Meschede. Ein Vogelkundler tritt gegen eine App an. Wer erkennt die Vögel im Mescheder Kohlwedertal besser? Die App oder Harald Legge vom VNV?

Der erste Vogel sitzt in der Spitze der Erle: eine Amsel. Weithin kann man ihren trällernden Gesang hören. Das ist einfach. Doch wer jenseits von Kuckucksrufen und Amselträllern Vogelstimmen erkennen will, braucht Erfahrung und ein gutes Gehör. Harald Legge ist Ornithologe, Mitglied im Vorstand des Vereins für Natur und Vogelschutz (VNV) und hat viel Erfahrung – eine App tritt gegen sein Gehör im Kohlwedertal an. Kann „BirdNet“ wirklich Vogelstimmen erkennen wie ein Vogelkundler?

Kleiner Ausschnitt

Um 8 Uhr morgens startet der Wettstreit. Dabei ist klar: Es handelt es sich nur um einen kleinen zeitlich und räumlich begrenzten Ausschnitt des ganzen Vogelspektrums, der sich je nach Tages- und Jahreszeit verändern wird. „Morgens und abends singen die Vögel besonders ausdauernd“, erklärt Legge. Man könne aber eigentlich zu jeder Tageszeit Vogelstimmen hören.

Vogelkundler Harald Legge kann aus dem bunten Stimmengewirr einzelne Vogelstimmen herausfiltern.  
Vogelkundler Harald Legge kann aus dem bunten Stimmengewirr einzelne Vogelstimmen herausfiltern.   © Ute Tolksdorf

Da zwitschert was. Legge erkennt eine Sumpfmeise. „BirdNet“ nimmt erst die Tonspur auf und visualisiert die Geräusche. Mit einem Fingerwisch bestimmt der Benutzer dann, welche Töne er analysieren will. Außerdem speichert die Anwendung die Suchen mit Ergebnis und Geodaten. Bei etwa 80 Prozent liegt „BirdNET“ richtig. Wo sie sich irrt, weiß Legge, dass sie nur knapp danebenliegt: Bachstelze und Gebirgsstelze klingen halt ähnlich.

Gesang und Kontaktrufe

Die Anwendung ist gut, dass muss auch der Ornithologe zugeben: Einen Kleiber in weiter Ferne, erkennt sie, für das Rotkehlchen unter der Autobahnbrücke braucht sie ein paar mehr Anläufe. Die Störgeräusche der Lkw sind einfach zu laut. Sie erkennt Gesang, aber auch einfache Kontaktrufe, wie das „Keck! Keck!“ des Buntspechts, der direkt neben dem unteren Weg im Kohlwedertal an der Baumrinde knuspelt. Das Wintergoldhähnchen, dessen hoher Gesang für Ältere oft gar nicht mehr wahrnehmbar ist, ist für sie ein Kinderspiel. Legges Vergleich: „Hört sich an wie ein Zwerg, der ein Motorrad antritt.“

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Die Vorteile des Vogelkundlers

Das Problem: Häufig ist es ein vielstimmiger Chor, der im Wald, in Büschen oder im Offenland zu hören ist. Die App erkennt auch mehrere Vögel, doch welcher ist jetzt welcher? Legges geschultes Gehör ist da eindeutig besser. Trotzdem: Der Grundschullehrer denkt als Pädagoge: „Die App ist gut, wenn man sein Wissen überprüfen oder sich zum ersten Mal mit Vogelstimmen beschäftigen will.“ Eine klare Empfehlung damit auch für Familien. „Kinder lernen solche Dinge ja unglaublich schnell und haben dann auch Erfolgserlebnisse.“ Und wer schon ein paar Vogelstimmen kennt, kann darauf aufbauen. „Auch eine Fremdsprache lernt man ja leichter, wenn man schon eine andere kann.“

Allgegenwärtig und dennoch unscheinbar, der Zilpzalp, der als Zugvogel oft schon im März wieder bei uns eintrifft.
Allgegenwärtig und dennoch unscheinbar, der Zilpzalp, der als Zugvogel oft schon im März wieder bei uns eintrifft. © WP

Zilpzalp und Zaunkönig

Eine Runde ums Kohlwedertal bringt so rund 16 verschiedene Vogelarten zu Gehör, darunter ist der Zilpzalp, der den eigenen Namen ruft oder der Zaunkönig, der in einem Busch in Bodennähe seine lange Strophe singt. „Meist hört man einen Vogel ja, bevor man ihn sieht“, sagt Harald Legge, „um ihn dann zu bestimmen, ist die App gut.“ Er selbst erkennt die Vögel auch so, die Kohlmeise, die mit ihren zwei Tönen den Frühling einläutet, die Misteldrossel, die ein wenig melancholisch klingt und den Star, der ein genialer Stimmenimitator ist.

Fernglas als wichtiges Hilfsmittel

Um genauer hinzuschauen, hat Legge stets ein Fernglas dabei und empfiehlt das auch allen Hobby-Ornithologen. Doch selbst dabei hilft die App. Hat sie einen Vogel erkannt, zeigt das Ergebnis auch dessen Bild. Ein Klick und man wird auf die entsprechende Wikipedia-Seite weitergeleitet. Manchmal kann man da sogar den Ruf des Vogels noch mal überprüfen. „Das sollte man aber nicht im Gelände machen“, weiß Legge. „Die Tiere denken dann, dass ein Rivale in ihrem Revier ist.“ So schön sie dann offenbar antworten, das verursacht Stress. „Deshalb ist es auch vom Bundesnaturschutzgesetz verboten.“

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Wer so viele verschiedene Vögel kennt wie Harald Legge, für den ist der Gang durch die Natur eine ständige, vielstimmige Erzählkulisse. „Im Frühjahr schlafe ich deshalb nur mit geschlossenem Fenster“, erzählt er schmunzelnd. „Sonst werde ich mit den ersten Vögeln wach und muss hinhören.“ Noch ein Vorteil der App: Die macht man einfach aus.

>>>HINTERGRUND

Die kostenlose App BirdNET erkennt Vögel an ihrem Gesang

Die KI-Anwendung wurde an der TU Chemnitz in Kooperation mit der Hochschule Mittweida und der Cornell University in Ithaca (US-Bundesstaat New York) von einem interdisziplinären Team aus Informatikern und Ornithologen entwickelt.

Die App greift auf ein neuronales Netz zu, das darauf trainiert wurde, die 500 häufigsten Vogelarten zu erkennen.

Jede Aufnahme hilft bei der Verbesserung und Weiterentwicklung der App.