Meschede. Bei ihm „kostet´s auch mal ´ne Mark mehr“ - Markt-Urgestein Ulrich Kruse berichtet über sein Leben und erklärt, warum 08/15-Fisch gar nicht geht.
Wahrscheinlich kennt ihn nahezu jeder Mescheder. Den vielen Begrüßungen nach zu urteilen, die Ulrich Kruse an einem sonnigen Dienstagmorgen auf dem Mescheder Markt verteilt, müsste es aber auf jeden Fall jeder dritte sein. „So viel wie du erzählst, ist der Block gleich voll“, ruft ein junger Mann Herrn Kruse zu.
Ganz so dramatisch ist es nicht, doch mit seinen 82 Jahren hat Kruse natürlich so einiges zu berichten. Als junger Mann ist er noch selbst zur See gefahren, hat die Fischerei von der Pike auf gelernt. Sechsmal die Woche steht der Fischhändler um zwei Uhr nachts auf und bereitet alles für den kommenden Verkaufstag vor. „Eigentlich sind wir sonntags noch auf Festen unterwegs, die fallen aber aktuell wegen Corona weg“, berichtet er. Wir - das ist sein Unternehmen bestehend auf fünf Verkaufswagen und einem Restaurant „Das Fischlokal“ in Bönen, das von seiner Tochter geleitet wird. Am 14. August kommt ein weiteres Fischlokal in der Nähe von Hamm hinzu.
Eine sieben Tage Woche mit über 80? „Das soll mir erst einmal jemand nachmachen“, sagt Kruse schmunzelnd.
Dreimal das Geschäft aufgebaut
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Doch bis es so weit war, hat Ulrich Kruse mit seinem Fischhandel gleich dreimal von vorne anfangen müssen. Schon sein Vater hatte sich der Fischerei verschrieben. Geboren in Küstrin, im heutigen Polen, wurde Kruse die Fischerei und der Fischhandel in die Wiege gelegt. Gemeinsam haben er und sein Vater in der Nachkriegszeit an der Oder Fische gefangen und diese am nächsten Tag in Berlin auf dem Alexanderplatz verkauft. „Dreimal wurde uns das Geschäft insgesamt zerbombt. Danach bin ich - wie ich jetzt hier stehe (Anm. d. Red.: Nur mit Kleidung und Arbeitsschürze) - in die S-Bahn gestiegen und davon gefahren“, so Kruse.
Das ist lange her. Inzwischen lebt Ulrich Kruse seit vielen Jahren in Hamm, betreibt seit über 50 Jahren erfolgreich sein Fischgeschäft und steht schon seit über 20 Jahren auf dem Mescheder Wochenmarkt. Unterwegs ist er unter anderem auch in Fröndenberg, Kamen, Bönen und Standorten im Sauerland. „Meschede liegt mir. Hier hat man ein sehr gutes Marktpublikum. Dagegen sind die Menschen in Hamm ein stures Volk“, verrät er. Bei ihm koste es auch mal ´ne Mark mehr, dafür könnten sich seine Kunden sicher sein, stets beste Qualität und frischen Fisch direkt aus Bremerhaven zu bekommen.
Kein 08/15-Fisch
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Da ist er bis vor Kurzem sogar noch selbst dreimal die Woche hingefahren, um sich von der Qualität seiner Ware zu überzeugen. Inzwischen wird er aber beliefert. „Ich habe dort gute Kontakte, die wissen genau, dass die mich sofort am Telefon haben, wenn was mit dem Fisch nicht stimmt“, erklärt Kruse. Seine Kundschaft, die zu mindestens 70 Prozent aus Stammkunden bestehe, weiß das zu schätzen.
Neben der Fisch-Qualität macht die Beratung das Einkaufserlebnis am Fischwagen von Ulrich Kruse aus. Zu jedem Fisch kann er Zubereitungshinweise und Rezeptideen liefern. „Ich frag die Leute beim nächsten Besuch dann auch immer, wie es funktioniert hat. Darüber sind sie dankbar. 08/15 kann sich heutzutage einfach nicht mehr durchsetzen.“ Das gelte für den gesamten Mescheder Markt, dessen Entwicklung er sehr positiv bewertet. „Ich predige hier seit Jahren für Qualität. Dazu gehört auch, dass die Händler regelmäßig vor Ort sind.“ So steht Ulrich Kruse jeden Dienstag und Freitag vor der Walburga Kirche - gleich neben einem weiteren Fischhändler. Doch das bringt den 82-Jährigen nicht aus der Ruhe. „Meine Kunden sind da“, fasst er es pragmatisch zusammen.
Zwar hat die Corona-Pandemie auch bei ihm für schlechtere Zeiten gesorgt, rausgefahren ist er aber immer. Während Restaurants und Einzelhandel schließen mussten, konnten Supermärkte und Marktstände immerhin weiterwirtschaften. „Vor allem zu Beginn der Pandemie ist das Geschäft eingebrochen und auch heute sind wir noch nicht wieder bei Normalbetrieb“, berichtet er mit einer Ruhe, die wohl nur die Jahrzehnte lange Erfahrung im Geschäft bringt. Denn Ulrich Kruse hat weitaus schlimmere Zeiten erlebt.
Ans Aufhören denkt er noch nicht
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„1945 haben wir Kartoffelschalen gegessen“, erinnert er sich an seine Kindheit, in der er gemeinsam mit dem Vater Fisch verkaufte, um die Familie durchzubringen. „Dann gab es auch noch die Forellenkrise, das war eine Zeit in der die Forellenseuche umging und die Menschen Angst vor dem Fischeinkauf hatten.“
Kruse hat nichts davon aus dem Konzept gebracht. Kein Krieg, nicht die dreifache Zerstörung des Geschäfts, auch nicht die Forellenkrise. Und schon gar nicht nicht Corona. Ans Aufhören denkt er daher noch lange nicht. „Das geht nicht. Wenn ich aufhören würde zu arbeiten, würde ich bestimmt krank“, vermutet er. Wissen tut er das nicht, denn im Urlaub war er noch nie. Also wird er wohl noch viele Jahre als ältester Markthändler in Meschede stehen und Woche für Woche nachts um zwei aufstehen. Dass er stolz darauf ist, sieht man ihm im Gegensatz zu seinem Alter gleich an - und das sagt er auch. „Ich kann schon sagen, ich hab was geschafft“, resümiert er mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck, bevor er sich für ein Foto vor seinem Wagen positioniert.