Meschede. Dr. Christian Schneider war 31 Jahre Hausarzt in Meschede. Er blickt zurück auf diese Zeit und auf Corona als größte Herausforderung.

Kein Kittel mehr, keine Arzttasche, kein Stethoskop. Für ein Foto, das ihn in seinem alten Leben zeigt, hat Dr. Christian Schneider keine Utensilien mehr parat. Seit dem 1. Oktober ist der langjährige Mescheder Hausarzt in Rente. „Die letzten Tage waren sehr emotional“, sagt der 66-Jährige. Aber jetzt hat er abgeschlossen. „Ich werde mich nie unaufgefordert irgendwo einmischen“, das hat er sich und anderen versprochen.

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Der Arzt

31 Jahre war Schneider Hausarzt, wie schon sein Vater vor ihm. „Der Arztberuf ist schön“, betont er. Die steigende Bürokratie sei es weniger. Er habe es immer genossen, besonders nah bei den Menschen zu sein. „Bis zu 450 Hausbesuche haben wir zuletzt pro Quartal in der Gemeinschaftspraxis gemacht. Wie viele das in all’ den Jahren waren, kann ich gar nicht sagen.“ Schneider betreute bis zum Schluss noch Patienten, die schon sein Vater behandelt hatte. „Meine älteste Patientin ist 105 Jahre alt. Manche Familien, ihre Geschichten und Krankheiten kenne ich seit Generationen.“

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Die Patienten

Die Menschen seien selbstbewusster und kritischer geworden in den drei Jahrzehnten, so Schneider, fragten mehr nach. Auch wenn ein Facharzt etwas vorschlägt, wird das in der Regel mit dem Hausarzt besprochen. „Diese Beratung - das Gespräch auf Augenhöhe - ist zeitintensiv, aber wichtig, um eine gute Lösung für den Patienten zu finden“, betont er. Zwar werde die Apparatemedizin meistens besser vergütet, „aber man bekommt auch in anderen Berufen nicht alles bezahlt. Und ich habe mich nie unterbezahlt gefühlt.“

Die Krankheiten

Die Krankheiten hätten sich dagegen nicht verändert. Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen der Atemwege - vieles sei aber besser behandelbar. „Selbst Aids - in den ersten Jahren meiner Tätigkeit - absolut tödlich, ist heute eine chronische Erkrankung.“ In der Nachbehandlung von Operationen sei der Hausarzt heute mehr gefragt als früher. „Früher blieben Sie mit einer Gallenblasen-OP zwei, drei Wochen stationär im Krankenhaus, heute wird minimalinvasiv operiert und das Ganze dauert drei Tage.“ Die Nachsorge übernehme dann der Hausarzt. Verändert hätten sich wissenschaftliche Erkenntnisse und deutlich schneller geworden sei der Weg in der Diagnostik bis zur Diagnose. „Das bringt den Patienten schneller Gewissheit“, so Schneider. Das sei ein Vorteil, „doch die Ängste bleiben die alten.“

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Corona: Die größte Herausforderung

Eine Herausforderung wie die aktuelle Corona-Pandemie habe er in seinen 31 Jahren als Hausarzt nicht erlebt. Anfangs blieben im Frühjahr die Patienten aus. Jetzt kommen sie wieder, aber auch die Zahlen steigen. „Wir müssen sie und uns schützen“, sagt der Mediziner. Er fürchtet: „Das wird uns noch lange begleiten.“ Er glaubt nicht, dass es es schon bald einen Impfstoff geben wird. Zwar hätten alle in den vergangenen acht Monaten dazugelernt. „Aus der Welt eliminieren, werden wir das Virus aber nicht“, sagt er und schiebt nachdenklich hinterher: „Gerade deshalb muss man klug abwägen, wie man Menschen schützt und ihnen dabei nicht alle wichtigen sozialen Kontakte nimmt.“

Die Zukunft

Zwei Jahre hat Dr. Christian Schneider versucht einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für seinen Platz in der Praxis „Schneider/Moser/Jellentrup“ zu finden. Ohne Erfolg. Die jungen Leute hätten einen anderen Lebensentwurf. Sie wollten als angestellte Ärzte arbeiten, geregelte Arbeitszeiten. Die Zukunft der Hausärzte, angestellt in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) sieht er kritisch. „Da haben Sie unter Umständen jedes Mal einen anderen Ansprechpartner. Wie viel Wissen da verlorengeht!“ Seine Tochter wäre gern direkt nach dem Abi Medizinerin geworden. Sie scheitert an ihrem Abi-Schnitt, macht eine Ausbildung zur Chirurgisch-Technischen Assistentin, arbeitet zwei Jahre, studiert drei Jahre in Breslau, bevor sie endlich einen Platz in Leipzig bekommt „Wenn man das macht, dann hat man Biss“, sagt der Vater anerkennend und ärgert sich gleichzeitig über ein System, das offensichtlich zu wenig Hausärzte ausbildet. „Nichts ist leichter als mit Schulnoten zu bewerten. Aber wie wollen Sie Empathie und soziale Kompetenz messen?“ Für den Mediziner - neben dem Fachwissen - Hauptkriterien für einen guten Hausarzt.

>>>HINTERGRUND

Schon der Vater von Christian Schneider, Dr. Hans Schneider, war niedergelassener Internist in Meschede. Die Praxis Schneider bestand im Juli 63 Jahre.

Nach der Bundeswehrzeit als Arbeitstaucher bei den Pionieren begann er 1977 sein Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Seit dem 1. Oktober 1989 war Schneider der damals jüngste niedergelassene Allgemeinarzt in Meschede.

Von 1991 bis 1998 war er Vorsitzender des Mescheder Ärztevereins.

2009 absolvierter Schneider die Weiterbildung zum Palliativmediziner.

Der 66-Jährige ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter.

Er ist seit seiner Jugend begeisterter Modellflieger, fährt gern Motorrad und freut sich jetzt über mehr Zeit für den großen Garten und andere Dinge mehr.