Menden. In diesem Jahr sind so viele Mendener aus der Kirche ausgetreten wie lange nicht – zwei Drittel sind Katholiken.
Im Jahr 2022 sind so viele Mendenerinnen und Mendener aus der Kirche ausgetreten wie lange nicht: Bis zum 17. November kehrten 860 Menschen der katholischen oder evangelischen Kirche den Rücken – wovon zwei Drittel auf die Katholiken entfallen. Mit der hohen Austrittszahl liegt Menden im bundesweiten Trend: In Deutschland hat es 2022 so viele Kirchenaustritte gegeben wie nie zuvor.
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Warteliste für Termine im Amtsgericht ist lang
Auch in Menden scheint der Exodus der Schäfchen kein Ende zu nehmen: Die Warteliste für Termine zum Kirchenaustritt beim Amtsgericht ist lang. Heute dauert es drei Wochen und länger, ehe man einen Termin bekommt, bestätigt Martin Jung als Leiter des Amtsgerichts.
Stehen die Kirchengemeinden vor Ort dem Trend hilflos gegenüber, oder haben sie einen Plan? Dazu Pfarrer Jürgen Senkbeil, Leiter des katholischen Pastoralverbundes Menden: „Zunächst einmal tut mir jeder Austritt leid, ich würde mir ein anderes Verfahren beim Kirchenaustritt wünschen.“ Er verweist darauf, dass die Reihenfolge vom Amtsgericht zu den Pfarrbüros anders herum wünschenswert wäre. Dann hätte man die Möglichkeit für ein persönliches Gespräch vor einem möglichen Austritt.
Drei Gruppen bei Austritten
Laut Markus Deiters, Verwaltungsleiter im Pastoralverbund, gibt bei es Austritten drei Gruppen: diejenigen, die Kirchensteuer sparen wollen, diejenigen, die Kirche und Gemeindeleben schätzen, sich aber wegen der Missbrauchsskandale und dem Umgang damit von der katholischen Kirche lösen und durch den Austritt Protest bekunden. Und diejenigen, die als „Inner Circle“ bezeichnet werden, jahrelang in Positionen und Gremien mitwirkten und sich nach langem Ringen entscheiden, ihre Kirche zu verlassen.
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„Egal, aus welchen Beweggründen jemand ausgetreten ist, mir steht es nicht zu, darüber zu urteilen, ganz im Gegenteil. Ich freue mich über alle, die zu mir kommen und mit mir reden“, stellt Senkbeil klar und betont die Offenheit gegenüber Andersdenkenden in seinen Gemeinden. Er verweist darauf, dass im Pastoralverbund Menden Toleranz großgeschrieben werde und sich die aktiven Mitglieder für eine offene und zukunftsorientierte Kirche einsetzten. Er selbst sehe bei der Kommunion in die Augen der Menschen und nicht auf deren sexuelle Orientierung.
Initiative #OutinChurch
Markus Deiters verweist auf die Initiative #OutinChurch verweist, in der sich haupt- und ehrenamtliche Beschäftigte der katholischen Kirche in einem gemeinsamen Coming Out klar zu ihrer Orientierung bekannt und eine Petition zum Arbeitsrecht der katholischen Kirche gestellt haben. So sollten Glaubwürdigkeit und Menschenfreundlichkeit untermauert werden.
Neue Arbeitsgruppe mit dem Motto „Gutes für Menden“
Senkbeil und Deiters verweisen auch auf eine neue Arbeitsgruppe aus Haupt- und Ehrenamtlichen, die unter dem Motto „Gutes für Menden“ steht: „Wir wollen aus unserer Blase herauskommen und zu den Menschen gehen.“ Die Aktion starte 2023, der Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern stehe vornean. „Wir lassen von uns hören, werden unsere Werte darstellen und nicht die Institution.“
Protestanten sehen sich im Sog
Für die evangelischen Kirchengemeinden sprach die WP mit den Mendener Pfarrern Frank Fiedler, Thomas von Pavel, Björn Corzilius aus Lendringsen und dem Vorsitzenden des Presbyteriums, Reinhard Beckmann. Im Gemeindebrief hatte Fiedler bereits Mitte des Jahres geschrieben, dass die evangelischen Kirchen vor Ort im Schatten der Skandale rund um die katholische Kirche Mitglieder verlieren. „Obwohl wir uns in vielen Dingen klar von den Katholiken unterscheiden, in der Sexualmoral, bei der Gleichberechtigung der Geschlechter und in der Amtshierarchie werden wir oft über einen Kamm geschoren“, sagt Fiedler. „Wir sind keine Moralanstalt und möchten unseren Mitgliedern nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben“, ergänzt Thomas von Pavel. Björn Corzilius fügt an, wie wichtig es sei, die Unterschiede zwischen den Konfessionen klar darzustellen und dass diese Darstellung der evangelischen Kirche offenbar nicht immer gelinge.
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Wichtiger ist der Einsatz jedes einzelnen Gemeindemitgliedes
„Wir sind da stark, wo Basis-Engagement vor Ort ist“ , sagen die Pfarrer. Ihnen sei bewusst, wie wichtig der Einsatz jedes einzelnen Gemeindemitgliedes ist, und sie arbeiteten schon lange daran, die Bindung zu ihren Mitgliedern zu stärken. Die Pfarrer suchten den Kontakt zu Mitgliedern etwa auf Geburtstagsbesuchen. Ihre Kirche bezeichnen sie als eine Baustelle, an der immer gearbeitet werden muss. „Gerade in Zeiten der Individualisierung muss auch die evangelische Kirche daran arbeiten, ihren Glauben und die Form, wie er praktiziert wird, den Menschen in Menden nahe zu bringen und ihre Mitglieder durch Nähe an sich zu binden.“
In fünf Jahren wollen die evangelischen Kirchen in Menden umgesetzt haben, noch persönlicher und unkomplizierter erreichbar und ohne viel Bürokratie für die Menschen da zu sein. Dass die Glocken der Mendener Kirchtürme auch in fünf Jahren noch läuten, davon gehen sie allerdings sicher aus.