Herhagen. Riesiger Zusammenhalt in einem kleinen Dorf: Wie die Bewohner Herhagens die Flut-Krise ganz allein gemeistert haben.

Binnen kürzester Zeit hatte die braune Brühe der Henne den kleinen Ort Herhagen in der vergangenen Woche überflutet. Danach folgte das, wodurch sich sauerländische Dörfchen wie Herhagen auszeichnen: ein enormer Zusammenhalt. Gemeinsam haben die Dorfbewohner die Flut zusammen mit einigen Helfern gemeinsam geschultert - ganz ohne professionelle Unterstützung durch die Feuerwehr, die selbst an zahlreichen anderen Stellen im Dauereinsatz war.

Jetzt können sie wieder lachen: Helena Gödde, ihre Mutter Rita Rarbach und Töchterchen Rosa (4). Vor wenigen Tagen sah das noch ganz anders aus: Angst um das Hab und Gut, Panik vor den Wassermassen, Sorge um Freunde und Nachbarn, schlaflose Nächte und dann tagelanges Saubermachen und Aufräumen.

Morgens noch geflachst

Das Wasser kam schnell - und es stieg und stieg. „Morgens haben wir noch geflachst: Ein Swimmingpool im Keller wäre auch mal schön, aber mittags sah die Sache anders aus. Da waren Angst und Entsetzten die Hauptgedanken. Ich war allein mit meinen drei Enkeln und froh als meine Tochter von der Arbeit kam. Da lief der Keller schon mit Grundwasser voll“, so Rita Rarbach. Der Hof gegenüber war schon in der Nacht auf Mittwoch von den Wassermassen überflutet worden. Familie Tigges hatte sich vorsichtshalber schon mit Sandsäcken verbarrikadiert, weil der Hof unterhalb der Henne liegt. Man hatte noch in der Nacht versucht, das Wasser mit Trecker und Schneeschieber vom Hof zu schieben. Vergeblich!

Ab Mittwochmittag war dann das ganze Dorf im Einsatz. Mit Traktoren, Radladern und Pumpen wurde versucht zu retten, was zu retten war. Helena Göddes Mann Bernd holte die Strohballen vom Hof Tigges mit einem Heugreifer aus dem reißenden Wasser, wo sie unterhalb an einem Zaun hängen geblieben waren. Nur einer ging schließlich verloren. Allesamt wurden sie später wieder geöffnet, neu gewickelt und wieder verpackt. Alle Kinder des Dorfes wurden kurzerhand in einem Haushalt zusammengefasst und betreut. Damit konnten alle anderen Frauen unterstützend eingreifen. So wurden teilweise Möbel aus den Häusern geschleppt.

Nein, Herhagen liegt nicht am Ufer eines Sees. Die braune Brühe hat Felder und Wiesen überschwemmt.
Nein, Herhagen liegt nicht am Ufer eines Sees. Die braune Brühe hat Felder und Wiesen überschwemmt. © Unbekannt | Privat

Es wurde alles herbeigeholt, was irgendwie gegen das Wasser helfen sollte. „Wir haben sogar umgedrehte Bierzeltgarnituren und Schalbretter aufgestellt, um die Fluten fernzuhalten, berichtet Helena Gödde. An anderer Stelle seien alle möglichen Decken, Handtücher und andere Stoffe in Ritzen und Spalten gestopft worden. „Unvorstellbar“, sagt Gödde.

Frisch renoviertes Haus nicht mehr bewohnbar

„Wir haben alles versucht, was möglich war, doch leider waren wir nicht überall erfolgreich“, ergänzt sie traurig. Eines der alten Fachwerkhäuser im Ort ist zurzeit nicht mehr bewohnbar. Das junge Ehepaar war erst vor wenigen Monaten eingezogen, nachdem das Haus aufwendig renoviert worden war. Jetzt steht das Paar vor dem nichts, musste nun woanders unterkommen und erwarten in vier Wochen das erste Kind.

Schnell war den Herhagenern auch Hilfe von Menschen aus der Umgebung zuteil geworden. So brachte der Hof Horbach weitere Sandsäcke. Arbeitskollegen und Freunde halfen, wo sie konnten. Landwirte aus anderen Dörfern kamen mit Güllefässern und halfen dabei, die Keller leer zu pumpen. Familie Middel vom Lebensmittelgeschäft im benachbarten Nichtinghausen brachte die georderten Grillwürstchen für die vielen Helferinnen und Helfer zu Fuß - und kostenlos.

Böse Überraschung um 23.30 Uhr

Helena Göddes Töchterchen Rosa sollte um 21 Uhr eigentlich ins Bett. Doch daran war nicht zu denken. Die Vierjährige klammerte sich an ihrer Mama fest: „Du musst bei mir bleiben. Ich habe Angst, dass das ganze Haus voll Wasser läuft.“ Als die Familie dann um 23.30 Uhr gemeinsam ins Bett wollte, wartete die nächste böse Überraschung: Der Regen hatte sich auch einen Weg durchs Dach des alten Bauernhauses gesucht. „Alles war pitschnass. Wir haben auf Klappbetten geschlafen und in der Nacht dann immer wieder kontrolliert, was im und ums Haus passiert“, so Gödde.

„Das ist wirklich unglaublich“

Schließlich folgte tagelanges Saubermachen und Aufräumen und das Waschen von bergeweise Wäsche. Auch hierbei hatte sich das Dorf zusammengetan. Klagen über die Folgen der Flut wollen Helena Gödde und ihre Mutter Rita Rarbach angesichts der schrecklichen Bilder aus anderen Orten Deutschlands nicht. Ganz im Gegenteil: Sie freuen sich vielmehr über den Zusammenhalt des Dorfes in der Krise. „So etwas hätte ich nie für möglich gehalten“, sagt Rita Rahrbach, die erst seit Kurzem in Herhagen wohnt. Das sei wirklich unglaublich.

  • Die Henne ist in Herhagen eher ein kleiner Bach. In der vergangenen Woche schwemmte sie Mülltonnen und Einmachgläser aus Kirchrarbach an.
  • Allein bei Familie Gödde standen 40 000 Liter Schlammwasser im Keller.