Schmallenberg. Das Bundesverfassungsgericht hat das bundesweite Betreuungsgeld gekippt. Das gefällt nicht jedem. In Südwestfalen war die Leistung recht beliebt.

„Perkel“ sagt Anton stolz auf die Frage, wie denn das rosa Tier auf dem Poster an der Wand heißt. P statt F — ganz normal in diesem Alter. Eher groß dagegen ist der Wortschatz des nicht einmal Zweijährigen, der sich schon beredt in Zweiwortsätzen unterhält. „Oma da“, sagt er, als die Wohnungstür geht. „Mama malen“, fordert er seine Mutter auf, mit ihm Männchen und Sonnen zu zeichnen. Das alles ohne professionelle Frühförderung: „Als ob die Kinder zu Hause gar nicht erzogen würden und nichts lernten“, ärgert sich Antons Mutter Hanna Schauerte.

Anton geht mit 22 Monaten noch nicht in die Kindertagesstätte. „Es ist schön für ihn, wenn er noch zu Hause sein kann“, ist seine Mutter überzeugt. Eine andere Wahl hätte sie allerdings auch gar nicht. Die nächste Tagesstätte ist etwa acht Kilometer vom Hof der Familie in Schmallenberg-Keppel entfernt. Ein weiter Weg. Dort nehme man im Übrigen Kinder erst ab zwei Jahren auf, berichtet Hanna Schauerte (27).

Betreuungsgeld ist "eine schöne Anerkennung"

Also bezieht sie 150 Euro Betreuungsgeld jeden Monat für Anton. Noch. Vermutlich wird sie es für den Jungen auch ein weiteres Jahr erhalten, denn darin ist man sich auch nach dem Karlsruher Urteil in Berlin einig: Wem das Betreuungsgeld bewilligt ist, der soll Bestandsschutz genießen. Für ihre sechs Monate alte Tochter Greta jedoch wird Hanna Schauerte keine Leistung mehr bekommen.

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„Es geht auch ohne“, sagt Hanna Schauerte gelassen. „Aber das Geld ist eine schöne Anerkennung dafür, dass man die Kinder erzieht und betreut“, sagt sie. Mehr nicht. Dass 150 Euro pro Monat Frauen vom Berufsleben fernhalten, wie die Kritiker bemängeln, glaubt die gelernte Konditorin nicht. Dass 150 Euro im Monat die alte Rollenverteilung verfestigen, befürchtet sie genauso wenig. „Männer können auch zu Hause bleiben“, sagt sie.

Mehr als 90 Prozent der Empfänger sind Frauen 

Das tun die meisten aber nicht. Mehr als 90 Prozent der Empfänger sind bundesweit Frauen. Für mehr als 455 000 Kinder wird die Leistung gezahlt. In Südwestfalen ist das Betreuungsgeld äußerst beliebt. „Tendenz ständig steigend“, sagt Thorsten Manges, Pressesprecher des Kreises Siegen-Wittgenstein.

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Dort haben im ersten Halbjahr 2015 bisher 837 Mütter oder Väter das Betreuungsgeld beantragt. Hätte man weitere Anträge bewilligen können, wäre man am Ende des Jahres also annähernd auf 1600 gekommen. Im gesamten Jahr 2014 waren es 1484. Mit 1800 Anträgen hatte man bis Jahresende im Ennepe-Ruhr-Kreis gerechnet. Im Vorjahr waren es dort noch 1508.

Nun liegen hier seit dem gestrigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts alle noch nicht bewilligten Anträge auf Eis. Die zuständige Bezirksregierung in Münster hat verfügt, dass ab sofort keine Bewilligungen mehr auszusprechen sind. Anweisungen, wie es für die Familien weitergeht, die bereits Betreuungsgeld erhalten, erwarte man in den nächsten Tagen, heißt es aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis.

In Südwestfalen nehmen viele das Geld in Anspruch 

Setzt man die Antragszahlen des Jahres 2014 in Vergleich zu den Geburtenzahlen aus dem Vorjahr, zeigt sich, dass in der Region relativ viele Familien die Leistung in Anspruch nehmen. So haben im ersten Jahr nach Einführung in NRW 85 000 Eltern Betreuungsgeld bewilligt bekommen. Etwa 145 000 Kinder kommen im Land pro Jahr auf die Welt. Macht grob kalkuliert eine Quote von 58 Prozent.

Deutlich höher hat diese 2014 im Kreis Olpe gelegen. Dort sind insgesamt 814 Anträge bewilligt worden – bei etwa 1100 Geburten im Jahr zuvor. 74 Prozent der Familien mit Kindern im Alter von ein bis zwei Jahren also haben hier einen Antrag gestellt.

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Die Betreuungsquote in den Kindertagesstätten nämlich hat in Südwestfalen 2014 mancherorts unter der landesweit vorgegebenen Richtgröße von 35 Prozent gelegen(allerdings bezogen auf alle Kinder unter drei Jahren, nicht nur die Ein- und Zweijährigen). Dass nun der Bedarf an Plätzen für Kinder unter drei Jahren im kommenden Jahr steigen wird, das will man im Kreis Soest zumindest nicht ausschließen.

Hanna Schauerte aber will ihre Kinder auch ohne Betreuungsgeld erst einmal zu Hause erziehen. Mit drei Jahren sei dann immer noch Zeit genug, um im Kindergarten etwas zu lernen, sagt sie.