Menden. Distanzunterricht, eigenständiges Lernen, Digitalisierung in Kinderschuhen: Es war ein Abi unter erschwerten Bedingungen. Wie fühlt sich das an?
Liebenswert, anstrengend, wertvoll – so beschreibt Ralf Goldschmidt seine erste Abiturientia. Er ist Schulleiter der Gesamtschule Menden und mächtig stolz auf die 53 Abiturienten. Obwohl es ihnen nur wenige zugetraut hatten, der Gegenwind seit Tag eins deutlich spürbar war und nur eine Person eine Empfehlung für das Gymnasium hatte, haben sie es alle geschafft. Das Abitur ist in der Tasche. Und zwar ein vollwertiges, keine Corona-Abi-light-Version. „Das war uns sehr wichtig. Der Jahrgang soll später nicht benachteiligt werden“, sagt Ralf Goldschmidt. Aber was machen die jungen Erwachsenen jetzt? Wie meistern sie den Übergang während der Pandemie? Und wie fühlt sich so ein Corona-Abschluss an?
Joline Wimmer (19) hatte sich auf einen gebührenden Abschluss der Schulzeit gefreut, samt großer Abi-Party und toller Zeugnisübergabe. Aber vor allem die Studienfahrt nach Italien hatte für sie einen besonderen Reiz. Als klar war, dass daraus nichts wird, war sie ziemlich enttäuscht. „Ich finde, wir haben das Beste daraus gemacht“, sagt Hannah Julius (20). Nach allen Strapazen gab’s erst die Zeugnisübergabe im Autokino-Style im Hemeraner Sauerlandpark und später eine kleine Abschlussfeier ohne Eltern. „Wir durften nur mit der Stufe feiern und haben alles innerhalb eines Monats organisiert“, sagt sie. Per WhatsApp gar nicht so einfach. Wenigstens etwas. Kein klangloser Abschied. Aber natürlich stressig – denn außer der Organisation mussten natürlich auf die Schnelle bei teils noch geschlossenen Geschäften Kleider und Anzüge her. Gar nichts einfach. „Ich habe mein Kleid einfach spontan gekauft“, sagt Hannah Julius.
Kräftezehrende Aufgaben lösen
Hannah Julius hat sich während des Lockdowns auch oft einsam gefühlt, die sozialen Kontakte fehlten einfach. „Ich wäre gerne wieder in die Schule gegangen“, sagt sie. Ihre Freundinnen Joline Wimmer und Lilli Heumann (20) lachen. Dass eine von ihnen mal so etwas sagen würde, hätte keine gedacht. Und auch, dass jede von ihnen das Abitur macht, hätten sie nicht gedacht. Denn möglich war es theoretisch nur für Joline – sie ist die einzige des Jahrgangs, die eine Empfehlung für das Gymnasium hatte. „Die Kollegen in den Grundschulen geben sich Mühe“, sagt Ralf Goldschmidt. Aber Menschen würden sich entwickeln und Türen oft schon viel zu früh zugeschlagen. Die Gesamtschule eröffnet ihnen alle Möglichkeiten, getreu dem Motto: Alles kann, nichts muss. „Der Blick muss sich weiten.“
Lilli Heumann hat sich irgendwann mit der speziellen Situation arrangiert: „Anfangs war es relativ schwierig...aber es hat sich mit der Zeit eingespielt.“ Als erster Abi-Jahrgang wäre sowieso alles neu und aufregend für alle gewesen, auch für die Schulleitung und die Lehrer. Dazu kam dann auch noch Corona. Das weiß auch Schulleiter Ralf Goldschmidt. Er gibt zu: „Am Tag nach der Zeugnisvergabe war ich fertig. Das sage ich ganz ehrlich.“ Alles war neu, rasante Entwicklungen, immer neue Vorgaben, keine klaren Regeln vom Ministerium, die Digitalisierung plötzlich hochfahren und das Abitur vorbereiten: kräftezehrend. „Wir hatten die Schweißperlen auf der Stirn in der ersten Coronazeit. Die Schüler mussten schlagartig lernen, eigenständig zu lernen. Es gab keinen Vorlauf, wir wurden da einfach reingeschmissen und plötzlich war die Schule zu.“
Ein findiger Kollege habe dann in Eigenregie eine Plattform auf der Homepage der Schule aus dem Boden gestampft, über die die Kinder Materialien bekommen konnten. Und auch da kam es zu Problemen: Wie korrigiert ein Lehrer alle Aufgaben von jedem Schüler aus zig Klassen? „Da braucht der Tag mehr as 24 Stunden“, sagt Goldschmidt. Deshalb kamen dann auch die Lösungen ins Portal – was natürlich noch mehr Disziplin von den Schülerinnen und Schülern forderte.
Digitalisierung vorangetrieben
Aber: Die Digitalisierung sei durch Corona schneller vorangeschritten, als sie es ohne Pandemie wäre. Da ist sich der Schulleiter sicher. Irgendwann hat die Schule eigenmächtig entschieden, über das Programm Teams zu arbeiten, um den Unterricht digital fortführen zu können. „Wir mussten ja irgendwas machen. Und von oben gab es keine Hilfe.“ Man sei quasi „mit einer Peitsche getrieben“ worden. Umso mehr freuen sich alle Beteiligten, dass alles so gut geklappt hat.
Eine Erinnerung für die Ewigkeit
Besonders großzügig zeigt sich die Stufe: Da die große Abschlussparty wegen Corona nicht stattfinden konnte, ist noch Geld in der Abikasse. Mit dem Verkaufserlös der Abizeitung konnte ein Überschuss von 1300 Euro erwirtschaftet werden.
Das Geld spenden sie nun der Schule. Damit sollen etwa 13 Bänke für den Schulhof gebaut werden. Das entspricht der Anzahl an Schuljahren, die die Stufe hinter sich gebracht hat.
„Wir wollen dann auch Schilder anbringen“, sagt der Schulleiter, als Erinnerung an die Spende und den ersten Abschluss-Jahrgang der jungen Schule.
Und jetzt? Die drei jungen Frauen machen alle ein freiwilliges soziales Jahr, jede möchte danach studieren. Denn das ist mit ihrem Abitur jetzt möglich. Alle Türen stehen offen. Lilli will Sonderpädagogik studieren. Deshalb arbeitet sie aktuell freiwillig in einer Sonderschule. „Ich gehe meinen Weg und finde die Arbeit mit den Kindern toll.“ Ralf Goldschmidt hakt ein: „Das sind Spezialisten“, sagt er stolz. Lilli werde mit dieser Qualifikation jederzeit einen tollen Job finden. Hannah macht ihr soziales Jahr in einer Wohngruppe der Ev. Jugendhilfe und möchte später Frühpädagogik studieren. Und Joline? Sie hat den Traum von Italien noch nicht aufgegeben: Sie hat ein Stipendium von der Deutschen Unesco bekommen und möchte sechs Monate in einer Schule in Rom verbringen. Dort hilft sie unter anderem beim Deutschunterricht. Anschließend möchte sie Lehramt studieren. Alle wünschen sich, dass die Gesamtschule in Menden auch von außen akzeptiert und schätzen gelernt wird.
Es gibt einen Abend der offenen Tür an der Gesamtschule am 3. Dezember. Dort können sich Viertklässler über die Schule informieren. Im Anschluss will die Abiturientia noch einmal gemeinsam feiern – mit Glühwein und Keksen zu Last Christmas.