Meschede/Hagen. Im ländlichen Raum stehen weniger Corona-Impfstoffe als in Ballungszentren zur Verfügung. Für das Ungleichgewicht gibt es vor allem einen Grund.
Der ländliche Raum sieht sich bei der Versorgung mit Corona-Impfstoffen benachteiligt. Recherchen dieser Zeitung in Südwestfalen bestätigten, dass unabhängig von der Zahl der dort lebenden Menschen deutlich weniger Dosen in dünner besiedelte Regionen geliefert werden als in Ballungszentren. Grund ist die Verteilung von Arztpraxen.
Pro Arzt - nicht pro Patienten
Während bei Impfzentren die Regel gilt, dass Impfstoffe anteilig der Bevölkerung zugeteilt werden und somit eine gleichförmige Verteilung sichergestellt ist, gilt nach einer Entscheidung des Bundesgesundheitsministeriums für die niedergelassene Haus- und Fachmediziner eine andere Regel. Dort werden die Dosen pro Arzt zugeteilt. Nicht berücksichtigt wird dabei, wie viele Patienten eine Praxis betreut. Wie viele Ärzte in einer Region tätig sind, spielt außerdem eine untergeordnete Rolle.
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Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) bestätigte auf Anfrage dieses Prinzip. Wöchentlich informiere das Bundesgesundheitsministerium über die erwarteten Kontingente, auf dieser Grundlage könnten die Arztpraxen ihre Impfstoffe bestellen. Dabei gibt es Limitierungen: So durften zuletzt für Erstimpfungen pro niedergelassenem Arzt maximal zwei Injektionsfläschchen des Impfstoffs von Biontech/Pfizer angefordert werden; sie reichen jeweils für sechs bis sieben Impfungen.
Fast dreimal so viele
Dabei gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Regionen: Eine letzte Auswertung des Landesamtes für Statistik aus dem Jahr 2016 zeigt, dass in den Kreisen Olpe rund 1300, im Märkischen Kreis 1100 und im Hochsauerland 1150 Patienten pro Praxis betreut werden. Zum Vergleich: In Bonn waren es rund 530, in Hagen 920 und in Essen 930. „Wenn fast dreimal so viele Patienten in einer Praxis betreut werden, kann es sicherlich länger dauern, bis alle geimpft sein“, sagte KVWL-Sprecherin Vanessa Pudlo.
Hinzu kommen weitere Komponenten: In ländlichen Regionen mit einer überdurchschnittlich älteren Bevölkerung sind tendenziell mehr ältere Menschen auch in den Praxen zu impfen als in Großstädten mit einer jüngeren, zum Teil studentischen Bevölkerung. Auch die Dichte an Arztpraxen unterscheidet sich innerhalb Deutschlands: Der ländliche Raum kämpft mit Ärztemangel: Wo weniger Mediziner sind, kann auch weniger Impfstoff bestellt werden.
Forderung des Landkreistags
Auch der Präsident des Bayerischen Landkreistages, Christian Bernreiter, hatte unlängst gefordert, dass der Impfstoff gleichmäßig verteilt werden müsse. „Es darf nicht sein, dass Gebiete mit geringer Ärztedichte benachteiligt werden, weil dadurch ein Keil in die Gesellschaft getrieben würde“, sagte er. Seine Forderung: Die Zahl der über die Ärzte vergebenen Impfungen sollte ebenfalls an der regionalen Einwohnerzahl bemessen werden. Abgesehen von Sonderkontingenten etwa für besonders stark getroffene Regionen sei die Verteilung der Impfstoffe an die Impfzentren der Landkreise und kreisfreien Städte einwohnergerecht. Seit jedoch auch die Haus- und Fachärzte mitimpften, gebe es starke Verschiebungen.
Durch die strukturell unterschiedliche Verteilung der Arztpraxen könne es zu einer ungleichen Impfstoff-Verteilung kommen, bestätigte auch der Landkreistag NRW. „Momentan gibt es zu wenig Impfstoff für alle“, sagte Pressesprecherin Rosa Moya. Auch im Sinne der Impfgerechtigkeit müsse die Versorgung der Impfzentren gewährleistet werden.
Schere durch Betriebsärzte
Wenn am 7. Juni auch die Betriebsärzte mit dem Impfen beginnen, könnte die Schere zwischen Stadt und Land noch weiter auseinander gehen: Die kleineren Betriebe im ländlichen Raum verfügen in der Regel über keinen Zugang zu Betriebsärzten.
Eine Anfrage dieser Zeitung an das NRW-Gesundheitsministerium blieb zunächst unbeantwortet.