Meschede. Impfgegner und Impfbefürworter treffen beim Ausbruch der Pocken 1970 in Meschede aufeinander. Angst kommt auf, als eine 17-Jährige stirbt.

Die Schwesternschülerin Barbara Berndt stirbt beim Pockenausbruch in Meschede an der gefürchtetsten Form dieser Krankheit, der „Variola haemorrhagica“.

Der gesamte Körper wird dabei binnen kurzer Zeit mit einem Ausschlag übersät, der voller Viren steckt. Diese besonders bösartige Form der Pocken kommt, wie bei der verstorbenen 17-Jährigen, nur bei ungeimpften Menschen vor. Die Angst in Meschede und Umgebung ist groß. Über 17.000 Menschen folgen den Aufrufen und lassen sich nachträglich impfen.

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Verwendet wird der Trockenimpfstoff „Elstree“, ein Stamm, der milde Reaktionen beim Geimpften hervorruft. Gewonnen wird der Impfstoff aus abgeschwächten Viren, im Hammel herangezogen.

Nachdem Spanien und Portugal die Bundesrepublik Deutschland zum Pockengebiet erklärt haben, fordert 1970  auch England von einreisenden Deutschen den Nachweis einer gültigen Pockenimpfung. Hier lassen sich auf dem Düsseldorfer Flughafen Angehörige des Flugpersonals einer Luftfahrtgesellschaft gegen Pocken impfen.
Nachdem Spanien und Portugal die Bundesrepublik Deutschland zum Pockengebiet erklärt haben, fordert 1970 auch England von einreisenden Deutschen den Nachweis einer gültigen Pockenimpfung. Hier lassen sich auf dem Düsseldorfer Flughafen Angehörige des Flugpersonals einer Luftfahrtgesellschaft gegen Pocken impfen. © DPa

Typische Nebenwirkungen sind grippeähnliche Symptome. Nach dem Tod der 17-Jährigen aber bricht eine Hysterie aus. Die medizinischen Fachleute in der Pockenkommission des Landes müssen schon am nächsten Tag in einem Kommuniqué klarstellen, dass Barbara Berndt kein Opfer des Impfens geworden ist, wie spekuliert wird. Tatsächlich ist Barbara Berndt zu spät geimpft worden, der Schutz konnte seine Wirkung nicht mehr entfalten.

Unsicherheit nach Fernsehsendung

Doch in der Fernsehsendung „Report“ am 2. Februar behauptet ein Impfgegner, der Lungenfacharzt Dr. Gerhard Buchwald aus Gelnhausen, dass eine Pockenimpfung keinen Schutz bringe, Geimpfte eher an Pocken erkranken würden, eine Impfung in der Inkubationszeit „unbedingt“ tödlich“ wirke – und die Schwesternschülerin an der Impfung gestorben sei. Buchwald ist durch einen Impfschaden in seiner Familie zum Impfgegner geworden.

Im „Deutschen Ärzteblatt“ wird von „unhaltbaren, rein persönlich gefärbten Thesen“ gesprochen, die den Impfbemühungen der Behörden zuwider laufen. Oberkreisdirektor Klaus Siebenkotten ist wütend: „Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass die Zahl der Impfungen bedeutend höher gewesen wäre, wenn das Fernsehmagazin „Report“ des Südwestfunks über die Zweckmäßigkeit der Pockenschutzimpfung nicht gerade in dieser Zeit ausgestrahlt worden wäre.“

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1979 gelten Pocken als ausgerottet

Von 1949 bis 1974 besteht in der Bundesrepublik eine Impfpflicht gegen Pocken. Seit 1979 gelten sie als ausgerottet. Tatsächlich hat die Pockenschutzimpfung in den Jahren ihrer Durchführung schwere Komplikationen und Nebenwirkungen verursacht. Gefürchtet war vor allem die Enzephalitis, eine Entzündung des Gehirns, die oft tödlich verlief oder zu schweren bleibenden Schäden führte. Sie ist, bei einer Million Impfungen, bei 1 bis 4 Geimpften aufgetreten.

Dr. Heinz Richter als Leiter der Landes-Impfanstalt in Düsseldorf und Mitglied in der so genannten „Pockenkommission“ des Landes sagt damals: „Über 40 Prozent Todesfälle und 20 Prozent Schäden nach Pockenepidemien zeigen auf, was eine Bevölkerung erwartet, wenn sie nicht durchgeimpft ist. Gegenüber der Brutalität der Pockenseuche treten die Impfschäden völlig zurück.“

Offiziell existieren heute noch weltweit Pockenstämme in zwei Laboren in Bethesda (USA) und Koltsovo (Russland), die von der Weltgesundheitsbehörde WHO kontrolliert werden – sie werden hier für Forschungszwecke zurückbehalten.

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Impf-Vorrat für die ganze Bevölkerung

Nach den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Irak-Krieg ist die Sorge vor Bio-Terrorismus gewachsen – denkbar sind Anschläge auch mit Pocken-Erregern.

Dr. Peter Kleeschulte, Leiter des Kreisgesundheitsamtes in Meschede: Er ist ausdrücklich Befürworter von Schutzimpfungen.
Dr. Peter Kleeschulte, Leiter des Kreisgesundheitsamtes in Meschede: Er ist ausdrücklich Befürworter von Schutzimpfungen. © Archiv

Auf Initiative der Bundesregierung und des Robert-Koch-Instituts ist deshalb 2002 wieder eine Bevorratung mit Pockenimpfstoff erfolgt: „Innerhalb weniger Tage könnte die gesamte Bevölkerung geimpft werden“, sagt heute Dr. Peter Kleeschulte, Leiter des Kreisgesundheitsamtes in Meschede: „Eine Massenimpfung würde es aber erst geben, wenn nachweislich jemand an Pocken erkrankt wäre.“ Die Impfdosen werden zentral gelagert. Pocken sind schon einmal als Biowaffe eingesetzt worden: Im 18. Jahrhundert sollen Indianer in Amerika von der britischen Armee bewusst Decken von Pocken-Kranken erhalten haben.

1970 treibt das Kreisgesundheitsamt die Pockenimpfung voran. Dr. Peter Kleeschulte ist quasi der Erbe davon – und ausdrücklich ein Befürworter von Schutzimpfungen. Er nennt mit Blick auf die Gegenwart die Masern als aktuelles Beispiel: „Schutzimpfungen sind medizinisch und ärztlich absolut sinnvoll.“ Masern seien ein „höchst ansteckungsfähige Krankheit“: „Wir gehen als Gesundheitsamt konsequent den Vorschriften nach. Unsere Aufgabe ist es, die Ausbreitung einzudämmen und Menschen, die schwerst erkranken könnten, zu schützen.“

>>>HINTERGRUND<<<

Im Jahr 1972 gibt es in Deutschland den letzten Fall von Pocken: Am 22. März meldet sich ein jugoslawischer Gastarbeiter (24) in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover krank.

Er war zuvor, am 11. März, aus dem Kosovo nach Deutschland eingereist.

Parallel gibt es in Niedersachsen einen Ausbruch der Windpocken. Auch bei dem 24-Jährigen wird zunächst zwei Tage lang von Windpocken ausgegangen.

Über Ostern 1972 werden über 78.000 Impfungen durchgeführt. 678 Menschen kommen in Quarantäne.

Der Mann hatte sich bei einer Pilgerfahrt angesteckt. Es sind keine Todesfälle aufgetreten.