Meschede. Was ist, wenn man infiziert war? Welche Rolle spielt die Immunabwehr? Der Vertreter der Kassenärzte im HSK zu Fragen rund ums Impfen.

Frühestens im Herbst 2021 rechnet Dr. Hans-Heiner Decker mit einem Ende der Maskenpflicht. Im Interview erklärt der Bezirksstellenleiter der Kassenärztlichen Vereinigung, der somit auch der "Mann fürs Impfen im Hochsauerlandkreis" ist, wann der Impfschutz einsetzt und was nach aktuellem Forschungsstand für die nächsten Monate wichtig bleibt.

Laut Aufklärungsbogen beginnt der Impfschutz etwa sieben Tagen nach der zweiten Impfung. Es heißt dort, erst dann sind 95 von 100 Personen geschützt. Wie kann Großbritannien dann jetzt die zweite Impfung zeitlich nach hinten schieben, ist das nicht unverantwortlich? Oder hat man mit der ersten Impfung schon einen gewissen Schutz?

Dr. Hans-Heiner Decker: Der Impfschutz setzt bereits sieben bis zehn Tage nach der ersten Impfung ein und erreicht dann eine Wirksamkeit von etwa 50 bis 70 Prozent. Sofern sich die Verschiebung der zweiten Impfung innerhalb des zugelassenen Intervalls bis zum 42. Tag befindet, dürfte das kein Problem beim BionTec Impfstoff sein. In England wird aber über diese Fristen wohl hinausgedacht, was die Wirksamkeit schwächen könnte. Die Überlegung dort greift wie folgt: Lieber die doppelte Anzahl an Personen mit einem Impfschutz von rund 70 Prozent impfen als die Hälfte zu 90 bis 95 Prozent. Dabei geht man davon aus, dass auch die nur einmalige Impfung schwerste und oder gar tödliche Infektverläufe bereits vermeiden kann. Ansonsten wäre eine solche Idee kaum zu rechtfertigen.

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Reicht der Infektionsschutz, wenn man die Krankheit durchgemacht hat? Welche Rolle spielt da der Antikörpertiter?

Der Impfschutz scheint für eine gewisse Zeit auszureichen. Man geht derzeit von sechs Monaten aus. Dies ist aber wissenschaftlich noch nicht scharf ausgewertet. Dabei hängt die Länge und Intensität des Infektionsschutzes von der immunologischen Reaktion während der Infektion ab. Der messbare Antikörpertiter nach natürlicher Infektion oder Impfung ist dabei ein Anhaltspunkt. Allerdings ist er nicht der einzige Faktor: Hinzu kommt eine zelluläre Immunität, die von speziellen Lymphozyten ausgeht und in der Infektabwehr eine große Rolle spielt. Diese aber kann nach meinem Kenntnisstand nicht sicher bestimmt und im Vorhinein im Rahmen einer Routineuntersuchung eingeschätzt werden.

Stimmt es dann, dass der Infektionsschutz bei Menschen, die keine oder nur geringe Symptome hatten zu niedrig ist, um eine Infektion abzuwenden?

Das stimmt so nicht. Eine gewisse Schutzwirkung scheint auch eine asymptomatische Infektion auszulösen. Man schätzt diese Schutzwirkung zwar geringer ein, weil die Antikörperantwort im Regelfall schwächer ist als bei Schwerkranken, dennoch ist sie vorhanden. Und auch hier gilt: Die zusätzliche Wirksamkeit der zellulären Immunantwort kann nicht sicher eingeschätzt werden. Sie spielt aber eine Rolle.

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Auch bei Menschen, die die Krankheit schon durchgemacht haben, sinkt der Antikörpertiter mit der Zeit. Sollten sie diesen Wert erst beim Hausarzt bestimmen lassen, bevor sie sich impfen lassen? Und wie hoch muss der sein, um auf eine Impfung ganz verzichten zu können?

Stand heute wird vor einer Covid-Impfung der Antikörpertiter nicht regelhaft bestimmt. Es gibt zurzeit, wie etwa bei der Hepatitis B-Titer-Bestimmung, keinen „Cut-off", unterhalb dessen ein Antikörpertiter nicht mehr schützt oder umgekehrt ausgedrückt bei Überschreitung sicher vor Infektion bewahrt. Weiterer Forschungsbedarf ist angesagt und bestimmt schon eingeleitet. Aus diesen noch bestehenden offenen Fragen heraus, ist es derzeit unsinnig, eine Impfung von der Titerhöhe der Antikörperspiegel abhängig zu machen.

Aber reicht dann diesmal eventuell auch nur eine Impfung?

Man kann sich vorstellen, dass eine alleinige Erstimpfung bei durchgemachter Coronainfektion in gebührlichem Abstand – vielleicht zwischen dem sechsten und dem zwölften Monat ausreichend sein dürfte, da diese Impfung als Booster, das heißt als Wirkverstärker der natürlichen Infektion fungiert. Interessant ist, dass nach Aussagen von Fachleuten die Immunantwort d.h. der Schutz einer Impfung höher eingeschätzt wird als eine natürliche Infektion, wobei es da abhängig vom Krankheitsverlauf sicher Unterschiede geben dürfte.

Die Beobachtung, dass der Antikörpertiter sinkt, machen unter anderem Hausärzte aus der Region bei sich selbst. Sie vermuten, dass wir in Zukunft jedes Jahr eine Corona-Impfung brauchen werden. Wie sehen Sie das?

Dass die Antikörpertiter nach einer natürlichen Infektion sinken, ist nicht verwunderlich und entspricht allgemeinen Beobachtungen auch anderer Virusinfektionen. Daraus resultiert noch nicht die gesicherte Erkenntnis, dass in jährlichen Abständen geimpft werden müsste. Der Impfschutz kann möglicherweise wesentlich länger andauern. Auch hier bedarf es weiterer Forschungsergebnisse. Je höher die Mutationsrate eines Virus ist, desto wahrscheinlicher reduziert sich aber der notwendige Zeitabstand zwischen zwei Impfungen, um dauerhaften Schutz zu gewährleisten.

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In dem Aufklärungsmerkblatt steht auch, dass man trotz Impfung weiterhin die Abstands-, Masken und Lüftungs-Regeln einhalten soll, um sich und andere zu schützen, weil die Impfung nicht sofort schützt und weil sie nicht bei jedem schützt. Wie lange bleiben uns dann diese Regeln erhalten?

Die AHA- und Lüftungsregeln bleiben erhalten bis der Großteil des Impfwilligen auch geschützt ist und Herdenimmunität angenommen werden kann. Das Tragen einer Maske ist auch nach einer Komplett-Impfung weiterhin wichtig, da zum jetzigen Zeitpunkt auch dann eine Virusübertragung an Dritte nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Weitere bereits in Auftrag gegebene Forschungsergebnisse zum Stichwort „sterile Immunität" bleiben abzuwarten. Man rechnet derzeit mit einer Lockerung der Maskenpflicht zum Herbst 2021. Im Übrigen hätte das Abnehmen der Masken bei allgemeiner Maskenpflicht, auch einen „diskriminierenden Effekt“, wenn alle nicht Geimpften weiterhin mit einer unübersehbaren Markierung im Gesicht herumlaufen müssten. Die letzten würden quasi als „Geächtete“ durchs Land laufen, auf die mit Fingern gezeigt würde. In anderem Kontext hatten wir das schon mal in extrem menschenverachtender Weise....

>>> Infobox

Wer erkältet ist muss laut Dr Hans-Heiner Decker nicht auf die Covid-19-Impfung verzichten.

Temperaturen unter 38 Grad sei kein Hinderungsgrund. Im Zulassungstext zur Impfung werde eine Kontraindikation ab Temperaturen über 38,5 Grad Celsius beschrieben.

„Ich persönlich würde mich oberhalb von 38 Grad nicht impfen lassen und bis zum Abklingen des akuten Erkältungsstadiums abwarten.“