Menden. Am Ende waren alle roten Samtsessel aus dem großen Saal des Mendener Kinos abgebaut. So lief die Verkaufsaktion – eine weitere soll folgen.

Jahrzehntelange Filmgeschichte haben sie miterlebt, die roten Samtsessel des Palasttheaters im Mendener Kino. Jetzt, wo es seinen Besitzer wechselt, müssen die kultigen Stühle Platz machen für etwas Neues — und werden am Muttertag für 20 Euro an diejenigen verkauft, die mit eigener Kraft die Sessel vom Boden lösen. Eine Aktion, die den großen Saal in einen besonderen Schauplatz verwandelt: Nicht von James Bond oder Fluch der Karibik, sondern von eifrigen Werkern, die sich ihr eigenes Stück Erinnerung mit nach Hause nehmen wollen. +++ Lesen Sie auch: Menden: Oscar-Kino startet nach mehrjähriger Pause wieder +++

Sie ist überschaubar, die Schlange vor dem beliebten Mendener Kino in der Twiete, aber kurz ist sie nicht. Viele Interessierte haben große Werkzeugkästen dabei, Baustellenhosen blitzen aus der Menge, einer hat sogar ein Rollbrett dabei. „30 Kilo sollen die wiegen, laut Google“, sagt er. Und auch für ein anderes Problem findet sich schon vor dem Betreten des Saals eine Lösung. „Statt die in den Boden zu bohren, kann man die ja an Europaletten befestigen“, überlegt Alex Schüppstuhl (22), während er mit seiner Freundin Lea Kryzanik (19) auf den Einlass wartet. Warum die beiden gerne so ein Ding haben wollen? „Keine Ahnung, ich find’s einfach cool und will‘s haben“, sagt Alex lachend. +++ Auch lesenswert: Vorhang auf: Wieder Hollywood-Blockbuster im Mendener Kino +++

Ungewöhnlicher Ausflug in den Mendener Kinosaal

Dann schlägt die Glocke endlich 10 Uhr. Zeit für einen der wohl ungewöhnlichsten Ausflüge ins Mendener Kino. Im Foyer steigt der Geruch von Popcorn in die Nase, doch einen Film gibt es hier heute nicht. Die Palette ist dunkel, Papp-Aufsteller von Wickie und Pitch Perfect erinnern dennoch an die großen Kinoabende. Im Schaufenster hängen Plakate vom neuen Harry-Potter-Film „Dumbledores Geheimnisse“. Nacheinander huschen die Besucher in den roten, großen Saal des Palasttheaters. „Siebzehnerschlüssel braucht ihr, soweit ich weiß“, ruft der Kinomitarbeiter, der die Tür öffnet, in die Menge. Im Saal selbst herrscht Baustelle, Leitern stehen herum, und die einzige Lichtquelle sind zwei Baustellenstrahler. Im Nu sind die Handys mit Taschenlampen gezückt und spenden zumindest ein Mü mehr Helligkeit im riesigen Saal.

Werkzeugkästen werden geöffnet, die ersten Knarren klirren am Boden. Schnell suchen sich die Leute die besten Sitze, möglichst sauber und gerne mit Lehnen. Wer schafft es am schnellsten, wie lang wird es dauern? Und siehe da: Nach nur fünf Minuten sind die ersten zwei schon um zwei Kinosessel reicher. Matthias Nelios und Alexander Laub gewinnen das inoffizielle Rennen, und tragen ihre Stühle schon nach draußen zum Auto. „Die sind einfach cool“, so Matthias. „Wir wollen die für mein Zockerzimmer, fürs Männerzimmer“, sagt er lachend. Ein Problem war die Aufgabe für die beiden nicht im Geringsten — „das ging mega schnell und einfach“, verspricht Alexander. +++ Lesen Sie auch: Vor Eröffnung: Blick hinter die Kulissen des Mendener Kinos +++

Etwas länger brauchen die anderen trotzdem. Die meisten Retroliebhaber sind, wie die beiden, zu zweit gekommen, genauso auch ein weiteres Pärchen, das ursprünglich die Idee hatte, die Sessel im Jugendraum im Bodelschwinghhaus Menden zu platzieren. „Ob das klappt, wissen wir aber noch nicht“, sagt Uli. Für die beiden haben die Stühle etwas Nostalgisches, „und wir wollen unserer Tochter, die jetzt zum Studium nach Münster gezogen ist, gerne einen schenken.“ Sie haben sich einen Sessel am Gang ausgesucht — „der hat hier die komplette Lehne, das ist gut“.

Noch qualmend Filme geguckt

Ein Stückchen weiter, direkt unterm Baustrahler, bildet sich so langsam ein erstes großes Loch innerhalb der Sitzreihen. Große Schrauben liegen auf dem dunklen Boden, die wollten die wenigsten behalten. „Wir müssen hier noch eine Grifffläche tauschen“ und „Da fehlt uns noch eine Armlehne“, rufen die Heimwerker sich gegenseitig zu. „Uns fehlt leider ein Maulschlüssel“, erklärt Alex Schüppstuhl aus der Schlange, während er gerade schraubt. Wohin die Sessel kommen, ist noch immer unklar. „Man musste gucken, dass kein Schimmel an den Dingern ist. Und irgendwie sind da teilweise Brandflecken drin.“ Das Mobiliar scheint so alt zu sein, dass sogar noch qualmend in den Stühlen Filme geguckt wurden. „Das kann natürlich sein. Mein Vater hat sich damals mit 20 auch acht Stück geholt. So alt sind die wohl“, sagt Alex. Für ihn und Lea haben die Stühle auch einen hohen emotionalen Wert. „Und im Iserlohner Kino zum Beispiel kosten die mehr. Oder im Internet.“

Der Preis scheint jedenfalls gut angekommen zu sein, wie im Nachhinein klar wird. Kinobesitzer Sebastian Boos zieht auf alle Fälle ein positives Fazit: „Es sind alle weg.“ Jetzt ist es eine Frage der Zeit, wann die neuen Stühle kommen.

Aktionen wie diese sind übrigens für Kinos üblich. „Das macht man in dieser Branche so, und es funktioniert immer ganz gut.“

Das gleiche Schicksal wie die roten Sessel aus dem Palasttheater ereilt bald dann auch die grauen Samtstühle aus der Palette. Aber wann, ist noch nicht klar. Erstmal gibt es nur die roten Sessel, die so viel Filmgeschichte in sich tragen, fürs Wohnzimmer.

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