Meschede. Wer ist schuld an der Massenschlägerei zwischen Kurden und Türken? In Meschede ist der Prozess dazu beendet - mit deutlichen Reaktionen.

Griffen Kurden die Türken an, oder war es doch umgekehrt? Wer ist schuld an der Massenschlägerei mit mehreren Schwerverletzten im Juli 2017 an der Aral-Tankstelle in Meschede? Das bleibt auch weiter offen. Vor Gericht ließ sich die Frage nicht beantworten. Alle fünf Angeklagten in dem Prozess sind freigesprochen worden – die fünf Kurden jubelten, die türkische Gegenseite reagierte sichtbar fassungslos.

Oberstaatsanwalt Thomas Poggel kündigte sofort an, in Berufung gegen den Freispruch zu gehen. Er ist überzeugt von der Schuld der Kurden: „Es war ein gezielter Angriff.“ Er hatte Haftstrafen von bis zu einem Jahr und zehn Monaten für die drei Brüder und ihre zwei Verwandten gefordert. Die Angeklagten hätten sich demnach für eine Schlägerei zuvor in einer Dortmunder Disco rächen wollen, bei der einer der Brüder verletzt worden war. Die drei Brüder sind allesamt teils erheblich vorbestraft, auch einschlägig, zwei standen damals unter laufender Bewährung.

Wenige neutrale Zeugen, ein YouTube-Film ist verschwunden

Das Kernproblem in diesem Prozess um gefährliche Körperverletzung: Es gibt nur wenige Zeugen der Schlägerei, die neutral und nicht einer der beiden Seiten zuzuordnen sind. Richter Dr. Sebastian Siepe versuchte zuletzt sogar, einen YouTube-Film ausfindig zu machen, der angeblich über die Schlägerei existiert – vergeblich. Die wenigen neutralen Zeugen aber haben kaum etwas gesehen, und waren angetrunken.

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Oberstaatsanwalt Poggel verließ sich auf eine dieser Aussagen, wonach es so ausgesehen habe, dass die Aggression von den Kurden ausging, als die an der Tankstelle ankamen.

Strenge Kontrollen beim Einlass in die Schützenhalle in Meschede. Wer die Massenschlägerei an der Aral-Tankstelle begonnen hatte, konnte im Prozess nicht geklärt werden.
Strenge Kontrollen beim Einlass in die Schützenhalle in Meschede. Wer die Massenschlägerei an der Aral-Tankstelle begonnen hatte, konnte im Prozess nicht geklärt werden. © Jürgen Kortmann

Außerdem deckten sich die Verletzungen bei den Türken mit der Art, wie der Angriff geschildert wurde – unbestritten, denn ärztlich dokumentiert, erlitt ein 27-jähriger Türke, das Hauptopfer, dabei Verletzungen mit einem Kantholz. Poggel hielt nichts davon, die Auseinandersetzung im Zusammenhang mit dem türkisch-kurdischen Konflikt zu sehen – schließlich seien fast alle Beteiligten in Meschede geboren, eines der sieben Opfer, die als Nebenkläger auftraten, ist zudem Portugiese.

Verteidigung: „Konflikt zwischen Kurden und Türken“

Die Sicht des Staatsanwaltes nannte Friedrich von Weichs (Schmallenberg), einer der fünf Verteidiger, „blauäugig“ und spöttelte über Poggel als „Mescheder Patrioten“: „Es geht um einen Konflikt zwischen Kurden und Türken – und nicht zwischen Mescheder Jungs! Das ist eine Aggression, die wir nicht verstehen.“ Auch seine vier Verteidiger-Kollegen teilten diese Einschätzung. An keiner Stelle habe der Nachweis geführt werden können, dass tatsächlich einer der Angeklagten als erster losschlug. Ziel der Türken, so von Weichs, sei es: „Sie wollen die Fortsetzung der Auseinandersetzung zwischen Türken und Kurden im deutschen Gerichtssaal“ – um die Angeklagten „reinzureiten“.

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„Graue Wölfe“ in Meschede?

Von Weichs stellte die Kurden als der eher linken PKK zuneigend da, die Türken dagegen den rechtsradikalen „Grauen Wölfen“. Wie berichtet, sagten die Kurden aus ihrer Erfahrung in Meschede aus, von den Nebenklägern seien manche hier bei den „Grauen Wölfen“ aktiv, mit dem 27 Jahre alten, bei der Schlägerei verletzten Türken, als Hauptverantwortlichen. Der hätte in der Vergangenheit Kurden auch bei türkischen Behörden „angeschwärzt“.

Der Darstellung über die Aktivitäten der „Grauen Wölfe“ in Meschede wurde im gesamten Prozess an keiner Stelle widersprochen – die Nebenkläger und ihr Anwalt Andreas Trode (Iserlohn) nahmen dazu nie Stellung. Trode forderte zum Teil noch härtere Strafen als der Staatsanwalt. Auch er sagte: „Die Angeklagten sind die gewesen, die als Aggressoren aufgetreten sind – und sie sind mit außergewöhnlicher Brutalität vorgegangen.“ Nur um sich vor Gericht zu schützen, „werden Dinge konstruiert, die den Opfern schaden sollen“. Die Aussagen der Kurden seien „ganz offensichtliche Unwahrheiten“.

Gericht hat deutliche Zweifel

Das Schöffengericht, sagte Richter Siepe, neigte dazu, zu glauben, „das die Gewalttätigkeiten von den Angeklagten ausgingen“. Aber: „Das, was wir glauben, reicht für die Verurteilung nicht aus.“ Und es gab auch entscheidende, zweifelhafte Details: Die Türken hätten von Anfang an behauptet, die Kurden seien alle „bis an die Zähne bewaffnet gewesen“: „Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Aussagen.“ Siepe hatte während des ganzen Prozesses immer nachgefragt: Was wurde eingesetzt?

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Ganz sicher ist aber am Ende nur, dass ein Kantholz tatsächlich benutzt wurde – das sahen auch die neutralen Zeugen. Aber für Stangen, Messer, Zangen, wie behauptet, fand sich kein Hinweis: „Das ist aufgebauscht worden“ – und offenbar abgesprochen worden. Wenn es aber in diesem zentralen Punkt schon Zweifel an den Opfer-Aussagen gibt: „Wie können wir dann noch mit Gewissheit sagen, dass die Angeklagten die Täter waren?“ Kein Unbeteiligter konnte sicher sagen, von wem die Schlägerei ausging. Also: Im Zweifel für die Angeklagten.