auch keine Masken mehr tragen im Bus oder Bahn.
Warum gibt es überhaupt noch Corona-Regeln?
Wir haben gesehen, dass wir im Moment außerordentlich viele Infektionen haben („Sommer-Grippe“). Das hängt wohl auch damit zusammen, dass wir in der Zeit des Lockdowns wegen der reduzierten sozialen Kontakte fast keine Infektionen hatten. Unser Immunsystem holt das jetzt nach. Viele mit einem positiven Testnachweis und erheblichen allgemeinen Symptomen (Kopfschmerzen, Fieber, Schwäche) haben die nur selten vom Omikronvirus, sondern von einem anderen Virus, der gerade vorherrscht. Aber für den gibt es keine Schnelltests, deshalb wird er auch nicht gefunden. Infolge der Beschwerden testet man sich aber trotzdem und findet den Omikronvirus, den man möglicherweise auch vorher schon mal hatte. Viele hatten es gar nicht gemerkt.
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Was kommt im Herbst auf uns zu? Denken Sie, dass es „Killervarianten“ (Lauterbach) gibt?
Der Herbst wird wohl so sein wie in den letzten Jahrzehnten, sozusagen mal so, mal so. Es ist natürlich immer eine Grippewelle möglich. Deswegen macht es auch Sinn, sich gegen Grippe impfen zu lassen, und zwar jedes Jahr, damit man eine breite Antikörperpalette entwickelt. Auch hier schützt die Impfung selten vor der Infektion, aber eben vor schweren, lebensbedrohlichen Verläufen. Die Omikron-Variante ist sehr ansteckend, verläuft zum Glück aber recht milde. Im Moment spricht vieles dafür, dass der Coronavirus im Herbst nicht dominierend sein wird. Das mit der Killervariante ist natürlich reine Panikmache für die es keinen konkreten Verdacht gibt. Ein Gesundheitsminister sollte objektive Daten vermitteln und eher positiv denken, also Mut machen und etwas mehr Gelassenheit verbreiten; was ja auch den Tatsachen entspricht.
Ist es sinnvoll, noch Corona-Regeln zu verhängen? Ist es sinnvoll, wenn Menschen selbst etwas freiwillig zum Schutz tun? Was?
Es zeigt sich immer mehr, dass unser Immunsystem eine gewisse Basisrate an Atemwegsinfekten benötigt, um fit zu sein. Es gibt zum Teil neue Krankheitsbilder wie zum Beispiel Leberentzündungen bei Kindern. Diese Leberentzündung hatte nichts mit der Impfung oder mit Coronainfektionen zu tun. Es zeigte sich, dass es vergleichsweise harmlose Adenoviren waren, die normalerweise gar keine Rolle spielen. Vielleicht hatten sie leichteres Spiel, wenn das Immunsystem länger nicht trainiert wurde. Deswegen benötigt man jetzt auch keine Schutzmaßnahmen mehr. Wenn jemand ängstlich ist, kann er natürlich weiterhin eine Maske tragen. Sinnvoll ist das nur in kleineren Innenräumen, denn draußen gibt es nachgewiesenermaßen keine Ansteckung.
Was war rückwirkend die wirkungsloseste Corona-Maßnahme? Und was war die einschneidenste?
In einer sehr großen Metaanalyse (Auswertung von über 18.000 Literaturstellen) aus der berühmten Johns-Hopkins-Universität zeigte sich, dass drei Faktoren die Todesrate der Pandemie reduziert haben: die Impfung, die Schließung von Bars und Kneipen (nicht Restaurants) und die Masken. Das ist auch plausibel, wie oben schon angedeutet. Überhaupt nichts gebracht haben Grenzschließungen, Schulschließungen und viele andere Maßnahmen. Und natürlich bleibt es wichtig, dass Patienten mit echter Covid-Infektion (schwere Lungenentzündung) richtig behandelt werden. In Grafschaft haben wir diese praktisch nie intubiert und damit sind sie auch nicht gestorben, wenn sie nicht vorher schon schwer krank waren.
Bekommen wir eine Grippe-Welle? Wie gut sind unsere Immunsysteme noch auf andere Krankheiten vorbereitet (Das Masketragen und Nutzen von Desinfektionsmittel in den vergangenen Monaten hat uns doch bestimmt einige Abwehrkräfte gekostet).
Im Wesentlichen ist das schon beantwortet. Die Hände- oder Oberflächendesinfektion war sinnlos, da das Virus nicht über die Hände übertragen wird. Das wusste man aber schon vor dem Ausbruch der Pandemie. Geschadet hat das allerdings nicht, bei häufiger Anwendung lediglich der Haut. Es ist nicht vorhersehbar, wie stark die Grippewelle sein wird. Was ich aktuell in der Infektambulanz sehe, sind schon nicht wenige Grippefälle, was eher unüblich für diese Jahreszeit ist. Übrigens nicht selten mit positivem Coronatest.
Ist die vierte Impfung sinnvoll?
Mit der vierten Impfung erzeugen wir wieder die Antikörper, von denen wir eigentlich schon zu viele auf Lager haben, um das einmal so auszudrücken. Die neuen Varianten des Coronavirus sprechen auch immer schlechter auf diese Antikörper an, was übrigens immer so ist und wir von der Grippeimpfung gut kennen. Sinnvoll wären Impfungen mit einem neuen Impfstoff, der an die neuen Varianten angepasst ist. Derzeit sieht es aber damit nicht so gut aus, auch deswegen, weil sogar die aktuellen Impfstoffe immer noch nicht die reguläre Zulassung der Arzneimittelbehörden haben. Zum Glück hatten die meisten Menschen inzwischen Kontakt mit dem echten Virus, was die Antikörpersituation wesentlich verbessert, denn es gibt auch Antikörper gegen viele andere Virusbestandteile und natürlich auch gegen die neuen Mutationen. Nein, die vierte Impfung ist nicht sinnvoll und macht nur Nebenwirkungen, insbesondere bei Jüngeren.