Meschede. Der Sprecher der heimischen Tierärzte widerspricht dem Hochsauerlandkreis: Er fordert ein Verbot von Böllern. Tiere entwickelten Phobien.

Der Sprecher der heimischen Tierärzte stellt sich gegen eine Einschätzung des Hochsauerlandkreises zum Böllern in der Silvesternacht. Die Behörde hatte zuvor erklärt, ihr seien keine direkten Auswirkungen von Feuerwerkskörpern auf Haustiere oder Nutztiere in der Landwirtschaft bekannt, auch keine Anzeigen. Stattdessen appellierte das Veterinäramt an die Verantwortung der Tierhalter: Sie sollten geräuschempfindliche Tiere sicher und möglichst reizarm unterbringen und gegebenenfalls eine verhaltenstherapeutische oder medikamentöse Therapie einleiten.

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Dr. Stefan Gabriel erklärte dazu: Der Hochsauerlandkreis sei zwar im Einzelfall für die Kontrolle der Tierhaltung und der Einhaltung des Tierschutzgesetzes zuständig. Nur gebe es leider keine Meldepflicht für Phobien wie Geräuschängste bei Hunden. Somit fehlten dem Kreis konkrete Zahlen, kritisierte er.

Angstgefühl und Fluchtbereitschaft

Die Suchmaschine Google zeige allein zur Geräuschangst bei Hunden 13.300 Einträge. Zu behaupten, es wären Einzelfälle, die auf die Couch gehörten, sei doch recht kühn. „Man hätte die betroffenen Hundehalter und ihre Tierärzte fragen sollen, dann stellt sich der Leidensdruck der Tiere in seiner gesamten katastrophalen Realität schnell dar.“ Was Tiere nicht kennen, erzeuge Angstgefühl und Fluchtbereitschaft. „Auch der Tierhalter hat kaum eine Chance zur Vermeidung der angstauslösenden Situation wegen der ständigen, unvorhersehbaren Wiederholung an den Tagen des Verkaufs von Böllern und lange danach! So kommen ängstliche Hunde immer wieder in die gleiche für sie ausweglose Situation. Der Leidensdruck steigt und die Angst verfestigt sich immer mehr“, so Dr. Gabriel.

Der Sprecher der heimischen Tierärzte: Dr. Stefan Gabriel.
Der Sprecher der heimischen Tierärzte: Dr. Stefan Gabriel. © Jürgen Kortmann

Machten die Tierhalter nun aus Unkenntnis den Fehler und versuchten, ihr Tier durch Betütteln zu beruhigen - was in der „Hundesprache“ das Problem nicht löse, sondern verschlimmere - werde schnell aus dem anfänglich normalen Angstverhalten eine echte Phobie. Der Sprecher der Tierärzte: „Man kennt das von Katastrophenopfern und Kriegsteilnehmern. Meine Oma war im Bombenkrieg verschüttet und fand lebenslang keinen Gefallen an rot erleuchtetem Himmel, Blitzen und Knallereignissen. Kriegsteilnehmer kennen das, was man heute bei Veteranen flash-back nennt. Das kann man nicht wegreden oder als Überempfindlichkeit abtun. Phobien sind unwillkürlich und tiefsitzend. Hunde haben bekanntlich ein wesentlich feineres Gehör als wir Menschen. Nur wenige Hunde sind schussfest, weil sie es in ihrer Ausbildung oder durch Zufälle so lernen konnten.“

Hälfte aller Hunde betroffen

Laute Alltagsgeräusche wie Musik oder Motorräder lerne der Hund allmählich kennen und habe die Möglichkeit, sich durch Lernen schrittweise daran zu gewöhnen, dass z.B. vom Radio keine echte Gefahr ausgehe. Schätzungsweise die Hälfte aller Hunde habe jedoch echte Probleme mit unvermittelt einsetzenden wiederholten lauten Knall-Geräuschen. Diese Phobie sei sehr tiefsitzend und verschlimmere sich bei jedem Mal. In diesem Zusammenhang seien auch die Pauken und Trompeten der Schützenumzüge sowie die Böllerkommandos, die ja auch Menschen ordentliche Schrecken einjagten, eine Tortur für Tiere.

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„Vor der Silvesterböllerei kann man kaum entkommen, weil engagierte Zeitgenossen überall in Deutschland sich einen Spaß daraus machen, durch tagelanges exzessives Böllern böse Geister zu verjagen, an die eigentlich keiner mehr glaubt…“, so der Tierarzt. Der flapsige Hinweis des Hochsauerlandkreises, Problemtiere gehörten auf die Couch des Therapeuten, sei nicht nur zynisch, sondern auch unrealistisch. Wer als Mensch eine Phobie therapiert bekomme, etwa Flugangst oder Schlangenphobie, wisse wie aufwendig und teuer solche Behandlungen sind. „Und man hat als Mensch weitreichende Möglichkeiten, angstauslösende Situationen zu vermeiden und ein Großhirn, um sich die vermeintliche Gefahr auf realistische Maße herunterzudenken. Beides kann der ängstliche Hund nicht.“

Auch auf Schützenfesten

Die empfohlene „reizarme Unterbringung“ sei leider auch im Sauerland nicht realisierbar, weil die Böllerei nicht auf Mitternacht in der Neujahrsnacht beschränkt bleibt. „Wie jeder weiß, werden unter Missachtung der Vorschriften und der Lärmopfer tagelang völlig unkontrolliert Feuerwerkskörper im Stadtgebiet, aber auch in der Natur abgebrannt“, so Dr. Gabriel. Aus diesem Grund seien auch Medikamente nicht hilfreich, man könne Hunde und Katzen nicht tagelang mit Drogen betäuben. „Es gibt eben keine Pille, die das Problem lösen könnte. Nicht das Tier als Böller-Opfer ist das Problem, das wegtherapiert werden muss. Die Silvesterböllerei muss streng auf die eine Neujahresnacht begrenzt werden“, so die Forderung des Tierarztes.

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Er sagt: „Nach meiner persönlichen Meinung könnte sie gänzlich, ebenso wie das Schützenfestböllern, als vermeidbare Umweltbelastung völlig untersagt werden. Die Pauke der Spielmannszüge und das Feuerwerk im Fernsehen sind mir persönlich Nervenkitzel genug!“