Meschede. Vor dem Mescheder Amtsgericht musste sich jetzt ein 56-jähriger Taxifahrer verantworten, der eine Seniorin nach dem Aussteigen überfahren hatte.

Wer mit dem Auto rückwärts fährt, muss sich vergewissern, dass der Weg frei ist. Im Januar 2021 überfuhr ein Taxifahrer eine Kundin, als er das Fahrzeug wendete. Wie konnte das passieren und welche Schuld trifft den Fahrer? Das wurde jetzt im Amtsgericht Meschede verhandelt. Die Anklage lautete auf fahrlässigen Totschlag, weil der Fahrer gewusst habe, dass es der Frau nicht gut ging, er sie aber beim Aussteigen aus dem Blick ließ.

Für den Fahrer, der Taxi im Nebenerwerb fuhr, im Hauptberuf arbeitet er bei Honsel, war es nicht die erste Fahrt mit der Seniorin. „Sie war eine Frau, die sehr auf ihre Selbstständigkeit achtete“, erklärte der 56-jährige Mescheder. „Ich durfte ihr maximal nach dem Einkaufen die Taschen bis an die Haustür tragen.“ Sie wolle das, was sie noch selbst erledigen könne, auch selbst machen, hatte die 76-Jährige dem Mann mehrmals erklärt.

Fahrt von der Dialyse nach Hause

Am Tag des Unfalls hatte er die Frau und eine Bekannte - wie schon oft - gemeinsam von der Dialyse abgeholt. „Wie geht es euch Mädels“, habe er noch gescherzt. „Das ist vorbei mit den Mädels“, habe die 76-Jährige geantwortet, „uns geht es schlecht!“. Im Wagen habe sie noch gesagt, sie sei müde und werde sich gleich zu Hause erstmal hinlegen. Allerdings habe diese Aussage für ihn nicht gezeigt, dass sie besonders schwach war. Im Gegenteil, schlagfähig und aufmerksam habe sie noch während der Fahrt reagiert, als er eine falsche Spur nahm.

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Am Uferweg angekommen, parkte der Fahrer sein Auto so, dass die Seniorin direkt aussteigen konnte und sie nicht mehr über die Straße gehen musste. Danach protokollierte er die Fahrt schriftlich und im Handy. Das habe etwa drei Minuten gedauert. Der anschließende Blick in die Spiegel gab vor, dass die Straße frei ist. Kein Pieper und keine Rückwärtskamera konnten ihn warnen. Das Fahrzeug hatte diese Technik nicht. Er setzte zurück, um vor dem Garagenhof zu wenden, dabei bemerkte einen Widerstand. „Ich bin sehr vorsichtig rückwärts gefahren und habe direkt abgebremst. Wäre ich unvorsichtiger gefahren, hätte ich sie überrollt“, beteuerte der Angeklagte.

Kundin war hinter dem Auto gestürzt

Er lief um das Auto herum und erkannte seine Kundin, die offenbar hinter dem Fahrzeug, kurz nach dem Ausstieg, gestürzt war. Da sei sie noch ansprechbar gewesen, erklärte der Fahrer und vergrub danach sein Gesicht in den Händen. Taxi gefahren sei er seitdem nicht mehr, erklärte sein Anwalt, und er habe bis heute Riesenprobleme beim Rückwärtsfahren. Die Seniorin starb wenige Stunden später im Krankenhaus.

Vor Gericht ging es jetzt um die Frage, ob der Fahrer den Unfall hätte verhindern können. Dabei waren sich Richter und Staatsanwalt einig, dass das, was die Straßenverkehrsordnung verlange „lebensfremd“ sei. Schmelzer: „Danach müsste man vor jeder Rückwärtsfahrt einmal um das Auto herumlaufen, um sich zu vergewissern, dass dort wirklich niemand ist“, sagte Staatsanwalt Thomas Schmelzer. Die Erklärungen des Mannes seien glaubhaft. Zudem war er nicht einschlägig vorbestraft und es gab keine Eintragungen im Bundeszentralregister.

Minimale Verfehlung löst größtmögliches Unglück aus

Im konkreten Fall habe eine minimale Verfehlung das größtmögliche Unglück ausgelöst, nämlich dass ein Mensch stirbt, sagte Schmelzer. „Das war ein schreckliches Unglück - keine Straftat.“ Niemand im Raum könne sagen, dass ihm das nicht auch hätte passieren können. Schmelzer stimmte daher einer vorläufigen Einstellung des Verfahrens nach Paragraf 153a wegen Geringfügigkeit zu. Gleichzeitig muss der Angeklagte 1000 Euro an die Rettungsstiftung Jürgen Pegler zahlen, die sich für die Sicherheit im Straßenverkehr einsetzt.

Vorwurf der Nebenklage

Als Nebenklägerin saß die Tochter im Gericht. Sie warf dem Mann vor, dass er sich nie bei ihr gemeldet und sich entschuldigt habe. Nicht mal eine Kondolenz-Karte habe er geschrieben. „Sie können nicht mehr Taxifahren, sagen Sie, ich kann kein Taxi mehr sehen, ohne an meine Mutter zu denken!“ Sie sei menschlich enttäuscht.

Die Entschuldigung kam jetzt vor Gericht. Er habe sich nicht gemeldet, erklärte der 56-Jährige, weil die Polizei ihm abgeraten habe, einfach so vorbeizugehen. Man werde sich melden, wenn die Angehörigen das wünschten, hieß es. Diese Nachricht kam offenbar nicht bei ihm an.

Was ist die Jürgen Pegler-Rettungsstiftung?

Die Pegler-Rettungsstiftung ist benannt nach Jürgen Pegler. Der damals Siebzehnjährige starb am 9. Januar 1976 auf einer Landstraße im nördlichen Landkreis Heilbronn (Baden-Württemberg). Er war mit seinem Moped von einem entgegenkommenden Auto-Raser, der unter hohem Alkoholeinfluss stand, angefahren worden. Dieser Fahrer beging daraufhin Unfallflucht.

Jürgen Pegler erlag noch am Unfallort seinen schweren Verletzungen, weil es nicht möglich war, rasch Polizei, Arzt und Rettungswagen herbeizurufen.

Dies veranlasste seinerzeit Wolfgang Pegler, den Vater von Jürgen Pegler, zur Gründung einer Rettungsstiftung, um durch den Aufbau eines Notruftelefon-Netzes anderen Verkehrsteilnehmern ein ähnliches Schicksal zu ersparen.