Meschede. Noch gibt es Überlebende als Zeitzeugen: Vor 75 Jahren erlebt Meschede den fürchterlichsten Bombenangriff. Die alte Stadt geht unter.

Es dauert zehn Minuten, um eine Stadt zu zerstören. Diese zehn Minuten ereignen sich vor 75 Jahren in Meschede. Bei dem schwersten Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg geht am 19. Februar 1945 das alte Meschede unter. 300 Gebäude werden zerstört, 48 Menschen getötet. Nun ist vermutlich der letzte große Gedenktag, bei dem sich auch noch Überlebende als Zeitzeugen an den Bombenangriff erinnern können.

Über 20.000 Bomben fallen

Unter ihnen ist der heute 86-jährige Hans-Richard Meininghaus. Der 19. Februar ist damals ein Montag, die 70 amerikanischen Bomber vom Typ „Fliegende Festungen“ kommen gegen 14 Uhr in der Mittagszeit: „Wir wollten gerade Mittagessen“, erinnert sich Meininghaus im Gespräch, als der Alarm kommt.

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Die Zerstörungen rings um den Stiftsplatz in Meschede - alles liegt in Trümmern. 
Die Zerstörungen rings um den Stiftsplatz in Meschede - alles liegt in Trümmern.  © Stadtarchiv Meschede

Seine Familie lebte an der Bahnhofstraße (heute Le-Puy-Straße) in dem Gebäude, in dem heute die CDU ihre Büros hat: Sein Vater ist dort Leiter des „Sauerländischen Bankvereins“, die Wohnung liegt darüber. Es gibt einen Voralarm („den nahm man nicht so ernst“), dann aber folgt ein Hauptalarm und schließlich der akute Luftalarm. Die Meininghaus-Familie sucht Zuflucht in einem noch in Entstehung begriffenen, noch nicht komplett ausgebauten Stollen unter dem Hagenweg, der als Bunker gedacht ist. Der Zugang ist über den Bauernhof Schlinkert-Badolf.

Hans-Richard Meininghaus ist dann vor allem das Geräusch der herabfallenden Bomben in Erinnerung geblieben: „Wie ein Scheppern in der Luft, ganz ungewöhnlich. Dieses Scheppern der Bomben höre ich heute immer noch.“ Dieses Geräusch eines Bombenteppichs macht auch dem 11-Jährigen Angst: „Ich hatte Angst bis unter die Ohren. Ich verkroch mich in der hintersten Ecke des Stollens. Dann kam das Krachen der Explosionen.“ 20.000 mit Phosphor gefüllte Brandbomben, 250 Kanister mit Phosphor und 150 schwere Sprengbomben zerstören Meschede.

Der Kirchturm brennt!

Meschede brennt – auch rings um den Schutzraum, der proppenvoll ist mit Geflüchteten. Auch der Bauernhof davor brennt. Meininghaus’ Eltern verlassen das Gelände durch den Pferdestall, Hans-Richard hat Angst davor, dass ihn dort die in Panik geratenen Pferde treten könnten. Er flüchtet mit anderen über Leitern hinauf in Richtung Hagenweg.

Hans-Richard Meininghaus erlebt 1945 den Bombenangriff auf Meschede. Das Geräusch der fallenden Bomben hört er noch heute.
Hans-Richard Meininghaus erlebt 1945 den Bombenangriff auf Meschede. Das Geräusch der fallenden Bomben hört er noch heute. © Jürgen Kortmann

Er schäme sich heute noch dafür, sagt er, dass er dabei eine für ihn zu langsam hinaufkletternde russische oder polnische Zwangsarbeiterin überholt habe. So etwas bleibt Kindern in Erinnerung. Und der andere prägende Eindruck dieses Tages kommt dann: „Ich habe den brennenden Kirchturm von St. Walburga gesehen. Wie Spiralen zogen sich die Flammen den Turm hinauf.“ Auch dabei gilt: Erinnerungen eines Kindes – „Da schießen einem komische Gedanken durch den Kopf. Ich dachte, schau genau hin, so was siehst du nicht wieder.“

Dabei war die Kirche gar nicht getroffen worden, aber eben ihr Umfeld mit Pastorat, Vikarie und Jugendheim. Vom Jugendheim nähert sich aber das Feuer dem Kirchturm – vom Turm aus besteht eine Verbindung zum Dach des Heims. Pastor Johannes Künsting bittet die Feuerwehrmänner, Wasser auf den Kirchturm zu halten, um die Orgel zu retten: Er wird abgewiesen, weil die Feuerwehr Befehl hat, nur Wohnhäuser zu retten. Das Feuer greift dann auf den Turm über...

Immer zu Fuß nach Meschede

Zuhause bei Familie Meininghaus an der Bahnhofstraße ist das Dach beschädigt worden, die Familie zieht danach zu einer Cousine nach Olpe bei Freienohl.

Die Honsel-Werke in Meschede sind eines der Ziele der Bombenangriffen. Die Ruinen brennen über einen Monat lang.  
Die Honsel-Werke in Meschede sind eines der Ziele der Bombenangriffen. Die Ruinen brennen über einen Monat lang.   © Stadtarchiv Meschede

Dort erlebt sie auch das Kriegsende. Schulunterricht gibt es nach dem Angriff keinen mehr. An diesem Abend können sie noch mit dem Zug bis nach Berge fahren, danach heißt es immer: Zu Fuß bis nach Meschede, unter anderem, um die Sachen aus ihrem Haus zu holen.

Beim nächsten Bombenangriff auf Meschede am 28. Februar wird auch das Nachbarhaus an der Bahnhofstraße getroffen. Dort haben die Meininghaus’ Sachen übergangsweise gelagert. Das Haus wird zerstört, „es war ein Riesenhaufen - und oben drauf stand unser Sessel“. Es ist das, was man heute surreal nennt. Der Junge gräbt in den nächsten Wochen in den Trümmern immer wieder nach Sachen aus ihrem Haushalt – er erinnert sich, dass er die silbernen und goldenen Ballschuhe mit hohen Absätzen seiner Mutter findet, ein überflüssiger Fund.

Angriff wegen „Vergeltungswaffen“?

Warum wird Meschede an diesem Tag angegriffen? Es wird immer wieder auf die Bahnstrecke und auf die Honsel-Werke hingewiesen – oder auf die V1. Denn Meininghaus hält es für nachvollziehbar, dass die Stadt wegen des Postamtes gegenüber der St.-Walburga-Kirche zum Ziel wird. Heute ist darin das Büro der Kirche, damals ist in dem Postamt auch eine Verstärkerstelle.

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Im Oktober 1944 hatte der Stab eines Korps, dass den Einsatz der so genannten deutschen „Vergeltungswaffen“ steuerte, sein Hauptquartier nach Meschede verlegt.

Auf dem Ehrenfriedhof in Eversberg liegen auch die Opfer der Bombenangriffe auf Meschede. 
Auf dem Ehrenfriedhof in Eversberg liegen auch die Opfer der Bombenangriffe auf Meschede.  © Jürgen Kortmann

Von der Mescheder Verstärkerstelle aus gibt es direkte Fernsprechverbindungen zu den Abschuss-Stellungen der V1-Raketen in der Eifel und in den Niederlanden. Die Raketen schlagen in London ein. Beim Bombenangriff am 19. Februar wird das Verstärkeramt nur teilweise zerstört, seine technischen Einrichtungen bleiben intakt. Am 8. April, einen Tag vor dem Einmarsch der Amerikaner in Meschede, sprengt ein deutsches Spezialkommando das Postamt und steckt es in Brand. Am Bahnhof wird ein mit V-Waffen-Technik beladener Waggon gesprengt.

>>>CHRONIK<<<

20. Oktober 1944: Tieffliegerangriff mit Einsatz von Sprengbomben. Gebäudeschäden an der Hünenburgstraße. Drei Tote.

21. Oktober 1944: Tieffliegerangriff mit Einsatz von Sprengbomben am Bahnkomplex Gebäudeschäden an der Lagerstraße. Acht Tote.

8. Februar 1945: Jagdbomberangriff auf Eisenbahnziele. Gebäudeschäden gibt es im Rebell und in der Hünenburgstraße. Insgesamt werden 17 Tote gezählt.

19. Februar 1945: Großangriff auf Meschede: Die Innenstadt wird zerstört. 300 Gebäude zerstört, 48 Tote.

9. März, 10. März, 19. März, 21. März 1945: Tieffliegerangriffe vor allem auf Eisenbahnzüge, es stirbt eine unbekannte Anzahl von russischen Zwangsarbeitern.

23. März 1945: Großangriff mit völliger Zerstörung der Bahnanlagen und des Honsel-Werkes. Die Ruinen des Werkes brennen bis zum 19. April. Eine Tote.