Hochsauerland. Friedrich Merz (CDU) aus dem HSK will zurück in den Bundestag. Im Interview spricht er über Karriere, Koalitionen, Windkraft und das Gendern.
In drei Video--Streams stellen sich die HSK-Bundestagsdirektkandidaten von CDU (Friedrich Merz), SPD (Dirk Wiese) und FDP (Carl-Julius Cronenberg) Fragen der WP-Redaktionsleiter im HSK. Martin Haselhorst (Arnsberg), Oliver Eickhoff (Meschede) und Boris Schopper (Brilon) befragten dieses Mal Friedrich Merz.
Frage: Wenn man annimmt, die CDU kommt in eine Regierung und Sie holen den Wahlkreis, dann erwartet niemand, dass sie sagen „Dann suche ich mir einen gemütlichen Platz ganz hinten im Bundestag und setze mich da hin.“ Was wird dann passieren?
Friedrich Merz: Wir müssen ja zunächst einmal die Bundestagswahl gewinnen, um überhaupt in die Regierung zu kommen. Ich habe immer gesagt, unabhängig davon, ob wir in der Regierung sind oder nicht und ob ich eine Rolle in Berlin spiele oder nicht, das Wahlkreismandat ist die vorrangige Aufgabe. Das habe ich hier auch der CDU zugesagt. Das habe ich auch den Bürgerinnen und Bürgern im Hochsauerlandkreis zugesagt. Ich werde mich um diesen Wahlkreis kümmern. Das habe ich schon einmal 15 Jahre gemacht. Das habe ich gern gemacht und das werde ich wieder machen. Das macht mir Freude. Ich bin viel unterwegs im Hochsauerlandkreis und das ist das wichtigste Amt und die wichtigste Aufgabe. Alles andere wird man sehen.
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Aber wenn Armin Laschet anruft und sagt, wir hätten da den Wirtschaftsminister frei, würden Sie nicht sagen „Mache ich nicht“.
Also Armin Laschet und ich, wir telefonieren relativ häufig miteinander. Zurzeit ist er Kandidat und Parteivorsitzender. Wenn er Bundeskanzler geworden ist, sprechen wir wahrscheinlich auch und dann werden wir weitersehen. Aber das ist kein Thema, über das wir uns heute unterhalten.
Kommen wir zu einer möglichen Koalition. Sie sind ein scharfer Kritiker der Grünen. Könnten Sie sich vorstellen, dass das gut geht, die CDU und die Grünen?
Ich kritisiere nicht nur die Grünen, ich versuche auch, die Unterschiede zur SPD und zur FDP herauszustellen. Ich finde, ein Wahlkampf muss zunächst einmal Unterschiede deutlich machen. Und die mache ich deutlich.
Die Grünen waren bis vor einiger Zeit unser Haupt-Wettbewerber. Das verschiebt sich im Augenblick. Jetzt kommen die Sozialdemokraten etwas stärker in den Vordergrund und werden jetzt, auch in einzelnen Wahlkreisen, unser Haupt-Wettbewerber werden. Und insofern werde ich auch meine Kritik an den Sozialdemokraten äußern, wie umgekehrt die Sozialdemokraten Kritik an uns äußern. Das ist ein völlig normaler Vorgang. Und da muss man nach den Wahlen darüber nachdenken, wie es weitergeht. Ich werde meine Kritik immer - jedenfalls gegenüber SPD, FDP und Grüne - so formulieren, dass erstens menschlich dabei nichts kaputt geht. Meine Kritik ist in der Sache zum Teil wirklich hart. Ja, das ist auch so gemeint. Aber sie ist nie - jedenfalls bemühe ich mich darum - menschlich verletzend. Und zweitens: Wir müssen immer noch zwischen den demokratischen Parteien in der politischen Mitte, und dazu zähle ich die genannten vier, miteinander kooperationsfähig und wenn nötig auch koalitionsfähig bleiben. Und das ist für mich die Richtschnur.
Gibt es für Sie denn irgendwelche Wunsch-Konstellationen?
Die Wunsch-Konstellation, die ich habe, ist, dass die CDU/CSU aus einer Position der Stärke heraus mit möglichen Koalitionspartnern sprechen kann und dass wir nicht erpressbar werden durch mögliche Koalitionen gegen uns. Den Wunsch habe ich und dass dieser Wunsch in Erfüllung geht, das ist aus heutiger Sicht keineswegs sicher. Daran müssen wir arbeiten.
Sie sprachen eben die gemeinsamen Schnittmengen mit den Grünen, aber eben auch die Unterschiede mit den Grünen an. Ein Thema ist sicherlich auch die Klimakrise. Wo muss man denn in den kommenden vier, fünf Jahren am ehesten gegensteuern? Wo würden Sie da Gemeinsamkeiten und wo möglicherweise Unterschiede mit den Grünen sehen?
Wir sind uns in der Beurteilung und Bewertung des Problems einig. Niemand bestreitet ernsthaft, dass wir ein wirklich großes Problem haben. Wir ringen um den richtigen Weg, wie wir dieses Problem lösen können. Und das ist auch ein Thema, was mich hier ganz unmittelbar betrifft. Wenn ich hier aus meinem Fenster schaue - ich sitze in meinem Büro in Arnsberg - schaue ich in den Arnsberger Wald und ich kann sehen, wie der Klimawandel hier die Nadelwälder betrifft und das Landschaftsbild verändert. Also insofern ist hier nicht die Problemanalyse das eigentliche Thema, sondern die Frage: Wie lösen wir das? Da gehen die Grünen sehr viel stärker in die Richtung Regulierung, Verbote, Verhaltensänderungen. Wir sagen: Ja, wir müssen natürlich auch Verhalten ändern, aber wir wollen das mit modernster Technologie tun. Wir wollen das auch mit Anreizen tun. Wir wollen den Menschen nicht vorschreiben, was sie zu tun haben, sondern wir wollen ihnen Möglichkeiten geben, sich klimagerecht zu verhalten. Wir müssen vor allen Dingen auf die Betriebe schauen. Wir haben in Deutschland schon viel erreicht. Ich sag’s einfach mal anhand der Zahlen: Wir haben die Klimaziele der Pariser Klimakonferenz bis zum Jahr 2020 erreicht. Es ist also nicht so, als ob wir erst bei Null anfangen. Wir sind bei minus 40 Prozent CO2 bezogen auf das Jahr 1990. Das ist immer das Referenzjahr, über das wir reden. Das ist die gute Nachricht. Die weniger gute Nachricht ist: Wir müssen jetzt sehr viel mehr Anstrengungen unternehmen, um auch die nächsten Ziele zu erreichen. Da sind wir mit den Grünen nicht auf einer Linie. Wir sagen: Modernste Technologien, marktwirtschaftliche Instrumente und vor allem, es so gut machen, dass andere Länder der Welt - insbesondere in der Europäischen Union - sagen, die Deutschen machen das so gut, so wollen wir das auch machen. Das heißt für uns, auch für mich ganz persönlich, das ist meine ganz klare Botschaft: Wir müssen alle Optionen offenhalten, was die Alternativen zur gegenwärtigen Energiewirtschaft betrifft. Das ist das Hauptthema. Wie versorgen wir diese Volkswirtschaft mit Energie? Ich bin bei Wasserstoff der Meinung, alle Optionen, nicht nur eine. Ich bin bei Antriebstechnologien der Meinung, alle Optionen, nicht nur Elektro.
>>> Hier gibt es eine aktuelle Übersicht zur Bundestagswahl im Hochsauerlandkreis
Bleiben wir bei einem Umweltthema: Windkraft im Sauerland. Dauerbrenner in den Räten, auch in den politischen Diskussionen unter den Bürgern umstritten. Wie viel Windkraft verträgt das Sauerland noch?
Sie haben Recht, es ist umstritten. Alle diejenigen, die jetzt massiv geschädigt sind durch den Borkenkäfer, sagen: freie Flächen für Windenergie. Diejenigen, die im Tourismus unterwegs sind, sagen: Um Gottes Willen, nicht alle Höhenzüge mit Windkraftanlagen. Also wir haben hier durchaus sehr unterschiedliche Interessen. Meine Antwort ist in dieser Frage auch sehr klar. Erstens: Wir brauchen im Hochsauerlandkreis Windenergie, auch Photovoltaik. Wir brauchen auch mehr davon, aber wir müssen es in einem sozial und gesellschaftlich verträglichen Umfang realisieren. Wir müssen nach der Bundestagswahl, das ist jetzt kein Thema, wo wir im Wahlkampf große Schritte nach vorne tun können, darüber streiten wir uns mal mit den Waldbauern, mit den Landwirten, mit den Tourismusunternehmen, aber auch mit den Windkrafterzeugern, mit allen Betroffenen zusammensetzen, um einen vernünftigen Ausgleich, einen vernünftigen Weg zu finden. Noch mal: Ich finde, das Thema Photovoltaik ist mindestens genauso wichtig wie Windkraft, vielleicht sogar wichtiger.
Sehen Sie eigentlich darüber hinaus im Moment ein prägendes Wahlkampfthema im HSK?
Naja, DAS Wahlkampfthema gibt es hier nicht. Es gibt, wenn ich es richtig wahrnehme, zwischen uns Kandidaten einige Unterschiede z.B. in der Bewertung der Straßenverkehrsinfrastruktur. Ich bin nach wie vor der Meinung, ich war es schon bis 2009 und ich bin es heute immer noch, dass wir den Lückenschluss der A 46 im Osten hinbekommen müssen, den Weiterbau bis nach Wünnenberg. Wir haben eine offene Diskussion über die Frage A46 im Westen. Das würde ich befürworten, aber nur, wenn wir da eine vernünftige, verträgliche Trasse finden. Und im Osten, da gibt’s sehr unterschiedliche Auffassungen. Ich weiß von meiner Mitbewerberin von den Grünen, dass sie strikt dagegen ist. Ich bin definitiv dafür. Aber das ist jetzt nicht DAS Thema, das hier im Wahlkampf die Wogen hochgehen lässt.
Was sind denn dann die Themen? Das Sauerland ist ja für die CDU immer ein recht sicherer Wahlkreis gewesen. Da konnte man viele Jahre nicht viel verkehrt machen. Ist das immer noch so?
Also meine Beobachtung der letzten Wochen ist, dass es einen sehr großen Konsens in der Region gibt über die Entwicklung, die wir hier haben. Da gibt es keinen großen parteipolitischen Streit. Aber es gibt natürlich bei den großen politischen Themen schon sehr große Unterschiede, auch in der Beurteilung und Bewertung der Themen. Also das Thema Umwelt und Klima haben wir angesprochen. Ich würde mal sagen, auch das Thema Außen- und Sicherheitspolitik ist ein Thema, bei dem es schon unterschiedliche Auffassungen gibt. Das wird jetzt wahrscheinlich durch die Ereignisse in Afghanistan auch ein Stück weit noch in den Vordergrund kommen. Ich werde jedenfalls seit dem Wochenende darauf angesprochen. Und ansonsten ist der Sauerländer ja ein Mensch, der nicht den Streit sucht, sondern eher den Konsens. Und in dem Umfeld fühle ich mich auch persönlich ganz wohl.
Mit welchem Ergebnis würden Sie sich dann am Wahltag entspannt zurücklehnen, persönlich und für die CDU im HSK und würden sagen: Da bin ich mit mir im Reinen und zufrieden?
Ich hätte Ihnen noch vor zehn oder 15 Jahren gesagt, als ich meine letzte Bundestagswahl bestritten habe, alles unter 55 ist inakzeptabel. Da hatte ich 57,7. Ob wir heute noch 50er Ergebnisse erzielen können, weiß ich nicht. Die parteipolitische Bindung nimmt auch bei uns ab. Ich sehe auf der anderen Seite im Augenblick ein sehr großes Engagement innerhalb der CDU für mich persönlich. Also ich habe schon die Hoffnung, dass ich die Fünf nochmal erreiche. Aber das ist heute schwieriger als früher. Und ich möchte vor allem, dass wir ein gutes Zweitstimmen-Wahlergebnis bekommen, denn das Erststimmen-Wahlergebnis ist am Tag der Wahl schön zu haben. Aber die eigentlich relevante Zahl ist das Zweitstimmen-Wahlergebnis und da müssen wir uns auch im Hochsauerlandkreis anstrengen.
Für ein gutes Ergebnis ist wichtig, dass man viele Bevölkerungsgruppen mitnimmt, dass man viele Altersklassen und auch alle Geschlechter mitnimmt. Jetzt haben Sie bei Ihrer Nominierungsrede in Hüsten ja das Gender-Fass einmal geöffnet und ich glaube gehört zu haben, dass da auch einige CDU-Frauen ganz schön schlucken mussten. Wie wollen Sie die Sauerländer Frauen dann doch davon überzeugen, dass Sie auch für ein fortschrittliches Gesellschaftsbild stehen?
Also die Frage, wie wir mit unserer Sprache umgehen, hat ja nichts damit zu tun, welches gesellschaftspolitische Bild dahintersteht. Also die Frauen im Hochsauerlandkreis wissen, dass ich ein modern denkender Mann bin und an dieser Stelle überhaupt keine Probleme habe. Ich bin im Gegenteil davon überrascht gewesen, wie groß die Zustimmung zu diesem Thema war. Ich habe es ja nur bei meiner Nominierung angesprochen. Ich habe es in einem Interview glaube ich noch mal bestätigt. Ich habe ansonsten darüber nie weiter diskutiert und es ist wochenlang in Deutschland ein Thema gewesen, bis hin zu den Umfragen, die dazu gemacht worden sind und wo für mich überraschend klar war, dass die überragende Mehrheit der Bevölkerung - und dazu gehört eben auch die überragende Mehrheit der Frauen - dieses Thema ablehnen. Und das finde ich, ist eine schöne Bestätigung dessen, was ich am 27. April gesagt habe.
>>> Auch zum Nachschauen und -lesen: Das Interview mit Mitbewerber Dirk Wiese (SPD).