Menden/Charkiw. Für Mendener mit ukrainischen Wurzeln ist der Krieg ganz nah: Elena bangt um ihre Familie, die im brutal angegriffenen Charkiw und in Sumy lebt.
Immer wieder steigen Tränen in Elenas Augen: „Ich habe einfach große Angst, dass meine Leute in Charkiw und der Gegend um Sumy getötet werden, wo sie in schlecht geschützten Kellern ohne Strom und Heizung sitzen“, sagt die junge Frau leise. Elena stammt aus der Ukraine und lebt mit ihrem russischstämmigen Freund Andrey seit drei Jahren in Menden. Der scheinbar so ferne Krieg ist hier ganz nah, nicht nur, weil das junge Paar fortlaufend die Berichte in TV und Internet verfolgt.
Warten auf Anruf der Mutter: Das Handy ist immer auf Empfang
Wie schon seit Wochen hält Elena auch jetzt im WP-Gespräch unentwegt das Handy im Blick, hofft auf neue Nachrichten von ihrer Mutter Nadja. Die hält sich mit einem fünfjährigen Neffen in der Umgebung der Provinzhauptstadt Sumy auf. Elenas Schwager und ein älterer Neffe schreiben unterdessen aus Charkiw, einer 1,5-Millionen-Metropole, die zuletzt von den russischen Truppen besonders brutal angegriffen wurde.
Schwager berichtet nach Menden von nacktem Grauen in Charkiw
Charkiw. Zweitgrößte Stadt der Ukraine und mit 42 Hochschulen als Uni-Standort eben noch quicklebendig. Jetzt, das berichtet Elenas Schwager, liegen dort zwischen verkohlten Ruinen Leichenteile auf offener Straße. Russische Posten schießen demnach auf alle Menschen, die diesem Grauen mit dem Auto noch entkommen wollen.
Elena sieht auch Zukunftsaussichten für Kinder in der Ukraine zerstört
Für Elena, die in Deutschland Logopädin werden will, ist Charkiw heute sehr nah und sehr fern zugleich. „Wir sitzen hier und trinken in Frieden unseren Kaffee, dort sterben Menschen, auch jetzt“, sagt sie. Man sieht ihr an, dass sie das immer noch nicht fassen kann. „Meine Freundin hat mich gefragt, was sie ihren kleinen Kindern erzählen soll, die jetzt schon sechs Nächte im Keller schlafen müssen.“ An die Zukunft dieser Kinder mag Elena gar nicht denken: „Wohnhäuser, Straßen, Krankenhäuser, Kraftwerke, alles kaputt. So vieles wird bei uns jetzt zerstört. Wie sollen die Kinder denn aufwachsen?“ Und Putin werde weitermachen, so lange man ihn gewähren lässt. Schon 2014 hätte man die Annexion der Krim stoppen müssen, meint die Ukrainerin.
In Balve Syrien-Flüchtlinge betreut: Jetzt ist die eigene Familie betroffen
Obwohl sie erst 2019 nach Menden kam, spricht die junge Frau schon perfekt Deutsch. Gelernt habe sie das in Sprachkursen und als ehrenamtliche Betreuerin von Flüchtlingen in Balve. „Wenn dort die Syrer von ihren grauenhaften Erlebnissen aus dem Bürgerkrieg erzählt haben, dann habe ich zugehört. Aber nie hätte ich gedacht, dass meine eigene Familie einmal selbst in so eine Lage kommt.“
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Wieder schaut sie aufs Handy. Sie bangt auch darum, dass der Mobilfunk-Kontakt zu ihren Lieben hält. „Der kann ja in jedem Augenblick abreißen.“ Wie Elena und Andrey sind auch Elenas Eltern ein russisch-ukrainisches Paar, erzählt sie weiter. „Meine Mutter ist Russin, und sie kann immer noch überhaupt nicht fassen, dass sie jetzt von eigenen Landsleuten bombardiert wird.“
Starke Propaganda: Lügen über Ukraine in Russland offenbar weit verbreitet
Auch Andrey erfüllt Putins Krieg gegen die Ukraine mit Scham, wie er sagt. Aber er kennt auch all die Schauermärchen, die in Russland schon lange über die Ukraine erzählt werden: „Als ich vor Jahren zum ersten Mal in Kiew war, hatte ich wirklich erwartet, als Russe feindselig empfangen zu werden. Das genaue Gegenteil war der Fall, und in Kiew spricht man sogar Russisch.“ Diese Erfahrung, selbst so belogen worden zu sein, macht Andrey skeptisch, was die russische Bevölkerung angeht: Man werde den Menschen dort kaum beibringen können, wie sehr sie bislang über das wahre Ausmaß des Putin-Krieges getäuscht wurden. „Ich fürchte, dass die Propaganda auch weiterhin stark bleibt und die korrekte Information der Menschen dort verhindern kann.“
Paar aus Menden bisher schon auf vier Demos – und bittet um Spenden
„Überragende Menge“ an Sachspenden in Menden
„Überragende Menge an Spenden: Wir brauchen KEINE KLEIDERSPENDEN mehr!“ Das meldet jetzt die Sammelaktion der Mendener Kita-Elternvertreter um Unternehmer Daniel Büttinghaus an der Sudetenstraße 11 auf ihrer Facebookseite.Alles andere wird dagegen weiterhin entgegengenommen, insbesondere Babynahrung, Windeln und Fläschchen, Zahnputzzeug, Verbandkästen, Hygieneartikel, Tampons oder Binden, Schlafsäcke, Powerbanks, Batterien oder Kerzen.Die Sammlung läuft jetzt noch bis einschließlich Freitag, jeweils von 9 bis 18 Uhr stehen ehrenamtliche Kräfte bereit, um die Hilfsgüter für die Ukraine entgegenzunehmen und zu sortieren. Sie werden in Dortmund auf einen Hilfskonvoi geladen.Elena und Andrey, deren Nachnamen ungenannt bleiben, bitten auch um Spenden für „Ärzte ohne Grenzen“. Die Hilfsorganisation hat bereits Material zur Versorgung von Kriegsverletzten in Mariupol geliefert und ein Telemedizin-Training für 30 Chirurginnen und Chirurgen aus der Ostukraine zur Versorgung von Verletzten organisiert. Nothilfeteams stehen an der polnisch-ukrainischen Grenze. An den Übergängen sehen sie erschöpfte Menschen „auch mit Kindern und Babys, von denen die jüngsten nicht einmal 25 Tage alt sind“. Einige seien dehydriert, andere unterkühlt.Der Spendenservice des Vereins ist Montag bis Freitag von 10 bis 16 Uhr unter Tel.: 030 / 700 130 130 erreichbar. E-Mail: spendenservice@aerzte-ohne-grenzen.de. Bankverbindung: IBAN: DE72 3702 0500 0009 7097 00.
Untätig herumsitzen und nur auf die Fernseh-Nachrichten achten wollen Elena und Andrey unterdessen auch nicht: Sie wollen selbst aktiv sein und waren zuletzt auf mehreren Demos dabei, gegen den Krieg, für die Ukraine, auch am Rosenmontag in Köln. In einer Ecke ihres Wohnzimmers stehen noch die Pappschilder, die sie zuletzt hochgehalten haben, zwei Mal in Köln, dazu in Bochum und Düsseldorf. „Stop War in Ukraine“ steht darauf – und „EU help“.
Denn dass die europäische Politik der Ukraine wirksam hilft, dauere einfach zu lange. In der Mendener Sammelstelle für Sachspenden an der Sudetenstraße wollen sie nun selber mit anpacken. Und sie bitten ausdrücklich um Spenden für die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“.