Meschede. Ein aktueller Stalking-Fall beschäftigt die Polizei. Warum es wichtig ist, Öffentlichkeit herzustellen, sagt Oliver Milhoff von der HSK-Polizei.

Der junge Mann setzt sein Auto an der Ampel hinter das seiner Bekannten, zerrt sie aus dem Wagen, schlägt und beschimpft sie, bis Umstehende eingreifen und die Polizei holen. Der vorerst letzte Akt im Drama um einen Mescheder Stalking-Fall. Öffentlichkeit ist genau das, was die meisten Stalking-Opfer scheuen, doch das ist wichtig, sagt Oliver Milhoff, Opferschutzbeauftragter der Polizei im HSK. „Wichtig sind auch Berichte über Fälle, die positiv ausgegangen sind“, sagt er. „Sie helfen anderen Betroffenen in kritischen Zeiten die richtigen Entscheidungen zu treffen.“ Welche das sind, erklärt er unter anderem im Interview.

Oliver Milhoff  vom Kommissariat Vorbeugung und Opferschutz des HSK.
Oliver Milhoff  vom Kommissariat Vorbeugung und Opferschutz des HSK. © Polizei HSK

Wer stalkt wen und warum?

Oliver Milhoff: Die größte Gruppe der Stalker bilden ehemalige Beziehungspartner und auch -partnerinnen. Aber auch Freunde, Arbeitskollegen, Familienmitglieder oder flüchtige Bekannte kommen in Frage. In etwa 75 Prozent der Fälle kennen die Betroffenen ihre Verfolger. Im HSK hatten wir 2019 insgesamt 47 angezeigte Nachstellungen. 2020 waren es 63 - eine Zunahme um 34 Prozent. Doch die Dunkelziffer ist groß.

Könnten Sie mal einen typischen Fall schildern?

Ein Mann verliebt sich in eine junge Kollegin und verlässt die Familie. Seine Frau kommt mit der Situation nicht klar. Sie verfolgt ihn, terrorisiert ihn mit Anrufen, verschickt an seine neue Adresse und unter seinem Namen unerwünschte Pakete, lauert ihm nach der Arbeit auf und beschimpft die Freundin.

Mit Liebe hat das dann nicht mehr viel zu tun.

Sicher nicht. Anfangs können die Gefühle positiv sein, wie Bewunderung, Zuneigung oder Liebe. Aber auch Rachegefühle, Neid und Hass spielen eine Rolle. Manchmal verändert sich das Gefühl auch im Verlauf eines Stalking-Falls aus Liebe und Bewunderung wird Hass. So ein Prozess ist oft sehr dynamisch.

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Im aktuellen Fall gab es offenbar eine „letzten Aussprache“. Was halten Sie davon?

Gar nichts. Man sollte seinem Verfolger oder der Verfolgerin einmal klar und deutlich sagen, dass man kein weiteres Gespräch, keinen Kontakt wünscht und sich dann auch selbst daran halten. Der Zeitfaktor ist wichtig. Je eher ich diese rote Linie ziehe, desto weniger prasselt hoffentlich auf mich ein. Ein „letztes Gespräch“ mit einem Stalker dagegen lohnt nicht. Und es kann je nach Eskalationsstufe wirklich ein letztes Gespräch werden.

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Wie ernst sollte man Morddrohungen nehmen?

Ernst. Immerhin handelt es sich hierbei um eine klare Straftat mit angedrohter Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

Oftmals fragen sich die Gestalkten, was sie nur falsch gemacht haben. Sie scheuen sich, die Polizei zu rufen, meiden die Öffentlichkeit und wollen eigentlich nur, dass das Ganze aufhört.

Das ist verständlich, aber der falsche Weg. Um aus der Opferrolle herauszukommen, ist es wichtig Öffentlichkeit herzustellen. Der erste Schritt sollte dabei immer direkt zur Polizei führen. Ansonsten gibt es keine starre Checkliste, aber viele Möglichkeiten: Verletzungen sollte man nicht nur behandeln, sondern auch dokumentieren lassen. Erstatten Sie Strafanzeige! Jede angezeigte Straftat weist den Täter in seine Schranken. Führen Sie Tagebuch über jeden Kontaktversuch mit den daraus entstandenen Auswirkungen. Also beispielsweise: „XY hat mich am 3. März zehnmal in der Nacht angerufen. Ich war so aufgewühlt, dass ich nicht wieder einschlafen konnte.“ Und informieren Sie Ihr nahes Umfeld: Öffentlichkeit kann schützen. Daneben gibt es die Möglichkeit, geheime Rufnummern, eine Fangschaltung oder einen Anrufbeantworter einzurichten.

Welche Rolle spielen die sozialen Medien?

Ich will sie nicht verteufeln, denn sie bieten auch große Freiheit, aber eben leider auch die Möglichkeit, relativ anonym Personen zu beleidigen. Man sollte im Stalking-Fall zumindest darüber nachdenken, seine Mail-Adresse oder den Messenger zu ändern.

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Was leistet ein Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz?

Damit legt das Amtsgericht fest, dass sich der Täter dem Opfer nur noch in einem bestimmten Radius, meist zwischen 20 und 200 Metern nähern darf. Jede Überschreitung ist strafbar. Auch dafür ist es wichtig, jede Annäherung zu dokumentieren.

Welche weiteren juristischen und strafrechtlichen Möglichkeiten gibt es?

Es zeigt sich, dass schnelles und konsequentes Einschreiten der Polizei oft Wirkung zeigt und viele Belästigungen nach der Anzeige und einer Gefährderansprache durch die Kollegen aufhören. In manchen Fällen bestellt das Gericht auf Antrag einen Opferanwalt. Bei Gewalttaten besteht zudem die Möglichkeit, Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz zu erhalten. Dazu gehören Heil- und Krankenbehandlung, Hilfe zur beruflichen Rehabilitation oder eine Beschädigtenrente.

Es gibt wenige Opfer, die ihre Geschichte öffentlich machen.

Hier sind wir wieder am Anfang unseres Gesprächs. Viele Sachverhalte aus dem Bereich Stalking entwickeln sich aus Ex-Beziehungen, also dem direkten privaten Bereich. Und der wird oft aus Schamgefühl nicht der Öffentlichkeit präsentiert. Dennoch sind Erfolgsgeschichten immer Werbung für Menschen, die momentan noch hadern oder zweifeln, den ersten Schritt zu wagen.

Hintergrund

Der Weiße Ring hat eine No-Stalk-App entwickelt. Damit lassen sich alle Stalking-Vorfälle per Foto-, Video- sowie Sprachaufnahmen chronologisch und lückenlos mit dem Smartphone dokumentieren.

Die No-Stalk-App des Weißen Rings will dabei unterstützen, aktiv und selbstbestimmt gegen Stalking vorzugehen.

Auch die Polizei vermittelt Adressen von Hilfeeinrichtungen und Beratungsstellen. Oliver Milhoff vom Kommissariat Vorbeugung und Opferschutz ist erreichbar unter T 0291-90877-20 und E-Mail : oliver.milhoff@polizei.nrw.de