Meschede/Berge. 60.111 Erstimpfungen gegen Corona sind im Hochsauerland gesetzt. Dennoch warten Schwerkranke weiter: Wie kann das sein?

Wie kann es sein, dass dieser Mann noch nicht geimpft ist? Hans-Jochen Giebel ist 73 Jahre alt und er ist leider alles andere als gesund. Er hat Krebs, leidet unter der Lungenkrankheit COPD, hat ein transplantiertes Organ und ist am Herzen operiert. Berechtigt zur Corona-Impfung ist er. Einen Termin hat er jetzt nur durch den Einsatz seiner Tochter und seines Schwiegersohns bekommen. Der Weg dahin war schwierig. Seitdem diskutiert die Familie die Frage: Wie wird eigentlich der Impfstoff verteilt und wer bekommt die knappen Dosen?

Hohe Priorität

Von Anfang an hatte sich die Familie um alles gekümmert: Die Unterlagen besorgt, ausgefüllt und zum Hochsauerlandkreis geschickt, auch die originalen Dokumente, die nachgefordert worden waren. Vier Wochen dauerte die Bearbeitung, dann kam der Brief mit der eigentlich erfreulichen Nachricht: Aufgrund seiner Erkrankungen habe er eine hohe Priorität.

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Die schlechte Nachricht stand auch im Brief: Die Impfstoffversorgung sei weiterhin angespannt. Ende März traf der Brief mit der Priorisierung bei ihm daheim in Berge ein. Einen Schutz vor Corona hat er noch immer nicht - zum Nachrechnen: Seitdem sind weitere drei Wochen vergangenen. Seine Familie versuchte es über Nachfragen oder auch bei der Hausärztin: Die würde ihn gern impfen, bekommt aber gerade einmal 16 Dosen in der Woche… Letztlich klappte es über die Anmeldung bei der Kassenärztlichen Vereinigung. Nicht aber aufgrund der Priorisierung, sondern weil jetzt seine Altersklasse regulär an der Reihe ist.

2000 Anträge eingegangen

Der Hochsauerlandkreis verwaltet das Impfzentrum in Olsberg, die Behörde ist auch für die Einstufung von Schwerkranken zuständig. Pressesprecher Martin Reuther bedauert den Fall, verwundert ist er allerdings nicht: „Es fehlt der Impfstoff“, sagt er immer und immer wieder - und nicht nur in dieser Angelegenheit. Das Impfzentrum des HSK könnte viel mehr Menschen gegen Corona immunisieren, wenn denn die Dosen dafür geliefert würden.

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Rund 2000 Anträge auf Priorisierung seien eingegangen und in den vergangenen Wochen bearbeitet worden, berichtet Reuther. Theoretisch könnten die Berechtigten schnell geimpft werden, wenn mehr Impfstoff geliefert würde. Der Pressesprecher rechnet vor: 600 Dosen seien diese Woche pro Tag für Erstimpfungen angekommen, davon seien zehn Prozent für priorisierte Gruppen vorgesehen, also für 60 Personen. Erwartet worden war die doppelte Menge. Auch in der kommenden Woche sehen die angekündigten Liefermengen nicht besser aus.

5000 Berechtigte

Hinzu kommt: Zu den 2000 Vorerkrankten kommen 3000 weitere Personen, die aufgrund ihres Berufes ebenfalls auf der Priorisierungsliste im Hochsauerlandkreis stehen: Lehrer, Mitarbeiter im Rettungsdienst, Erzieher und weitere. „Wir verimpfen alles, was wir haben“, sagt Pressesprecher Reuther, „aber wir haben nicht genug.“ Was im Hochsauerlandkreis hinzukommt: eine sehr hohe Impfbereitschaft. Die Nachfrage ist höher als in anderen Regionen.

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Mehr als 600.000 Impfdosen sind in Deutschland zuletzt täglich verabreicht worden. Giebels Schwiegersohn Marc Rodorigo rechnet an der Stelle nach: Dem Hochsauerlandkreis stünde aufgrund seinen Bevölkerungsanteils ein Anteil von 13.000 Impfdosen in der Woche zu - im Impfzentrum kommen aber nur mehr als 7000 an. „Wo bleibt der Rest?“, fragt Rodorigo, der auch priorisiert eingestuft, aber noch ohne Termin ist. „Ich verstehe es nicht und ich stelle die Fragen für alle Bürgerinnen und Bürger, die es auch nicht verstehen und verstehen möchten.“

Keine Übersicht

Seine Rechnung ist korrekt, die Antwort kompliziert. Offenbar niemand hat eine Übersicht, wie viel Impfstoff wohin in den heimischen Raum geliefert wird. Der Hochsauerlandkreis kann nur über die Zahlen aus seinem Impfzentrum berichten. Zu den wöchentlichen Lieferungen kommen unregelmäßige und nicht einzukalkulierende Sonderkontingente, zum Beispiel zuletzt allein für Beschäftigte in Grund- und Förderschulen sowie Kindertagesstätten, oftmals im 1000er-Bereich und darüber. Lieferungen bekommen darüber hinaus Einrichtungen sowie Hausarztpraxen. Das Impfzentrum kalkuliert momentan mit 1000 Erst- und Zweit-Impfungen pro Tag ohne Sonderkontingente. Die Bilanz dort bisher: 60.111 Erstimpfungen und 18.425 Zweitimpfungen. Mehr wäre möglich - wenn mehr Impfstoff vorhanden wäre.