Menden. Patienten sind oft unverschämt, dreist, fordernd, sagt die 62-jährige Mendenerin. Und: Seit Corona haben viele eine kurze Zündschnur.

Vor 46 Jahren hat die Mendenerin ihren Traumjob erlernt. Arzthelferin ist immer noch ihr Traumberuf, ihre Berufung, aber dennoch spürt sie, dass sich ganz viel verändert hat. Unverschämte Patienten, wüste Beschimpfungen – das alles gehört mittlerweile zu ihrem Arbeitsalltag dazu.

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Damit die Mendenerin offen von ihrem Arbeitsalltag erzählen kann, möchte sie für die Berichterstattung anonym bleiben. Ihr Name ist der Redaktion natürlich bekannt.

Stethoskope hängen in einer Praxis (Symbolbild).
Stethoskope hängen in einer Praxis (Symbolbild). © picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Schon vor ihrem Realschulabschluss stand für die 62-Jährige fest, dass sie Arzthelferin werden wollte: „Ich habe wohl das Helfersyndrom“, sagt sie lächelnd. Bei einem Radiologen in Iserlohn ergatterte sie 1978 eine Ausbildungsstelle. Nach der Ausbildung bewarb sie sich um die Stelle in einer urologischen Praxis: „40 Mädchen haben sich damals beworben. Ich habe richtig Glück gehabt und die Stelle bekommen“, blickt sie zurück. Während heute der Fachkräftemangel dominiert, waren damals Stellen rar gesät.

Eine Arzthelferin zieht einen Impstoff auf (Symbolfoto).
Eine Arzthelferin zieht einen Impstoff auf (Symbolfoto). © epd | Tim Wegner

Einige Jahre später, nach der Geburt ihrer beiden Kinder, arbeitete die Mendenerin zunächst immer wieder als Aushilfe in verschiedenen Praxen, dann schließlich wieder fest angestellt in einer heimischen Facharztpraxis. „Das Anspruchsdenken der Patienten hat sich total verändert, es ist viel größer geworden“, hat sie in den vergangenen Jahren beobachtet. „Seit der Corona-Zeit ist bei vielen die Zündschnur kürzer.“

Ich werde verbal angegriffen in der Praxis.
Mendener Arzthelferin

Wie sich das äußert? „Ich werde verbal angegriffen in der Praxis.“ Ähnliche Erfahrungen kenne sie auch von Kolleginnen anderer Praxen. Sagt sie beispielsweise einem Patienten, dass der nächste freie Termin in neun Monaten sei, reagieren manche mehr als ungehalten. Sprüche wie beispielsweise „Dann lebe ich doch schon nicht mehr“ oder „Dann werfe ich mich vorher vor einen Zug“ seien gefallen.

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Oft können vereinbarte Arzttermine nicht ganz pünktlich eingehalten werden. Die Arzthelferin erinnert sich an einen Patienten, der beatmet und als Notfall von Sanitätern in die Praxis gebracht und sofort in ein Behandlungszimmer durchgewunken wurde. Das hielt einen anderen Patienten indes nicht davon ab, im Wartezimmer aufzustehen und darauf hinzuweisen, dass er doch einen Termin habe und jetzt zuerst an der Reihe sei.

Das Sozialverhalten der Menschen hat sich verändert. Die Menschen sind verroht.
Mendener Arzthelferin

Auch Hinweise, dass der Drängler sich doch bitte in die Lage des Notfallpatienten versetzen möge und dass er dann doch sicher auch sofort behandelt werden wolle, helfen da nicht: „Da steht dann jemand vor mir und klopft auf seine Uhr“, erinnert sich die Mendenerin kopfschüttelnd. „Das Ich-Denken steht bei vielen Patienten im Vordergrund.“ Wenn jemand nicht sofort drankomme, werde bisweilen geschimpft, dass die Organisation der Praxis furchtbar sei: „Aber Notfälle können wir nun mal nicht mit einplanen. Wir wissen nicht, wie viele an einem Tag kommen.“

Arzthelferin

Die 62-jährige Mendenerin hat den Beruf der Arzthelferin gelernt. Heute gibt es diesen Ausbildungsberuf nicht mehr, sondern er wurde ersetzt durch den Beruf der Medizinischen Fachangestellten.

Das sei eine Entwicklung, die sie nicht nur in ihrem Arbeitsalltag bei Patienten beobachte, sondern auch in anderen Situationen wie zum Beispiel im Supermarkt, sagt die Mendenerin: „Das Sozialverhalten der Menschen hat sich verändert. Die Menschen sind verroht. Die, die uns angehen, die meckern auch die Verkäuferin im Supermarkt an, weil das Mehl fehlt.“ Die Arzthelferin wünscht sich „mehr Verständnis“.

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Doch zum Glück seien nicht alle Patienten so. Es gebe eben auch viele, die geduldig warten und auch mal ein freundliches Wort für das Praxisteam haben. Sätze wie „So viel Stress – Ihren Job möchte ich nicht haben“ und „Schön, dass Sie so freundlich sind“ bauen die 62-Jährige dann wieder auf: „Das gleicht so manches aus.“

Oft keine Zeit für eine Mittagspause

Die Arbeit füllt den Alltag der Mendenerin aus: Morgens verlässt sie um 6.30 Uhr das Haus, ab kurz nach 7 Uhr bereitet sie in der Praxis alles vor. Abends ist sie gegen 19/19.15 Uhr wieder zu Hause: „Wenn alle Patienten weg sind, kann ich ja nicht fluchtartig die Praxis verlassen. Dann kümmere ich mich zum Beispiel darum, dass hygienisch für den nächsten Tag alles in einwandfreiem Zustand ist.“

Keine Zeit für eine Mittagspause

Für eine Mittagspause ist keine Zeit. Oft gehe gegen 14.30 Uhr der letzte Patient der Vormittagssprechstunde, und um 15 Uhr komme der erste Patient der Nachmittagssprechstunde. In der Zeit dazwischen stehe „viel Bürokratie“ auf der To-Do-Liste. „Mein Chef hat eine 60-Stunden-Woche“, sagt sie.

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Für ein Hobby, für einen Ausgleich nach der Arbeit reichen Zeit und Energie oft nicht mehr. Früher hat sie Zumba- und andere Kurse besucht: „Wenn die Kurse anfangen, bin ich ja noch auf dem Weg nach Hause.“ Und wenn sie zu Hause sei, „dann hab‘ ich einfach keine Kraft mehr“.

Das Aufgabengebiet und die Verantwortung sind größer geworden. Aber trotzdem kann man vom Gehalt einer Arzthelferin kaum eine Familie ernähren.
Mendener Arzthelferin

Zudem ärgere sie sich darüber, dass – auch wenn sie mittlerweile passabel verdiene – der Beruf immer noch vergleichsweise schlecht bezahlt werde: „Das Aufgabengebiet und die Verantwortung sind größer geworden“, sagt die Mendenerin. „Aber trotzdem kann man vom Gehalt einer Arzthelferin kaum eine Familie ernähren.“

Und dennoch sagt die 62-Jährige: „Die Arbeit ist zwar mega anstrengend, aber mein Chef ist toll. Das macht ganz viel aus.“ Dazu gehöre auch mal ein alberner Spruch, über den man einfach gemeinsam lachen könne: „Das macht alles leichter.“

Chef stärkt dem Team den Rücken

Zudem stärke ihr Chef dem kompletten Team den Rücken, verteidige es gegen Angriffe durch Patienten. Im Extremfall würde der Facharzt Patienten – wenn das Vertrauensverhältnis durch das Verhalten nachhaltig gestört sei – auch nahelegen, in eine andere Praxis zu wechseln: „Dafür, dass mein Chef so hinter uns steht, bin ich sehr dankbar.“ Wenn Patienten allzu renitent auf die ihrer Meinung nach zu lange Wartezeit hinweisen, sage dieser auch schon mal: „Wir sitzen nicht in der Küche und probieren neue Frisuren aus. Wir arbeiten so schnell wir können.“

Beruf kommt von Berufung

Würde sie, wenn sie die Zeit zurückdrehen könnte, noch mal den Beruf der Arzthelferin erlernen – trotz allem? Die Mendenerin überlegt kurz und sagt dann: „Ja, wahrscheinlich schon. Beruf kommt von Berufung. Und das gilt im medizinischen Bereich besonders.“