Menden. Der Mendener Apotheker Dr. Horst-Lothar Müller erklärt, warum es seit langer Zeit zu Lieferengpässen bei Medikamenten kommt.
Seit vielen Jahren gibt es Lieferengpässe bei Arzneimitteln. Auch, wenn es „deutlich besser geworden ist“, sei es nicht so, dass es gänzlich vorbei sei mit den Lieferschwierigkeiten, erklärt der Mendener Apotheker Dr. Horst-Lothar Müller. Zwar gibt es trotz der Corona-Pandemie seit dem vergangenen Jahr etwas Entspannung, eine endgültige Lösung des Problems jedoch sei laut Deutschem Apothekerverband (DAV) derzeit nicht in Sicht. Müller betont zudem, dass es durch die Verschärfung der Corona-Krise in Indien künftig zu noch mehr Engpässen bei der Lieferung von Medikamenten kommen könnte.
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„Wir gucken alle im Moment enorm auf die Entwicklung in Indien“, sagt der Mendener Apotheker. Doch die endgültigen Auswirkungen würden sich erst einige Wochen später zeigen. Dennoch gibt es auch Besserungen in Bezug auf die Lieferengpässe: Insbesondere durch die Corona-Pandemie habe sich das Problem etwas entschärft, erklärt Dr. Till Ossenkop, Vorsitzender der Bezirksgruppe Märkischer Kreis Nord im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL): „Seit April 2020 sind uns wegen der Corona-Pandemie vom Gesetzgeber einige Erleichterungen bei der Auswahl von Ersatzmedikamenten zugestanden worden.“ Nun könne man die Patienten schneller mit Austauschpräparaten versorgen. „Die sogenannte SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung gibt den Apotheken mehr Flexibilität im Falle von Lieferengpässen“, berichtet auch Dr. Klaus Michels, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe.
Zusätzliche Herausforderungen
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Diese Flexibilität bei der Auswahl von Austauschpräparaten habe im Übrigen nicht zu einer Kostensteigerung geführt. Horst-Lothar Müller stimmt dem zu. Es gebe mehr Auswahlmöglichkeiten, die gleichzeitig weniger kostenintensiv sind. Laut dem Apothekerverband hat die Umsetzung der Rabattverträge mit Arzneimittelherstellern durch Apotheken den Krankenkassen im Corona-Jahr 2020 einen neuen Rekord bei den Einsparungen eingebracht. Mit 4,966 Milliarden Euro liegen die Minderausgaben nur minimal über denen des Vorjahres (2019: 4,965 Mrd. Euro). Daher fordert der Vorstandsvorsitzende des AVWL, dass Apotheken künftig auch unabhängig von der Pandemie die Freiheit beibehalten dürfen, Ersatzmedikamente auszuwählen. „Lieferengpässe waren schon vor Corona da, und es wird sie auch danach geben. In den Apotheken betreiben wir jeden Tag einen großen personellen und logistischen Aufwand, um Patienten mit gleichwertigen Austauschpräparaten zu versorgen, wenn ein bestimmtes Medikament eines Herstellers nicht lieferbar ist“, sagt Dr. Till Ossenkop. Seit Beginn der Corona-Pandemie vor mehr als einem Jahr sei das besonders herausfordernd. Denn zusätzlich müssen nun Arztpraxen mit dem Impfstoff gegen Covid-19 versorgt werden, zudem bieten viele Apotheken die Durchführung von Schnelltests an.
Abhängig vom Ausland
Der Ursprung des ganzen Problems liegt in der Verlagerung der Produktionsfirmen ins Ausland, erklärt Dr. Horst-Lothar Müller. Dadurch komme es zwar zu keinem Qualitätsmangel, doch die Störanfälligkeit in Bezug auf die Lieferwege ist höher. „Wir sind zu abhängig vom Ausland“, sagt der Mendener Apotheker. Es gebe kaum noch wesentliche Hersteller in Deutschland. So muss laut Müller „nur mal ein Schiff im Sues-Kanal quer stehen“ und schon würde es zu deutlichen Lieferengpässen kommen. Ebenso würden sich massive Probleme abzeichnen, wenn es in den ausländischen Produktionsfirmen zu Schäden durch Brände oder Ähnliches kommt. Daher auch die Befürchtung, dass die massiv hohe und ansteigende Zahl der Corona-Infizierten sowie -Toten in Indien deutliche Auswirkungen auf die Lieferungen von Arzneimitteln haben könnte. Wie fatal die Folgen sein werden, und ob es tatsächlich zu starken Lieferengpässen kommt, ist derzeit noch unklar.
>>>Info: Von den 16,7 Mio. im Jahr 2020 nicht verfügbaren Rabattarzneimitteln lag Candesartan (Blutdrucksenker) mit 2,1 Mio. Packungen vor Metformin (Antidiabetikum) mit 700.000 Packungen, Pantoprazol (Magensäureblocker) mit 700.000 Packungen, Ibuprofen (Schmerzmittel) mit 600.000 Packungen und Metoprolol (Blutdrucksenker) mit 500.000 Packungen. Insgesamt wurden 2020 etwa 643 Millionen Arzneimittel in Deutschland auf Rezept zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgegeben.