Bestwig. Die schöne neue Arbeitswelt hat in Bestwig viele Facetten. Als Vorsitzender des Arbeitskreises Wirtschaft kennt Joachim Hofius sich aus.

Als Vorsitzender des Arbeitskreises Wirtschaft pflegt Joachim Hofius einen engen Kontakt zu den Bestwiger Unternehmen und hat in dieser Funktion immer wieder Einblicke in die „schöne neue Arbeitswelt“ der Gemeinde. Wir haben ihn für dieses Thema zum Interview gebeten.

Herr Hofius, zur schönen neuen Arbeitswelt gehört leider auch das Thema Fachkräftemangel. Wie gehen die Firmen in der Gemeinde Bestwig damit um?

Joachim Hofius Wir haben in Bestwig eine vielschichtige Unternehmensstruktur. Auf der einen Seite gibt es als Konzerne die drei größten Arbeitgeber Tital, Busch und Lobbe. Auf der anderen Seite haben wir einen großen Anteil inhabergeführter mittelständischer Familienunternehmen. Entsprechend unterschiedlich sind die Ausrichtungen zwar insgesamt. Beim Thema Fachkräftemangel machen aber alle durchweg die gleiche Erfahrung: In allen Branchen herrscht sowohl ein qualitativer als auch einen quantitativer Mangel. Als Konsequenz suchen viele Unternehmen Wege, an qualifizierte Nachwuchskräfte zu kommen. Der Entsorger Lobbe und die Spedition Häger bilden zum Beispiel ihre Berufskraftfahrer selbst aus - allerdings immer mit dem Risiko behaftet, dass der frisch ausgebildete Mitarbeiter nach dieser durchaus kostspieligen Ausbildung zu einem anderen Arbeitgeber wechselt, weil der zehn Euro mehr bietet.

Wie sieht es denn mit der Anzahl an Bewerbungen auf Ausbildungsplätze aus?

Ich habe zuletzt mit der Sparkasse Hochsauerland gesprochen, die einen eklatanten Rückgang der Bewerbungen beklagt hat. Vor rund 15 Jahren habe es 80 Bewerber gegeben, heute seien es nur noch 15. Das führt dazu, dass die Banken verstärkt dazu übergehen, Schulpraktika anzubieten, um qualifizierten Nachwuchs zu bekommen.

Wie hat sich die „schöne neue Arbeitswelt“ in der Gemeinde Bestwig denn entwickelt? Ist wirklich alles schön?

Wenn wir zum Beispiel den Entsorger Lobbe nehmen, hat sich hier in den vergangenen Jahren eine ganze Menge getan, was die verschiedenen Berufsfelder angeht. Hier geht es längst nicht mehr darum, einfach nur ein bisschen Müll zu sortieren. Als Fachkraft für Kreislauf- und Abfallwirtschaft hat man inzwischen eine enorme Verantwortung und braucht ein fundiertes Wissen. Es haben sich in der Weiterentwicklung in vielen Branchen immer mehr neue Berufsfelder aufgetan. Ähnlich war es, als vor Jahren im industriellen Bereich das Berufsbild des Mechatronikers - eine Mischung aus Elektroniker und Schlosser - aufkam. Diese Entwicklung ist enorm wichtig, weil Verantwortung und Abwechslung eine Arbeitsstelle attraktiver machen. Zur neuen Arbeitswelt gehören inzwischen aber auch die neuen Medien. Auch bei der Sparkasse finden zum Beispiel Kundengespräche inzwischen über Skype statt, ohne dass der Kunde erst anreisen muss.

Gehört zur neuen Arbeitswelt in der Gemeinde Bestwig auch das Thema Home-Office?

Definitiv! Bei allen Firmen, mit denen ich zuletzt gesprochen habe, stand dieses Thema oben an. Das ist ganz spannend, denn das Thema hat inzwischen viele Facetten. Es gibt Unternehmen, die Home-Office aus Corona-Gründen anbieten, es gibt aber auch Betriebe, die Home-Office anbieten, um ihre qualifizierten Kräfte zu halten. Auch hier sind wir wieder bei der Sparkasse. Dort reagiert man damit auf den sehr hohen Anteil an weiblichen qualifizierten Mitarbeiterinnen. Um sie nicht zu verlieren, ist es wichtig, Mittel und Wege zu finden, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Und da ist das Home-Office eben der ideale Weg. Das geht zwar nicht überall, weil gewisse Berufe eine persönliche Anwesenheit verlangen - wie zum Beispiel die Disposition bei der Firma Lobbe. Aber auch dort sind vier oder fünf Home-Office-Arbeitsplätze geschaffen worden, weil man die qualifizierten Mitarbeiter sonst gar nicht erst bekommen hätte. So hat das Unternehmen nun Umweltingenieure und Umweltkonzeptplaner, die von Köln oder Bielefeld aus für ihre Firma in Bestwig arbeiten.

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Wie sieht es denn mit Start-Ups in Bestwig aus? Gibt es noch mutige junge Leute?

Ja, die gibt es durchaus. Da fällt mir zum Beispiel die Firma Apuro im alten Bahnhof ein. Dort bieten zwei junge Leute innovative, desinfizierende und geruchsneutralisierende Produkte auf Wasserbasis an. Das ist eine tolle Sache. Was mir im Zusammenhang mit dem Thema Start-Up allerdings persönlich leid tut, ist, wenn wir junge Bestwiger mit ihrem Start-Up nicht in der Gemeinde halten können. Marcel Malik und Julian Flashar mit ihrer Firma Juma sind hier ein gutes Beispiel. Beide waren vorher bei Feil in Nuttlar, haben danach das Thema Transportsysteme weiterentwickelt und sich schließlich selbstständig gemacht. Der Sitz dieses florierenden Unternehmens ist nun leider in Meschede. Ich persönlich hätte die beiden gern hier in Bestwig neben Tital gesehen. Dort wäre ja noch Platz. Das felsige Gelände ist aber von der Topographie her sehr schwierig. In Meschede hingegen waren nur wenige Erdarbeiten erforderlich. Unser Problem ist, dass die Kapazitäten für Gewerbeflächen in der Gemeinde Bestwig inzwischen leider sehr begrenzt sind.

Wie erleben denn die älteren Arbeitnehmer die schöne neue Arbeitswelt?

Hier spielt das Thema Altersteilzeit durchweg eine große Rolle. Die meisten Unternehmer können ihre Mitarbeiter zwar durchaus verstehen, wenn sie früher ausscheiden wollen. Auf der anderen Seite müssen sie aber aufpassen, dass ihnen hierdurch nicht zu viel Qualität verloren geht. Die Best-Ager haben schließlich eine Menge Know How. Es gibt in der Gemeinde Beispiele, in denen die Mitarbeiter auch in der passiven Phase der Altersteilzeit noch ein bis zweimal die Woche nebenher in den Betrieb kommen. Das müsste für die Zukunft aber von politischer Seite renten- und steuertechnisch optimiert werden. Ich glaube jedoch, dass so etwas im Zuge des demografischen Wandels ohnehin kommen wird. Wenn die Politik mal wieder den Kopf frei hat von Corona, wird sie sich verstärkt dem demografischen Wandel mit all seinen Facetten stellen müssen. Und zwar auf beiden Seiten der Altersstruktur. Hier muss sich beim Berufseintritt ebenso etwas tun, wie beim Berufsaustritt.

Wo liegen denn aus Ihrer Sicht die Probleme beim Eintritt in die Berufswelt?

Wenn ich sehe, was heutzutage vielfach an jungen Leuten als Nachwuchskräfte neu auf den Arbeitsmarkt nachkommt, enttäuscht mich das nicht nur, es macht mich wirklich auch traurig. Hier fehlt es oft nicht nur an Quantität, sondern schlichtweg leider immer mehr an der Qualität. Nicht umsonst versuchen ja viele Unternehmen - wie zum Beispiel die Banken - hier über interne Schulungen gewisse Defizite aufzufangen.

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Liegt es an den Schulen oder an der Jugend?

Es liegt an der Schulpolitik. Meiner Meinung nach, ist es allerhöchste Zeit, die Inhalte in den Lehrplänen zu überdenken. Man müsste sich dringend mal die Frage stellen, ob das, was an den weiterführenden Schulen unterrichtet wird, noch zeitgemäß ist und ob man nicht lieber mehr Gewicht auf wichtige Kernthemen wie Mathe, Deutsch, Physik und Englisch legt - eben Dinge, die ich brauche, wenn ich später in der Wirtschaft überleben will. Ich sage immer: Von Schule und Fußball glaubt jeder, er hätte Ahnung. Dieses Spielfeld Schule muss aufhören. Da muss eine Konsequenz hinein und es muss eine inhaltliche Durchforstung geben. Und am Ende muss es Schwerpunkte geben, die mit der Wirtschaft abgestimmt sind. Nur so haben die jungen Menschen später eine Chance in der schönen neuen Arbeitswelt auch klar zu kommen.

Zur Person

Joachim Hofius ist 63 Jahre alt und war viele Jahre an verantwortlicher Position im Unternehmen Tital, das heute als Arconic Teil des US-Unternehmens Howmet Aerospace ist.

Gleichzeitig engagiert sich Hofius als sachkundiger Bürger in der Bestwiger Kommunalpolitik.

Den Arbeitskreis Wirtschaft leitet Joachim Hofius seit Anfang des Jahres 2019.

Der Arbeitskreis versteht sich selbst als Forum für Dialog und Austausch aber auch zur Entwicklung gemeinsamer Interessen und Initiativen. Dem Gremium gehören Vertreter aus Handel, Handwerk, Gewerbe, Industrie und Dienstleistung in der Gemeinde Bestwig an.

Die Treffen des Kreises stehen stets unter einem bestimmten Schwerpunktthema - immer wieder sind auch Politiker aus Bund und Land oder Fachleute von der IHK beim Arbeitskreis Wirtschaft zu Gast. Auch auf die Einbindung der Schulen wird großer Wert gelegt.