Lendringsen. Die Corona-Pandemie hat die Arbeit im Stadtteiltreff Lendringsen verändert. Nicht alle Kinder und Jugendlichen sind dabei geblieben.

Normalerweise kommen die Kinder und Jugendlichen in den Stadtteiltreff in Lendringsen. Doch die Corona-Pandemie stellte dies auf den Kopf. Eine Zeitlang ging der Stadtteiltreff auf Hausbesuch. Sowohl Treff-Leiter Marcus Kilwing als auch die Kinder und Jugendlichen sind froh, dass dies erst mal nicht mehr nötig ist – und hoffen inständig, dass dieser Winter anders verläuft als der vergangene.

Treff-Besucher Anton Braukmann (11; 2. von links), Sebastian Hopp (28; 2. von rechts) und Lea Nähring (19) mit Jugendpfleger Sven Haja am Billardtisch.
Treff-Besucher Anton Braukmann (11; 2. von links), Sebastian Hopp (28; 2. von rechts) und Lea Nähring (19) mit Jugendpfleger Sven Haja am Billardtisch. © WP Menden | Corinna Schutzeichel

„Wir sind einmal pro Woche zu den Familien nach Hause gefahren“, blickt Marcus Kilwing auf die Hoch-Phase der Corona-Infektionen und den Lockdown zurück. „Das war die einzige Möglichkeit, überhaupt Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen zu halten, sie zu hören und zu sehen. Das war schon ziemlich nervig, ging aber nicht anders.“ Die Mitarbeiter brachten kleine Geschenke – so genannte Treff-to-go-Tüten – mit. Doch das stand nicht im Vordergrund bei den Hausbesuchen. „Manche wollten sich einfach mal über Stress mit ihren Eltern aussprechen“, erinnert sich Marcus Kilwing. „Andere waren genervt vom Homeschooling und dass sie nicht raus konnten.“

Das Lächeln, die Mimik fehlt

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Als es erste vorsichtige Lockerungen bei den Kontaktbeschränkungen gab, durften anfangs maximal fünf Besucher in die einstige Grundschule am Böingser Weg kommen – nach negativem Corona-Test. Dass der Mund-Nasen-Schutz aufgesetzt werden musste, war für die Treff-Besucher kein großes Thema. „Die haben das schneller hinbekommen als so mancher Erwachsene“, sagt Marcus Kilwing.

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Im Treff setzen die Besucher im Sommer ganz selbstverständlich die Maske auf, draußen – etwa auf dem ehemaligen Schulhof – nehmen sie sie ab. „Das Lächeln, die Mimik fehlt“, bedauert Marcus Kilwing. Auch mal einem Jugendlichen auf die Schulter zu klopfen, ist gefühlt tabu. Das Abstandsgebot hat im Sommer jeder im Hinterkopf.

Ein Stückchen mehr Normalität

Im Oktober hingegen ist ein Stückchen mehr Normalität zurückgekehrt, wie Sven Haja, Jugendpfleger für den Stadtteil Süd, berichtet: „Die Distanz untereinander, der physische Abstand, verkürzt sich allmählich wieder.“

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Doch nicht alle Besucher sind, seit der Stadtteiltreff wieder geöffnet hat, wieder regelmäßig zu Besuch: „Wir haben damit zu kämpfen, dass die Resonanz nicht mehr so ist wie früher“, bilanziert Marcus Kilwing im Sommer. So mancher 13- bis 15-Jährige habe sich an die Zeit des Einigelns zu Hause gewöhnt. Diese Entwicklung habe sich fortgesetzt, berichtet Sven Haja im Herbst: „Es sind vor allem die 14- bis 18-Jährigen, die nicht wiedergekommen sind.“ Über die Gründe könne er nur spekulieren: „Ich glaube, da haben wir eine Menge Jugendliche an die Spielekonsole verloren.“ Hinzu komme, dass sich manche Kinder und Jugendliche ebenso wie auch Erwachsene – einmal raus aus dem vorherigen Freizeit-Stress – nicht immer zu Aktivitäten aufraffen können: „Viele sind noch im Corona-Schlaf.“ Diese Entwicklung sei bei allen Stadtteiltreffs in Menden vergleichbar. Mit verstärkten Informationen an Schulen wollen die Treffs versuchen, auf ihre Angebote aufmerksam zu machen.

Extrem herausfordernde Zeit für Kinder und Jugendliche

Mit Sorge blickt Marcus Kilwing darauf, was nach der Corona-Pandemie sein könnte: „Ich glaube, da kommt noch einiges nach“, sagt er Ende August angesichts der gerade auch für Kinder und Jugendliche extrem herausfordernden Zeit. Beim erneuten WP-Besuch im Herbst bestätigt das Sven Haja: „Wir haben eine nie dagewesene Verhäuslichung erlebt – und das bringt nicht nur Harmonie mit sich. Viele haben in der Corona-Zeit zu Hause nicht nur Positives erlebt.“ Das aufzuarbeiten, für Gespräche und Hilfe zur Verfügung zu stehen, „das wird mindestens so lange dauern wie die Corona-Zeit“, vermutet Sven Haja.

Corona-Pandemie hat Zukunftspläne durcheinandergewirbelt

Bei Lea Nähring hat die Corona-Pandemie die Zukunftspläne durcheinandergewirbelt. Eigentlich wollte die 19-jährige Lendringserin ihr Fachabi machen. In ihrer Freizeit hat sie gerne Fußball gespielt, besuchte immer mal wieder den Lendringser Stadtteiltreff und machte gerade ihren Führerschein: „Von jetzt auf gleich war alles anders“, blickt sie zurück. Das Fußball-Training konnte nicht mehr stattfinden, ihre Fahrschul-Prüfung wurde wenige Tage vor dem Termin abgesagt, „und das Fachabi hab‘ ich nicht geschafft“.

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Vom Unterricht, der an ihrem Berufskolleg wie an den meisten Schulen während des Lockdowns per Video ablief, „habe ich viel weniger mitbekommen als beim Unterricht vor Ort“. Die Umstellung auf Video-Konferenzen statt Unterricht im Klassenzimmer war herausfordernd. Doch Lea Nähring suchte sich eine Alternative, macht nun eine Ausbildung zur Gärtnerin: „Ich habe vorher schon nebenbei in einer Gärtnerei gearbeitet.“

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Im Sommer vermisst Lea Nähring die privaten Treffen mit ihrem Fußball-Verein: „Ich hoffe, dass das mal wieder besser wird. Man will mehr Freiheiten als jetzt“, sagt sie. Die hat sie im Herbst: „Ich bin jetzt zweimal geimpft. Endlich wieder mehr Normalität.“ Dabei stehen Partys für sie derzeit nicht im Vordergrund, denn Lea Nähring hat im Herbst einen jungen Welpen zu Hause: „Da überlege ich es mir schon zweimal, ob ich weggehe oder lieber die Zeit mit meinem Hund nutze.“

Langeweile zu Hause

Ein Highlight nach dem langen Lockdown war für Lea Nähring eine Segel-Freizeit, an der sie über den Stadtteiltreff teilnehmen konnte. Mit dabei war auch Treff-Besucher Sebastian Hopp. Auch wenn er „schon“ 28 Jahre alt ist, kommt der Lendringser immer noch gerne in die Einrichtung: „Ich spiele hier gerne Darts oder Billard. Man kennt sich, das ist schön. Aber jetzt kommen viele nicht mehr her, die früher hier waren.“

Acht Stunden am Tag trägt er die Maske

Der 28-Jährige arbeitet als Fachkraft für Lagerlogistik. „Zu Hause rumsitzen, Langeweile“, sind seine Erinnerungen an den Lockdown und an die Zeit der abendlichen Ausgangssperre. „Ich bin oft mit einem Kumpel draußen rumgelaufen und wir haben Pokémon GO gespielt“, erzählt er. Pokémon spielt er im Herbst weiterhin gerne, bisweilen ist das Maskentragen anstrengend: „Wir haben in der Firma acht Stunden am Tag die Maske auf.“ Sein Hockeytraining laufe gerade wieder an, „aber die Zahlen steigen ja schon wieder“, sagt er im Sommer. Und auch Treff-Leiter Marcus Kilwing sorgt sich: „Ich frage mich schon, wie lange haben wir die Bude auf?“

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Anton Braukmann ist seit vier Jahren Treff-Besucher. Der Elfjährige hat im Sommer gerade auf die weiterführende Schule gewechselt, besucht jetzt das Walburgisgymnasium. „Als wir gehört haben, dass in Asien eine Pandemie ausgebrochen ist, haben wir alle gedacht, dass uns das ja nicht betrifft“, blickt er auf den Jahreswechsel 2019/20 zurück. Als die Pandemie dann immer näher rückte und vom gewohnten Alltag nicht mehr viel übrig blieb, „fand ich das ganz schrecklich“, erinnert sich Anton Braukmann.

Nur noch weinend zu Hause gesessen

Kein Besuch im Stadtteiltreff mehr, kein Präsenzunterricht in der Musikschule, der Schulunterricht auch nicht mehr im Klassenzimmer, das habe ihm zu schaffen gemacht: „Ich habe nur noch weinend zu Hause gesessen, weil ich in der Grundschule so viele Aufgaben bekommen habe.“ Manche seiner Freunde hätten gedacht, „zu Hause lernen ist ja voll cool, das hab‘ ich auch erst gedacht. Aber dann sitzt man da zu Hause und hat gar keinen Ansporn.“

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Ein Lichtblick seien für ihn die virtuellen Verabredungen des Stadtteiltreffs über den Online-Dienst Discord gewesen. „Das ist eigentlich ein Programm, das Gamer nutzen, um zu kommunizieren“, weiß Anton Braukmann. Der Zugang erfolgt entweder über die entsprechende App oder die Internetseite. In der Corona-Pandemie organisierte der Stadtteiltreff verschiedene Discord-Treffen, darunter zum Beispiel einen Spieleabend: „Da habe ich dann auch neue Leute kennen gelernt“, freut sich Anton Braukmann über die Abwechslung. „Ich war dann zu den Zeiten, zu denen ich sonst in den Treff gegangen bin, bei Discord und hab geguckt, was da los ist.“ So gut Anton Braukmann die virtuellen Treffen gefallen haben, so ist er dennoch sehr froh, dass die Treffen vor Ort im Stadtteiltreff wieder möglich sind: „Das ist was ganz anderes. Einfach viel besser.“ Falls es doch noch mal mit einer neuen Welle zum Homeschooling käme, fühlt er sich besser gewappnet, „davor habe ich jetzt nicht mehr so viel Angst“.

Klassenarbeiten mit Maske

In seiner neuen Klasse am Walburgisgymnasium fühlt er sich wohl. An das monatelange Masketragen im Unterricht habe er sich gewöhnt. Anton sieht neben dem Schutz vor Viren weitere Vorteile des Mund-Nasen-Schutzes: „Im Winter, wenn es so richtig kalt ist, dann wärmt die Maske das Gesicht ein bisschen.“ Für die Zukunft indes hat der Elfjährige nur einen Herzenswunsch: „Dass die Pandemie endlich beendet ist.“

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