Schmallenberg. Impftermine, Telefondienste, wütende Patienten. Wie die Pandemie zwei medizinische Fachangestellte aus Schmallenberg belastet.

Sie machen ihren Job gerne. Und das auch jeden Tag. Doch in den vergangenen Wochen und Monaten werden sie immer wieder vor Belastungsproben gestellt: „Wir sind am absoluten Limit angekommen.“Anja Bielawny und Nadine Frewel arbeiten als Medizinische Fachangestellte in der Schmallenberger 360-Grad-Mensch-Praxis. „Wir konnten uns noch nie über zu wenig Arbeit beklagen, aber was jetzt während der Corona-Krise los ist, ist extrem. Wir wollen nicht nur für uns, sondern für alle Medizinischen Fachangestellten sprechen.“

Denn das, was aktuell bei den beiden in der Hausarztpraxis an der Obringhauser Straße los ist, ist kein Schmallenberger, sondern ein bundesweites Problem. Frewel: „Die Belastung während der Corona-Pandemie ist enorm, der Aufwand wird größer und die Patienten immer anspruchsvoller.“

Zwei Fachangestellte zum Telefondienst abbestellt

Seit dem Ausbruch der Pandemie im März 2020 steht das Telefon in der Praxis nicht mehr still: „Die Leute haben panisch angerufen, uns gefragt, was sie denn tun sollen. Dass wir uns selber erstmal informieren mussten, dass wir nicht immer direkt auf jede Frage eine Antwort haben, hat viele nicht interessiert.“ Das Wartezimmer musste plötzlich vor die Praxis verlegt, Abrechnungen durchs Fenster erledigt werden. Noch immer kommen Patienten ohne Maske in die Praxis oder halten sich nicht an die entsprechenden Regeln. Inzwischen sind zwei der 14 Medizinischen Fachangestellten für den Telefondienst abbestellt, quasi die Corona-Hotline der Praxis: „Die beiden machen da auch einen tollen Job, aber sie kriegen auch alles ab. Die Fragen der Patienten genauso wie deren Frust, was man auch teilweise schwer verarbeiten kann.“

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Kein Patient wolle mehr warten, jeder glaube, seine Nöte seien aktuell die größten und wichtigsten: „Ständig wird man zeitlich unter Druck gesetzt und der Ton ist nicht immer freundlich.“ Es seien bei weitem nicht alle Patienten und auch nicht der Großteil. „Aber es sind dann immer die negativen Erinnerungen, die im Kopf bleiben, die man mit nach Hause nimmt“, sagt Bielawny: „Die psychische Belastung ist groß. Man kann abends nicht abschalten, schläft auch schlecht. Und das seit Monaten.“

Hinzugekommen seien dann die Impfungen in den Praxen. Bielawny: „Im Grunde freuen wir uns, dass wir das in den Praxen machen können, weil wir sehen, dass es voran geht.“ Doch der Bürokratismus mit Bestellung, Lieferung, penibler Dokumentation etc. hemme den Ablauf enorm: „Ständig neue Paragrafen und Abrechnungsänderungen mitten im Quartal.“ Impfdosen können nach wie vor nur kurzfristig pro Woche bestellt werden. Sobald das Okay kommt, wie viele Dosen von welchem Hersteller es sein werden, müssen die Patienten angerufen werden: „Und es ist wirklich schwierig, AstraZeneca unter die Leute zu bekommen. Etliche sagen, dass wir uns erst wieder melden sollen, wenn es Biontech gibt oder sagen ihren Impftermin einen Tag vorher wieder ab. Aber nach Olsberg fahren wollen sie auch nicht, weil die Strecke zu weit ist. Das bremst nicht nur die Impfgeschwindigkeit, sondern ist für uns ein riesiger Aufwand und Zeitfresser.“

Der normale Praxisalltag ist geblieben, Corona nur on Top gekommen

Deshalb befürworten die beiden auch eine Extra-Impfstelle für Schmallenberg. „Wir haben auch schon von Praxen gehört, die wegen Burn-Out für zwei Wochen komplett geschlossen haben, die nicht mehr konnten.“ Auch Medizinische Fachangestellte hätten sich schon anderweitig umgeguckt, weil sie nicht mehr können, weil es ihnen zu stressig ist. „Es muss etwas passieren, es muss wieder Ruhe in den Praxisbetrieb einkehren.“ Denn der Alltag, die Erkrankungen außerhalb des Corona-Virus, seien ja immer noch da: „Corona ist nur on Top gekommen. Und viele Patienten, die eigentlich dringend kommen müssten, kommen nun nicht“, erklärt Frewel: „Die kommen per Telefon nicht durch oder haben Angst, sich in der Praxis anzustecken. Aber Termine nicht wahrzunehmen ist genauso gefährlich.“

In der Praxis gehe alles nur noch „zack, zack“, für ein persönliches Gespräch mit Patienten sei keine Zeit mehr: „Dabei ist der Beruf eigentlich so toll. Aber wir haben natürlich auch ein riesiggroßes Nachwuchsproblem, das wird durch solch eine Situation auch nicht besser.“ Dabei tun Ärzte wie Angestellte alle ihr Bestes. Überstunden häufen sich an, an ein Abfeiern ist im Moment aber gar nicht zu denken.

Man werde sogar am Wochenende privat mit Anfragen überflutet: Wir wollen in den Urlaub, kannst du uns impfen? „Und es ist auch schon interessant, wer plötzlich behauptet, pflegender Angehöriger zu sein.“ Dass jeder gewillt sei, die Pandemie schnell und gut in den Griff zu bekommen, stünde doch vollkommen außer Frage. „Wir bitten einfach um Verständnis. Wenn Patienten mal nicht direkt per Telefon durchkommen, brauchen sie anschließend nicht ihren Frust bei uns zu entladen. Es ist eine Ausnahmesituation für alle, wir können nicht alleine die Welt retten.“ Mehr Solidarität, größere Impfstoffmengen, weniger Bürokratismus, das würde helfen: „Aber es überwiegt ja zum Glück die schönen Begegnungen, Patienten bedanken sich ernsthaft und wünschen uns alles Gute. Dafür sind wir auch sehr dankbar und man weiß wieder, warum man sich für diesen Beruf entschieden hat.“

Die 360-Grad-Mensch-Praxis

Nadine Frewel arbeitet seit 2011 in der 360-Grad-Mensch-Praxis, Anja Bielawny seit 1993.

Insgesamt arbeiten in der Praxis vier Ärzte, ein Weiterbildungsassistent und 14 Medizinische Fachangestellte.

Weitere Informationen unter www.360gradmensch.de