Freienohl/Hüsten. Ärzte des Klinikums Hochsauerland in Hüsten werden durch ein Gutachten schwer belastet. Anlass ist der Tod eines Kindes (6) aus Freienohl.
Nach dem Tod eines sechsjährigen Jungen aus Freienohl spricht ein medizinisches Gutachten wörtlich von einer „Vielzahl von Kardinalfehlern“, die bei der Behandlung des Kindes im Klinikum Hochsauerland begangen worden sein sollen. Inzwischen sind deshalb auch Klagen gegen Ärzte erhoben worden.
Fahrlässige Tötung
Aus dem medizinischen Gutachten, das von einem Sachverständigen der Universitätsklinik Göttingen erstellt wurde, haben sich für die zuständige Staatsanwaltschaft in Arnsberg wiederum neue Fragen ergeben. Staatsanwalt Klaus Neulken erklärte, dass er deswegen ein Ergänzungsgutachten in Auftrag gegeben habe: „Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.“ Bislang läuft das Ermittlungsverfahren wegen einer möglichen fahrlässigen Tötung noch gegen Unbekannt. Durch die Klagen werden jetzt aber auch die Namen von möglichen Beschuldigten eingesetzt.
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Das schreckliche Unglück ereignete sich im Mai 2018. Der Sechsjährige war zuhause in Freienohl gestürzt und auf den Kopf gefallen. Erster Anlaufpunkt der Eltern mit ihm war die Notaufnahme des Klinikums in Hüsten. Bei dem Kind wurde eine Hirnblutung festgestellt. Der Junge wurde später nach Arnsberg und von dort in eine Klinik nach Dortmund verlegt und notoperiert. Er starb dort sechs Tage später.
Rechtsanwalt Bernhard Kraas (Oeventrop) vertritt die Familie des Kindes. Auslöser für ihn, jetzt Klage gegen die Verantwortlichen zu erheben, war für ihn die Weigerung der Versicherung des Klinikums Hochsauerland, nicht einmal die Beerdigungskosten des Jungen zu übernehmen. Das bestätigt Kraas auf Anfrage. Die Klagen richten sich gegen drei Ärzte aus dem Karolinen-Hospital Hüsten und dem Marienhospital Arnsberg. Kraas sagt: „Ihr Verschulden in dem Fall ist so groß.“ Demnach hätten die Versäumnisse in der Kinderstation in Hüsten begonnen: „Dem Kind ist es ganz schnell immer schlimmer gegangen“, sagt Kraas. Die Mutter habe zunächst mit einem Assistenzarzt zu tun gehabt, der wiederum einen Oberarzt anrufen musste – der nicht im Krankenhaus war.
Gehirnblutung festgestellt
Das MRT für eine Untersuchung sei nicht eingeschaltet gewesen, das Fachpersonal für die Untersuchung war nicht da: „Das führte alles zu unheimlichen Zeitverzögerungen.“ Dann wurde die Gehirnblutung schließlich festgestellt – zu einer Operation gehört zunächst dazu, ein Loch im Kopf zu bohren. Diese Behandlung wiederum aber weigerte man sich, in Hüsten durchzuführen, sondern verwies auf die Chirurgie in Arnsberg. Kraas hat dafür kein Verständnis: So fürchterlich sich diese Operationsmethode für einen Laien auch anhören mag, „sogar die Menschen in der Steinzeit wussten schon, dass man dafür ein Loch im Kopf machen muss.“ Das sei normales ärztliches Können.
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In Arnsberg war an dem Tag laut Gutachten ebenfalls nur ein Assistenzarzt anwesend: Auch hier musste dann der Oberarzt auswärts in seiner Wohnung angerufen werden. Er ordnete an, das Kind nach Dortmund zu verlegen – unter anderem mit der Begründung, es sei kein Kinderanästhesist in Arnsberg erreichbar, also kein Narkosearzt für ein Kind. Rechtsanwalt Kraas hat inzwischen herausgefunden, dass es generell gar keine speziellen Kinderanästhesisten gibt – bei der Narkose von Kindern wird lediglich die Dosis der Narkosemittel verringert. Also hätte in der Chirurgie in Arnsberg auch von den normalen Anästhesisten die Behandlung durchgeführt werden müssen: „Das hätte jeder Anästhesist machen können und machen müssen.“
Wertvoller Zeitverlust
Kraas sagt, nach Prüfung des Gutachtens: „Der Oberarzt hätte die OP in Arnsberg veranlassen müssen.“ Stattdessen wurde das Kind mit dem Rettungswagen nach Dortmund verlegt - ein weiterer wertvoller Zeitverlust. Dort wurde die notwendige Operation durchgeführt. Kam sie zu spät?
Der Fall kam erst ans Tageslicht, weil die Ärzte in Dortmund bei der Todesbescheinigung eine „ungeklärte Ursache“ ankreuzten. Sie sollen empört darüber gewesen sein, dass die erforderliche Behandlung nicht sofort im Hochsauerlandkreis durchgeführt wurde.
Klinikum kooperiert mit Staatsanwaltschaft
Das Klinikum Hochsauerland arbeitet bei der Aufarbeitung des Todesfalls mit der Staatsanwaltschaft zusammen. In einer Stellungnahme schreibt Klinikum-Sprecher Richard Bornkeßel: „Wir sind tief betroffen über den Tod des Kindes, unser Mitgefühl gilt den Eltern und der Familie. Uns ist bekannt, dass durch die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, an dem das Klinikum allerdings nicht als Beschuldigte beteiligt ist.
In Gedenken an die Familie bedauern wir außerordentlich, dass die Untersuchungen erheblich Zeit in Anspruch nehmen. Aber nur eine vollständige und lückenlose Aufklärung der Vorgänge kann zu befriedigenden Ergebnissen führen. Uns ist eine detaillierte Aufarbeitung des nach unserer Einschätzung schicksalhaften Behandlungsverlaufs extrem wichtig, deshalb arbeiten wir in aller Offenheit und in vollständiger Wahrnehmung unserer Verantwortung mit den Ermittlungsbehörden zusammen.“
>>> Lebensbedrohliche Situation
Blutungen unterhalb der Schädeldecke werden durch Druck auf das Gehirn lebensbedrohlich: Meistens machen sie sich innerhalb weniger Stunden bemerkbar, in seltenen Fällen aber auch erst ein bis zwei Tage nach dem Unfall.
Hinweise auf eine möglicherweise schwerwiegende Verletzung sind ein mehrmaliges Erbrechen nach einem Unfall oder jegliches Erbrechen mehr als sechs Stunden nach einem Unfall. Auch Gehirnkrämpfe oder Krampfanfälle deuten darauf hin.