Menden. Aspirin, Ibuprofen, Paracetamol: Viele Arzneimittel sind rar. Die Apotheke Köster kann davon ein Lied singen. Und fürchtet einen Insulin-Mangel.
Der Mendener Apotheker Dr. Mike Stern ist sichtlich angefasst, als er die ganz konkreten Folgen des Medikamentenmangels schildert: „Wir hatten hier in Menden mehrere Brustkrebs-Patientinnen, die das Chemotherapie-Nachsorgemittel Tamoxifen brauchen. Das war nicht lieferbar. Das war schrecklich für uns.“
Mendener Telefon-Marathon für ein dringend gebrauchtes Brustkrebsmittel
Für Stern und seinen Chef Andreas Köster begann ein Telefon-Marathon: erst beim Hersteller, dann im Großhandel, schließlich bei befreundeten Apothekern. Am Ende haben sie das Mittel bekommen. Aus italienischen Beständen. Auch Medikamente mit ukrainischer Aufschrift haben sie bei Köster schon erhalten, einige der früher scheinbar grenzenlos verfügbaren Allerweltsmittel müssen sie an der Unnaer Straße jetzt aus diversen Rohstoffen selbst herstellen. Darunter so bekannte Mittel wie Ibuprofen oder Paracetamol. Fiebersäfte. Wenn die gebraucht werden, dann immer ganz dringend, gerade für Kinder.
Exportstopp: Ibuprofen und Paracetamol machen sie bei Köster selbst
„Für Ibuprofen gab es wegen Corona einen Exportstopp aus China und Indien, wo zwei Drittel aller Hersteller sitzen“, berichtet Inhaber Andreas Köster. Das Paracetamol machen sie hier ohnehin längst selbst – „für Kinder ab zwei Jahren auch mit Kirschgeschmack.“ Noch kleinere Kinder müssten die Fiebersenker eigentlich als Zäpfchen verabreicht bekommen. Doch nicht einmal das Wachs für die Zäpfchen ist lieferbar. Auch die Preise sind ein Thema: Eine Flasche Ibuprofen aus der Fabrikation kostete einst etwa 5 Euro. Heute sind es 20, weil die Rohstoffe teuer und die Herstellung aufwändig ist.
In Niederlanden keine Arzneimittel-Engpässe, weil dort besser bezahlt wird
In diesem Moment schickt eine Köster-Mitarbeiterin, die sich gerade in den Niederlanden aufhält, von dort das WhatsApp-Foto eines Paracetamol-Regals – prall gefüllt. „In Holland und Österreich zahlen sie halt besser als die gesetzlichen deutschen Krankenkassen“, wissen die heimischen Fachleute.
Apotheker Andreas Köster erwartet jetzt umfassenden Mangel an Insulin
Als PTA im fünften Berufsjahr 2500 brutto
Weil auch Apotheken ähnlich wie Hausarztpraxen ein Nachfolge- und Berufsnachwuchsproblem haben, müsse auch die Bezahlung im kaufmännischen wie im Angestelltenbereich dringend verbessert werden, fordern die heimischen CDU-Politiker aus Bund, Land und Stadt. Eine studierte Apothekerin im fünften Berufsjahr liege derzeit bei 4000 Euro brutto, eine PTA bei 2500. Andreas Köster: „Das sind keine Anreize. Da lohnen sich andere Studiengänge und Ausbildungen deutlich mehr.“
Über die problematische Lage der Apotheken in der Region informieren sich an diesem Montag der heimische CDU-Bundestagsabgeordnete und NRW-Generalsekretär Paul Ziemiak, der Mendener Landtagspolitiker Matthias Eggers und Stadtratsmitglied Robin Kroll. Sorgenvoll hören sie sich an, was womöglich noch auf heimische Apotheken zukommt. Köster: „Wir erwarten 2023 Engpässe beim Insulin. Das wird ein großes Thema, weil es nicht zu bevorraten ist.“
Politiker und Fachleute einig: Lieferausfall für Antibiotika wäre katastrophal
Der Apotheker geht davon aus, dass es für viele Patientinnen und Patienten Umstellungen auf andere Medikamente geben muss. Ziemiak fragt: „Wenn etwa bei einem China-Taiwan-Konflikt die Antibiotika knapp werden...?“ – „Dann können Infektionskrankheiten nicht wirksam behandelt werden“, vollendet Köster den Satz. Und dann, darin sind sich beide einig, würde es „wirklich katastrophal“.
Politische Konsequenzen: Grundversorgung zurück in die EU holen
Für Ziemiak und Eggers ergeben sich aus alledem auch politische Aufgaben: „Erstens: Alle lebensrettenden Medikamente müssen wieder in die EU-Produktion kommen. Nichts gegen Globalisierung, aber die Grundversorgung muss hier sichergestellt sein.“ Ebenso wichtig sei der Schutz heimischer Apotheken vor Billig-Anbietern aus dem Internet.: „Von denen ist jetzt nicht zu hören, dass sie dringend benötigte Medikamente selbst herstellen. Die schreiben nur: Leider nicht lieferbar, und dann sind sie fertig damit.“ Und für in Deutschland hergestellte Medikamente soll es laut Ziemiak und Eggers einen Mechanismus geben, der sie preislich wettbewerbsfähig hält.