Menden. Kindergarten oder doch Tagesmutter oder Tagesvater? Viele Eltern aus Menden stellen sich diese Frage. Eine Kindertagespflege öffnet die Türen.
Gewusel in der Bällebad-Höhle. Die anderen Kinder flitzen hoch auf die Spielinsel und runter über die Mini-Rutsche. Gekicher, Kinderlachen, gute Laune. Im Tobezimmer der Kindertagespflegestätte Zwergenland wird es mitunter wild. Inmitten der neun Kleinkinder stehen Merve (33) und Onur Avci (35). Das Ehepaar betreibt die Großtagespflege gemeinsam – und hat sich damit einen großen Traum erfüllt.
Schritt in die Selbstständigkeit: Arbeitszeiten zuvor nicht gut vereinbar mit der Familie
Lange ist Merve Avci im Einzelhandel tätig, doch als sie selbst zwei Kinder bekommt, werden die Arbeitszeiten für sie zur Herausforderung. Wirklich vereinbar mit der Familie sei das Arbeiten im Schichtsystem nicht gewesen. Also musste eine Alternative her. „Wir wollten uns schon immer selbstständig machen“, erzählt Onur Avci vom Traum des Paares. Er arbeitet damals im Industriegroßhandel, verlässt morgens das Haus und kommt abends zurück. So wenig Zeit mit seinen Kindern verbringen zu können, nagt an ihm. „Beim ersten Kind habe ich überhaupt nichts mitbekommen“, sagt Onur Avci über die erste Zeit. Beim zweiten Kind nimmt er schließlich Elternzeit und blüht auf. „Das hat richtig Spaß gemacht. Ich konnte die Entwicklung verfolgen und unterstützen.“
Doch es ist seine Frau, die den ersten Schritt in ein neues Kapitel wagt. „Ich liebe Kinder“, sagt sie. Eine Ausbildung zur Erzieherin über mehrere Jahre sei mit dem Familienalltag allerdings nicht darstellbar gewesen. Schnell kommt die Idee auf, in der Kindertagespflege zu arbeiten. Beim Katholischen Verein für soziale Dienste in Menden (SKFM) lässt sie sich beraten. Sie bildet sich fort und startet ihre Kindertagespflege mit fünf Kindern unter drei Jahren. Dann beschließt das Paar alles auf eine gemeinsame Karte zu setzen. Auch Onur Avci macht die entsprechenden Fortbildungen und wird zum Tagesvater. Gemeinsam bauen die Beiden eine Wohnung in ihrem Haus für die neue Großtagespflege um und legen los.
Räume liebevoll und dem Alter entsprechend gestaltet
Durch den Außenbereich und über eine große Außentreppe erreichen die Kinder die Großtagespflege. Außer dem Toberaum gibt es auch ein Spielzimmer, ein Ess- und Bastelzimmer, einen Flur mit Garderobe, Bad und Küche sowie einen Schlafraum mit großer Wickelkommode. Alle Räume sind liebevoll gestaltet, es gibt altersgerechte Spiel- und Klettermöglichkeiten. „Wir haben feste Rituale“, erklärt Merve Onur den Tagesablauf. So gebe es eine Spielphase bis alle Kinder da sind, dann den Morgenkreis und ein offenes Buffett als Frühstücksritual. „Danach gehen wir raus oder spielen.“
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Mit einem großen Bollerwagen machen sich alle auch gerne auf den Weg zum Wochenmarkt. Merve Onur koche immer frisch, sagt sie. „Meist koche ich türkisch. Das schmeckt den Kindern sehr gut.“ Nach dem Essen wird gewickelt, bevor es Zeit für den Mittagsschlaf ist. „Die Abholphase beginnt ab 14 Uhr“, so Merve Onur. Eher nicht, damit der Tagesablauf nicht gestört wird.
„Wir trennen privat und beruflich. Es gibt hier klare Absprachen und alles läuft stressfrei ab“, sagt Onur Avci. „Die Kinder spüren, dass wir entspannt sind. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als mit Kindern zu arbeiten“, sagt er. Bei seiner Fortbildung war er der einzige Mann, erinnert er sich. Und auch seine Freunde seien überrascht gewesen, als er verkündete, dass er fortan beruflich Kinder betreuen möchte. „Das ist ja für einen Mann nicht so typisch“, sagt er. Merve Avci lächelt. Onur sei der heimliche Star der Einrichtung. „Die Kinder lieben ihn. Er übernimmt auch eine Art Papa-Rolle.“
Bereut hat das Paar den Schritt in die Selbstständigkeit nicht, im Gegenteil. Beide sind stolz auf das, was sie geschaffen haben. „Wir bekommen viele Anfragen. Wir vermitteln dann auch weiter, weil wir gar nicht so viele Kinder aufnehmen können“, sagt Merve Onur.
Offen für alle Nationaliäten
Gemeinsam betreuen die Beiden neun Kinder. Sie bieten eine Betreuung zwischen 35 und 40 Stunden pro Woche an. Ihnen liegt Diversität besonders am Herzen. Das Paar hat türkische Wurzeln, wurde in Deutschland geboren. Dennoch haben sie, so Onur Avci, als Kinder viele Vorurteile erleben müssen. Den Kindern in ihrer Großtagespflege soll es anders ergehen. Hier sei jeder willkommen. Bücher in verschiedenen Sprachen und auch internationale Lieder werden gesungen. „Wir feiern hier alle Feiertage: christliche und muslimische“, sagt Merve Onur. Multikulti soll‘s sein und bunt. So wechselt Merve Onur im Gespräch mit den Kindern auch fließend die Sprache, um allen gerecht zu werden.
Bald steht dann ein Abschied an. „Zwei Kinder sind von Anfang an hier und gehen im Sommer“, sagt Merve Onur mit Tränen in den Augen. „Die kamen im Maxicosi her, haben hier die ersten Wörter und Krabbeln gelernt. Die Zeit vergeht so schnell“, sagt sie und knuddelt eins der Kinder. Ein großer Schritt für beide Seiten. Doch für die Kinder wird es Zeit für den Kindergarten. Und Familie Onur? Die bekommt neue Schützlinge, die ihre ganz persönlichen ersten großen Schritte im Zwergenland gehen werden.