Meschede/Hochsauerlandkreis. Patrick Sensburg aus dem Hochsauerlandkreis leitet die deutschen Reservisten: Er sagt einen langen Stellungskrieg in der Ukraine voraus.
Wie besorgt müssen die Deutschen vor einem Atomkrieg sein? Im Interview spricht Patrick Sensburg über den Ukrainekrieg, Wladimir Putin und die Bundeswehr. Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete aus dem Hochsauerlandkreis ist spezialisiert auf Sicherheitspolitik und, selbst Oberst, auch Präsident des Deutschen Reservistenverbandes.
Denken Sie auch über eine Fahrt in die Ukraine nach?
Nein, das wäre derzeit in falsches Signal – schon gar nicht in Uniform. In einer Situation, wo wir diskutieren, ob wir Kriegspartei werden, macht es keinen Sinn, die Konfrontation anzuheizen. Ich habe aber einen guten Kontakt zum ukrainischen Botschafter und zum Militärattaché und auch in das ukrainische Militär vor Ort. Ich war erst im letzten Jahr in der Ukraine, da man dort einen Reservistenverband nach unserem Vorbild aufbauen wollte und wir wollten hierbei unterstützen.
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Was sagen Sie zu Andrij Melnyk, der Botschafter, der so deutliche Worte findet?
Ich kenne Botschafter Melnyk schon seit vielen Jahren vor dem Konflikt. Wir haben immer eine gute Beziehung gehabt. Ich finde, es ist selbstverständlich, dass er in der aktuellen Lage so deutliche Worte findet. Ohne seine klaren und deutlichen Worte hätte es vermutlich keine umfangreiche deutsche Unterstützung für die Ukraine gegeben, schon gar nicht mit schweren Waffen.
„Putin ist der Aggressor“
Teilen Sie die Entscheidung, schwere Waffen in die Ukraine zu liefern?
Absolut! Es geht um die Frage der Selbstverteidigung – denn Russland greift die Ukraine an. Von der Ukraine ging nie eine Aggression aus.
Alles, was für die Selbstverteidigung benötigt wird, sollten wir und die westliche Welt liefern. Wenn Putin mit seiner Kriegspolitik obsiegt, wird Krieg als Mittel der Politik wieder verstärkt Schule machen.
Wird Deutschland durch die Lieferung zur Kriegspartei?
Nein, das ist juristisch ganz klar: Durch Lieferungen wird man nicht Kriegspartei, auch nicht durch eine allgemeine Ausbildung an entsprechenden Waffen. Wir haben übrigens vor gar nicht langer Zeit auch russische Soldaten an modernem Gerät ausgebildet. Da waren aber noch andere Zeiten, man glaubte an einen demokratischen Wandel in Russland.
Und Sie meinen, Putin teilt diese feine juristische Einschätzung?
Das weiß ich nicht. Ich würde auch gar nicht auf die Meinung von Putin Rücksicht nehmen. Putin ist der Aggressor. Er dreht alles, bis es ihm zu Propagandazwecken passt. Wenn es Putin etwas bringen würde, dann wäre auch das Wetter im Sauerland ein Grund für eine Aggression. Die ganze Argumentation der russischen Regierung ist schlussendlich paradox. Dass Selenski und seine Regierung Nazis seien, die man vernichten müsse, ist vor dem Hintergrund der Schoa nur noch abstoßend. Auf solche Propaganda kann und darf man keine Rücksicht nehmen.
Kann sich der Krieg zum Atomkrieg ausweiten?
Wir wissen seit der Kubakrise 1962: Es kann sich alles zu einem Atomkrieg ausweiten, wenn man nicht vorher noch zur Vernunft kommt. Putin muss wissen, dass würde auch die Zerstörung Russlands, insbesondere der großen Städte bedeuten. Wenn Putin mit Atomwaffen droht, kann das ja nicht bedeuten: Dann lassen wir die Ukraine oder die nördlichen Staaten der EU im Stich! Gerade dann halten die NATO und die EU zusammen und machen deutlich, dass keine Art von Aggression Erfolg haben wird.
„Bundeswehr heruntergefahren, den Katastrophenschutz vernachlässigt“
Ist Putin denn so verrückt?
Ich hatte ihm bisher immer eine gewisse Rationalität zugesprochen. Die scheint aber inzwischen fast gänzlich auf der Strecke geblieben zu sein. Das zeigt auch der Krieg in der Ukraine. Russland nimmt keine großen Städte ein, sie werden nur mit vielen zivilen Opfern zerstört. Putin hat seinen Machterhalt immer durch Blut gesichert. Es geht Putin nicht um Strategie, nicht um den Zugang zum Schwarzen Meer oder um die Kornfelder der Ukraine: Es geht darum, dass Demokratie und Freiheit nicht zu nah an Russland herankommen und das eigene Volk hinterher diese Rechte auch fordern könnte.
Müssen wir Deutschen die Sorge vor einem Atomkrieg aushalten?
Die Bedrohung ist da. Im Szenario der weltweiten Sicherheitspolitik ist das nun einmal eine traurige Option. Man muss immer mit der Verrücktheit des anderen rechnen. Wir müssen uns mit solchen Szenarien wieder auseinandersetzen: Klassisch militärisch, aber eben auch zum Beispiel mit der Frage einer schmutzigen, kleinen Atombombe, die irgendein Machthaber irgendwo zündet, weil er sich rächen will.
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Wir haben das alles vergessen: Wir haben die Bundeswehr heruntergefahren und den Zivilschutz und den Katastrophenschutz vernachlässigt. Wir müssen uns fragen, wie wahrscheinlich sind die unterschiedlichen Bedrohungsszenarien und dann abgestuft entsprechend Vorsorge dafür treffen. Das hat jahrelang nicht stattgefunden und war ein großer Fehler. Ich habe immer davor gewarnt.
Ist die Bundeswehr groß genug für die Herausforderungen?
Mit rund 200.000 aktiven Soldaten ist die Bundeswehr zu klein, bei einem Land von 80 Millionen Einwohnern und der Größe und geografischen Lage unseres Landes. Das ist nicht ausreichend. Allein für die Landesverteidigung bräuchten wir nach meiner Einschätzung 350.000 aktive Soldaten. Dazu kämen 100.000 Reservisten, wenn sie denn gut ausgebildet, trainiert und ausgestattet sind.
„Es wird einen langen Stellungskrieg geben“
Brauchen wir dafür wieder eine Wehrpflicht?
Wir brauchen die Wehrpflicht, ja. Es wäre auch leichter, denke ich, Männer und Frauen für die Aufgabe der Landesverteidigung zu gewinnen, als für eine Bundeswehr, die in der jüngeren Vergangenheit den Schwerpunkt auf Auslandseinsätze legte. Wir brauchen Strukturen, die dann zur Entfaltung kommen können, wenn sie im Fall des Falles zur Landesverteidigung nötig sind.
Wir haben doch nicht einmal mehr Kasernen, wo Soldaten stationiert werden könnten?
Wir sehen in Deutschland immer mehr Probleme als Lösungen. Es gibt immer noch zig Liegenschaften, die intensiver genutzt werden könnten. Wie hat man es denn zu Beginn der Bundeswehr geschafft, alle Strukturen aufzubauen? Mit der Einstellung von heute wäre das unseren Vätern nicht gelungen. Bei vielen Strukturen geht es uns heute auch durch die Digitalisierung viel leichter als früher. Selbstverständlich kann man also die Musterung, die Unterbringung von Rekruten und deren Ausbildung wieder aufbauen. Man muss es nur wollen und das wäre auch für die Truppe gut und förderlich.
Befürchten Sie eine Ausweitung des Krieges? Wann endet der Krieg?
Putin zündelt auch in anderen Regionen, zum Beispiel in Moldawien oder Serbien und Bosnien-Herzegowina. Den afrikanischen Kontinent dürfen wir auch nicht aus dem Blick verlieren. Hier sind Putins Söldner unterwegs. Hier müssen wir uns klar positionieren. In der Ukraine werden die russischen Truppen derzeit zurückgedrängt.
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Landgewinne oder die Hoheit über bestimmte Gebiete zu gewinnen, schafft Russland derzeit nicht. Ich befürchte, der Krieg wird in absehbarer Zeit nicht enden. Ich glaube, es wird einen langen Stellungskrieg geben, unter dem immer mehr die Zivilbevölkerung leiden wird. Man muss ein Szenario erarbeiten, in dem Russland die Ukraine komplett verlässt. Das Gegenangebot könnte die Neutralität der Ukraine sein und wirtschaftliche Zusammenarbeit der EU mit beiden Staaten. Das wird aber wohl nur ohne Putin gehen.