Meschede. Anwohner und Fahrgäste ärgern sich seit Monaten über die neuen Pesa-Züge aus Polen. Jetzt zieht die Deutsche Bahn die Konsequenzen.
Die umstrittenen neuen Pesa-Züge verärgern Kunden und Anwohner an der Oberen Ruhrtalbahn – und die Deutsche Bahn als Auftraggeber selbst. Jetzt steht deswegen fest: Das Kapitel der polnischen Züge vom Typ „Link“ wird ein kurzes in der Eisenbahngeschichte bleiben.
Bislang sind nur 71 der polnischen Züge an die Deutsche Bahn ausgeliefert worden – darunter eben auch ins Sauerland-Netz. Dabei wird es auch bleiben, wie DB-Unternehmenssprecher Dirk Pohlmann auf Anfrage mitteilt: „Es werden keine weiteren Fahrzeuge abgerufen.“ Vereinbart war eigentlich die Lieferung von 470 Fahrzeugen aus Polen.
Die Bahn zieht die Notbremse. „Die Qualität ist nicht das, was wir selber erwarten“, sagt Dirk Pohlmann über die Züge. Und ausdrücklich: „Wir bitten unsere Kunden um Entschuldigung.“ Er sagt auch: „Es wird neue Ausschreibungen für Fahrzeuge geben.“ Die Bahn hatte bundesweit – nach Lieferverzögerungen – 2011 beschlossen, ihre Lieferantenbasis zu verbreitern. Bis dahin hatte sie ihre Züge vor allem bei den drei großen Herstellern Siemens, Alstom und Bombardier bestellt.
Auch Bremsen machen Krach
Mehrfach berichteten wir über die Probleme mit den neuen Pesa-Zügen vom Modell „Link“: Anwohner in Meschede und in Bestwig beschwerten sich über den Lärm, der durch die Pesa-Züge entsteht, Fahrgäste über liegen gebliebene Züge.
„Die neuen Züge sind schon etwas lauter“, bestätigt Dirk Pohlmann die Erfahrungen – auch, wenn die Lautstärke die Zulassungen und Grenzwerte erfüllten: „Wir haben auch Anwohnerbeschwerden erhalten.“ Pohlmann bestätigt Informationen dieser Zeitung, dass die Lokführer in Pesa-Zügen angewiesen sind, die neuen verschleißfreien so genannten Retarder-Bremsen nicht zu nutzen. Denn auch diese sind zu laut. „Wir versuchen dadurch Geräusche einzusparen.“ Gebremst wird stattdessen mit den normalen Bremsklötzen – was wiederum hier zum höheren Verschleiß führen wird: „Das ist eine Übergangslösung.“
Denn Pesa und der Motorenhersteller MTU seien aufgefordert worden, „an Lösungen zu arbeiten, damit die Fahrzeuge leiser werden“. Entweder soll dies durch eine Software-Änderung geschehen, damit Motoren und Lüftung leiser werden – möglicherweise werde auch ein aufwändigerer, technischer Umbau an den Fahrzeugen erforderlich sein.
Bahn muss Millionen-Strafe zahlen
Inzwischen liegt dieser Zeitung auch eine Summe vor, wonach die Deutsche Bahn alleine für die verspätete Auslieferung der Pesa-Züge durch den Hersteller eine Vertragsstrafe in Höhe von rund 9 Millionen Euro bezahlen musste. Wie berichtet, sind die Pesa-Züge im Sauerlandnetz seit dem Frühjahr im Einsatz – mit zwei Jahren Verspätung. Das Strafgeld fließt an den Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL), der mit der Bahn einen Verkehrsvertrag mit der Deutschen Bahn abgeschlossen hat, wonach die Bahn die Beförderung der Fahrgäste unter anderem auf der Oberen Ruhrtalbahn sicherstellen muss.
Finanzielles Druckmittel
NWL-Sprecher Uli Beele bestätigt die Fälligkeit einer Vertragsstrafe wegen der Verspätung, ohne die Höhe zu kommentieren: „Das ist ein ganz normales Tagesgeschäft.“ Sein Verband habe 19 Verkehrsverträge mit sieben Unternehmen, „Vertragsstrafen sind dabei ein übliches Verfahren“. Juristen sprechen von der so genannten „Pönale“, die als finanzielles Druckmittel eingesetzt wird, um einen Schuldner zur Vertragstreue aufzurufen.
Das Strafgeld wiederum fließt zurück ins Bahnnetz, kündigt der NWL an: Der Zweckverband unterstütze damit zum Beispiel Investitionen in die Infrastruktur, etwa in die geplante Tunnelsanierung auf der Oberen Ruhrtalbahn. DB-Sprecher Dirk Pohlmann kommentiert die Zahlung nicht. Auf die Frage, ob sich die Bahn eine Vertragsstrafe bei dem Hersteller Pesa zurückhole, sagt er: „An dem Thema sind wir dran.“
Jede Menge Probleme
Deutschlandweit gibt es Probleme mit den Pesa-Link-Zügen. In Hessen protestieren wegen der Lautstärke Anwohner der „Dreieichbahn“. Bei der Privatbahn „Niederbarnimer Eisenbahn“ in Ost-Brandenburg fiel eine Sonderfahrt mit dem Link-Zug aus – ausgerechnet mit dem Chef der Eisenbahn und 130 Politikern, die für bessere Schienenverbindungen nach Polen werben wollten. Die private „Länderbahn“ in Bayern wollte den Pesa auf der Regentalbahn fahren lassen: Wegen Verzögerungen bei der Zulassung und Auslieferung kündigte sie die Verträge und bestellte stattdessen bei Alstom.
>>>HINTERGRUND<<<
Das Werk des Herstellers Pesa ist in Bydgoszcz (Bromberg). Im Jahr 2018 ist der staatliche Polnische Entwicklungsfonds PFR in das Unternehmen eingestiegen: Für 70 Millionen Euro hat er fast 100 Prozent der Aktien übernommen, um das Kapital von Pesa aufzustocken.
Der Entwicklungsfonds gab als als neuer Eigentümer die Ziele vor, dass Pesa seine Position im Inland festigen und seine Ausfuhren erhöhen soll. Außerdem interessiert sich der Fonds dafür, mit Pesa eine wichtigere Rolle international auf dem Markt bei Regional- und Straßenbahnen zu spielen.
Bislang fertigt Pesa elektrische Züge und Dieselzüge an. Um die Ausfuhren zu erhöhen, müssten auch so genannte Multisystem-Lokomotiven gebaut werden, die international fahren können. Angestrebt werden außerdem längere Produktionsserien, damit höhere Gewinnmargen erreicht werden. Langfristig will der PFR einen privaten Partner gewinnen.