Fröndenberg. Mitarbeiter des Schmallenbach-Verbundes wollen die 35-Stunden-Woche, mehr Geld und Durchatmen. Der Chef rechnet vor, was das bedeuten würde.

Sie wollen Wertschätzung, durchatmen und Kraft tanken: Die Mitarbeitervertretung (MAV)des Schmallenbach-Verbundes fordert mehr Geld und weniger Stunden. Pflegeberufe sollen besser honoriert werden. Die Tarifverhandlungen der Caritas laufen. Die Mitarbeiterseite der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes hat ihre Forderungen für die Tarifrunde 2023 klar gemacht – und die MAV aus Fröndenberg beteiligt sich an einer deutschlandweiten Fotoaktion, um Haltung zu zeigen. Ihre Forderungen gehen sogar noch weiter.

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Forderung nach 35-Stunden-Woche

Mehr als 650.000 Beschäftigte der zur Caritas gehörenden Einrichtungen und Dienste deutschlandweit sollen 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 500 Euro mehr erhalten. Auszubildende, Studierende und Praktikantinnen und Praktikanten sollen 200 Euro mehr erhalten. Die Caritas-Mitarbeiterseite schließt sich damit den Forderungen von Verdi in der Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes der Kommunen und des Bundes an. So weit, so gut. Doch die Mitarbeitervertretung des Schmallenbach-Verbundes geht noch einen Schritt weiter. „Fünf-Tage-Woche!“ und „Wir fordern eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich“ stehen auf den Plakaten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Standorte des Schmallenbach-Verbundes. „Weil wir mehr Wert sind“, steht dort ebenfalls mit rotem Stift geschrieben. Sie alle, das sind insgesamt rund 450 Personen, werden nach den Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverband bezahlt. Sie arbeiten 39 Stunden pro Woche, lieben ihre Jobs und erledigen ihre Arbeit mit Herzblut. Nicht zuletzt, weil ihnen die pflegebedürftigen Menschen, die sie betreuen, Dankbarkeit und Wertschätzung entgegenbringen.

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Doch damit der Traumjob auch traumhaft bleibt, sollen die Arbeitszeit herunter- und das Gehalt hinaufgehen. „Was wir uns wünschen ist eine 35-Stunden-Woche für die Pflege, eine Fünf-Tage-Woche, fünf Regenerationstage und mindestens 10,5 Prozent mehr Gehalt (mindestens 500 Euro mehr für jeden)“, so die MAV. Jasmin Spiekermann von der MAV macht deutlich, wieso das so wichtig ist: „Es muss sich unbedingt etwas ändern“, sagt sie. Es gibt immer mehr alte Menschen, weniger junge. „Wenn sich nichts ändert“, sagt sie, „entwickelt sich ein richtiger Notstand“. Die Pandemie hat Mitarbeiter an die Belastungsgrenzen geführt. Der Job müsse wieder attraktiver werden. Weil er unverzichtbar ist.

Vier-Tage-Woche und Homeoffice: In der Pflege möglich?

„Wir machen alles. Wir schaffen ein Zuhause für die Bewohner. Ihr Wohlbefinden steht für uns an erster Stelle“, sagt Maria Soulioti (MAV). Entertainer, helfende Hand, offenes Ohr, Psychologe, Schriftführerin – alles in einem und das im Schichtsystem. „Wir arbeiten elf Tage und haben dann drei Tage frei“, erklärt Maria Soulioti das Modell des Hauses. „Das ist einfach kaum zu schaffen. Aber darüber redet niemand.“ Es sei nicht nur körperlich anstrengend, sondern auch psychisch, wenn es um die Pflege von dementiell veränderten Menschen geht. Vier-Tage-Woche oder gar Homeoffice: Vieldiskutiert und für gut befunden, aber in der Pflege nicht möglich. „Man muss sich die Lebensstrukturen der Menschen angucken. Alles befindet sich im Wandel. Freizeit ist wichtiger geworden“, sagt Salina Ebert, kaufmännische Leitung. Mental Load sei ein großes Thema bei der jüngeren Generation. Gemeint ist damit die Belastung, die durch das Organisieren von Aufgaben entsteht, die gemeinhin als nicht der Rede wert erachtet werden. Die Work-Life-Balance sei der nachkommenden Generation wichtig. Wer Nachwuchs gewinnen will, muss auf ihre Bedürfnisse eingehen können.

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Darüber hinaus gibt es eine weitere Forderung der Fröndenberger: So sollen Auszubildende in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern die gleiche wöchentliche Arbeitszeit erhalten. Klingt banal, ist es aber nicht. Denn obwohl beide Seiten die gleiche, sogenannte generalistische Ausbildung erhalten und damit im selben Tarif eingruppiert sind: Wer in Pflegeeinrichtungen arbeitet, arbeitet aufs Jahr gerechnet 26 Stunden mehr, erklärt Heinz Fleck. Er ist der Geschäftsführer des Schmallenbach-Verbundes und findet diese Ungerechtigkeit nicht in Ordnung.

Rechenbeispiel Pflege: Wieso die Umsetzung so schwierig ist

Heinz Fleck steht hinter seinem Team. Auch er würde sich eine Entlastung wünschen. „Eine Fünf-Tage-Woche wäre schön. Lieber noch eine Vier-Tage-Woche oder Viereinhalb-Tage-Woche“, sagt er. Ihm ist bewusst, was die Mitarbeitenden leisten und ist sich sicher, dass er viele Bewerbungen bekommen würde, wenn das System umgestellt würde. Doch einfach machen, ist nicht. Er rechnet vor: 140 Vollzeit-Pflegestellen à 39 Stunden pro Woche gibt es beim Schmallenbach-Verbund. Das sind 5460 Pflegestunden pro Woche im Jahr. Würde er auf eine 35-Stunden-Woche umsteigen, müsste er 156 Vollzeitstellen, sprich 16 mehr, haben, um den Bewohnern die gleiche Behandlung zukommen zu lassen. Das kostet – und zwar rund 372 Euro mehr pro Bewohner pro Monat.

Doch die Rechnung lasse sich noch fortführen. Vor der Pandemie habe der Krankheitsausfall bei rund fünf Prozent gelegen, heute seien es zehn. Hypothetisch gesehen könne die Schaffung der Fünf-Tage-Woche die Zufriedenheit wieder steigern und die Krankheitsquote auf den Wert vor der Pandemie senken. Damit könnten wiederum sieben Stellen eingespart werden, sodass „nur“ noch neun weitere nötig wären und die Mehrkosten dadurch geringer. Doch es ist und bleibt vorerst ein Rechenbeispiel mit Unwägbarkeiten. Ein Balanceakt. Jetzt geht es aber erstmal um die Tarifverhandlungen.