Meschede. Sind Menschen mit Vorerkrankungen wertlos? Eine Mutter schreibt dazu einen emotionalen Corona-Post auf Facebook. Ihre Worte bewegen das Netz.

Ist das Leben von Menschen mit Vorerkrankungen weniger Wert? Ines Hinz (geb. Leonardt), aufgewachsen in Meschede, findet in der Corona-Zeit bewegende Worte. Ihre Tochter und sie haben die seltene Autoimmunerkrankung „TRAPS“. Man sieht sie ihnen nicht an, Medikamente helfen dabei, ein unbeschwertes Leben zu führen. Und dennoch: Eine Infektion mit dem Coronavirus würden beide vielleicht nicht überleben. Das sind die bewegenden Worte der 34-jährigen Mutter.

„Wisst ihr was ich traurig finde? Dass es so heruntergespielt wird, wenn jemand, der schwer an Covid-19 erkrankt oder gar gestorben ist, darauf reduziert wird, dass er Vorerkrankungen hat. Ich hole jetzt mal weit aus und werde sehr viel persönlicher, als ich es eigentlich möchte. Aber heute kann ich nicht anders...ich bin 34 Jahre alt. Ich habe eine achtjährige Tochter. Ich bin verheiratet. Ich habe drei Hunde. Ich bin selbstständig. Ich bin examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und habe zehn Jahre in der Pflege gearbeitet. Ich habe viele wunderbare Freunde und eine fantastische Familie. Ich bin ein ehrlicher, zuverlässiger Mensch. Ich bin krank. Ich habe eine sehr seltene Autoimmunerkrankung (TumornekrosefaktorRezeptorAssoziiertesPeriodischesSyndrom = TRAPS) und eine Blutgerinnungsstörung. Meistens fühle ich mich (dank diverser Medikamente!) sehr gesund.

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Für meine Tochter

Man sieht mir meine Krankheit nicht an. Ich bin sicher, dass ich die nächsten Jahre fröhlich und glücklich durch die Weltgeschichte hopse, meine Tochter aufwachsen sehe und mein kleines Unternehmen noch lange führen kann. Ich bin sicher, dass ich die nächsten Jahre an keiner meiner „Vorerkrankungen“ sterben werde. Meine Tochter ist ebenfalls an TRAPS erkrankt. Auch sie ist ein „normales“ lustiges, wunderbares kleines Mädchen, das seine Krankheit prima akzeptiert, sich seine Medikamente spritzen lässt und mich hoffentlich sehr lange überleben wird.

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Wenn wir von Corona betroffen wären, hätten wir mit sehr großer Wahrscheinlichkeit einen schweren bis vielleicht sogar tödlichen Verlauf. Wenn es um meine Tochter geht, darf ich hier gar nicht weiterdenken, aber bitte behaltet dies im Hinterkopf.

Ich habe einige gute Freunde, die Krebserkrankungen durchmachen oder durchgemacht haben. Ich habe noch gute Kontakte zu ein paar meiner ehemaliger Patienten der Leukämie-Station. Manche haben gewonnen, manche kämpfen noch immer. Diese Menschen sind durch die Hölle gegangen und gehen teilweise immer noch dort durch.

Ein Freund sitzt mit einer Tetraplegie beatmet im Rollstuhl. Er meistert sein Leben wunderbar. Bekommen diese Menschen die Krankheit Covid-19, würde sie mit hoher Wahrscheinlichkeit einen schweren bis sogar tödlichen Verlauf nehmen.

Neulich bei Einkaufen

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Gespräch neulich beim Einkaufen: „Herr XY ist gestorben. An Corona.“ - „Na ja, der hatte ja auch Vorerkrankungen“. Gespräch zweier Bekannten: „Das ist nicht so schlimm, das Virus. Es sterben eh nur die mit Vorerkrankungen.“ Was? Sind „Vorerkrankungen“ auf einmal ein Grund, dass es nicht so schlimm ist, wenn man stirbt? Ist es okay, dass jemand mit 50 Jahren an Corona stirbt, weil er Diabetiker ist? Dass eine 39-Jährige daran stirbt, weil sie Asthma hat? Nein, ich persönlich finde das absolut nicht „okay“, sondern tieftraurig!

Meine Omas sind über 80 und top fit! Sie werden nicht plötzlich nächste Woche tot vom Stuhl kippen! Aber wenn sie an Corona erkranken, haben sie eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, einen schweren oder gar tödlichen Verlauf zu haben. Hinter all den Vorerkrankungen und den Alten stehen Geschichten. Da stehen Menschen!

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Oft haben wir vielleicht kein Gesicht zu einer Vorerkrankung, darum stelle ich hier meins – stellvertretend für all meine Freunde und Verwandte und die vielen Vorerkrankten – mal zur Verfügung. Nein, ich bin auch nicht mit allem einverstanden und ich kann auch nicht alle Maßnahmen nachvollziehen, aber: bis jetzt ist Deutschland gesundheitlich gesehen halbwegs gut davon gekommen. Und trotzdem sind mehr als 7000(!) Menschen gestorben, die ohne dieses blöde Virus noch Zeit mit ihren Freunden und Familien gehabt hätten!

Wir brauchen euch

Ich bitte euch, helft mir! Helft dabei, einen Unbekannten zu schützen, in dem ihr beim Einkaufen eine Maske tragt. Ich möchte nicht krank werden! Ich möchte kein Corona bekommen! ICH MÖCHTE NICHT STERBEN! (Klar, das klingt jetzt sehr theatralisch, aber ich sage es extra in dieser Deutlichkeit!) Ich kann es nur mit eurer Hilfe schaffen! Genau wie all die anderen Vorerkrankten. Wir brauchen euch!

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Denn: wir bleiben eh schon mehr daheim, wir halten uns an die Vorgaben und versuchen unseren Beitrag zu leisten. Aber auch wir Vorerkrankten und Alten haben ein Leben, müssen einkaufen gehen, wollen wieder mit unseren (vorerkrankten) Kindern auf den Spielplatz und ein Eis essen gehen. Wir können uns vor dem Virus schützen, wenn ihr mithelft.

Ich möchte mich ausdrücklich bei Jedem bedanken, der sich an Maskenpflicht, Abstandsregelungen, Händehygiene hält und all die Einschränkungen erträgt, um mir, meiner Tochter, meinen Freunden, meinen Bekannten und allen anderen Vorerkrankten und Alten hilft, gesund zu bleiben! Danke fürs durchhalten!“

  • Ines Hinz postet diesen Text auf Facebook, Auslöser für ihre emotionalen Worte war das mitgehörte Gespräch beim Einkaufen. Der Post erreichte innerhalb weniger Tage großes Aufsehen. Er wurde fast 41.000 Mal geliket, 26.000-fach geteilt, 9000 Menschen antworteten ihr. Von der Resonanz ist die Autorin überwältigt, sie hatte sich erst kurz vorher in dem Netzwerk angemeldet.
  • Es erreichten die Autorin größtenteils positive Rückmeldungen, wenige negative Kommentare. Manche schrieben: „Die Grippewelle vor zwei Jahren war auch schlimm....“ oder „Die Menschen sterben auch an Hunger.“ „Alles richtig“, sagt Ines Hinz. Dies habe aber nichts mit ihrer Kernaussage zu tun: „Jedes Leben, auch das von Kranken, Behinderten und Alten, sollte geschätzt werden.“ Und weiter: „Wenn der Hunger in der Welt durch das Tragen von Masken und Abstandhalten reduziert werden könnte, wer würde dies nicht tun? Da dies aber nicht geht, müssen hier andere wichtige und dringend notwendige Maßnahmen (Spenden) getroffen werden.“
  • Es gibt 200 bestätigte Fälle von TRAPS (Tumornekrosefaktor-Rezeptor 1-assoziiertes periodisches Syndrom). Die Patienten leiden unter wiederkehrende Fieberschüben mit Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall und Muskelkrämpfen, die zwei bis drei Wochen andauern. Die Fieberschübe nehmen mit zunehmendem Alter ab, die erbliche Krankheit ist nicht heilbar. Die größte Gefahr ist die möglichen Entwicklung einer Amyloidose, die zu einem Nierenversagen führen kann. Durch ihren Post haben sich zwei TRAPS-Patienten bei ihr gemeldet.