Menden. NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart stellt sich Fragen von Mendener Unternehmern, Bänkern und Politikern. Warum die Inzidenz wankt.
Es ist ein langer, aber erkenntnisreicher Mittwochabend: Mendener Bürger, Unternehmer und Politiker diskutieren mit NRW-Wirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart (FDP) die aktuelle Pandemie-Lage – auf Einladung der CDU-Mittelstandsvereinigung MIT in Menden und moderiert von deren Vorsitzendem Peter Maywald. Dabei sieht sich Pinkwart als Vertreter der Landespolitik scharfer Kritik und bohrenden Fragen aus Menden ausgesetzt. Deutlich wird, dass die 7-Tages-Inzidenz als Gradmesser der Pandemie inzwischen ins Wanken kommt. Und: Pinkwart schließt sich einer Forderung von Heiner Schulte als Sprecher der Initiativkreises Mendener Wirtschaft an: Bürger und Unternehmer könnten viel mehr, als ihnen zugetraut werde, und müssten endlich mit an den Tisch. Das will er als Botschaft aus Menden mit an den Kabinettstisch nehmen. Dennoch befürchtet der Landesminister, dass der Weg zunächst wieder in den nächsten Lockdown führt – und kritisiert seinerseits die Kanzlerin dafür, dass sie vor allem auf die Virologen höre.
Die Inzidenz
Dass der Märkische Kreis dabei gerade wieder mit einer 7-Tages-Inzidenz von fast 160 landesweit die Rote Laterne trägt, bereite ihm große Sorge, sagt MK-Landrat Marco Voge in seiner Wortmeldung. Trotzdem sei im Kreis die Nachverfolgung von Kontakten gewährleistet, ausreichende Kapazitäten auf den Intensivstationen und der Impfschutz für die Menschen in den Seniorenheimen ebenfalls.
Pinkwart bestätigt das: Der Inzidenzwert 50 sei vor einem Jahr wegen der damals dann problematischen Nachverfolgbarkeit als Grenzwert für Einschränkungen ausgewählt worden. „Damals wurden die Daten aber noch per Fax übermittelt, heute geht das alles online und viel schneller.“ Das könne noch besser werden dank neuer Apps wie „Luca“, die Online-Schnittstellen zu den Gesundheitsämtern haben. Die 53 Ämter wiederum seien jetzt landesweit vernetzt, um Kontakte auch bei Überschreiten der Landesgrenzen verfolgen zu können.
Die Schnelltests
Wer so viel teste wie der Märkische Kreis, der werde immer auch eine höhere Inzidenz aufweisen, jedoch ohne die gravierenden Folgen des letzten Jahres, als die Lage eine andere gewesen sei, betont Pinkwart. Die Möglichkeiten zu testen müssten jetzt so rasch und so weit wie irgend möglich ausgeweitet werden. Die Tests seien „die Brücke“ zum rettenden Impf-Ufer, das wegen des Versagens der EU bei der Impfstoff-Beschaffung erst im September oder Oktober erreicht werde, sagt Pinkwart. „Da hat ja gar nichts geklappt.“ Wenn es jetzt aber rasch gelänge, die Tests und ihre begrenzte Gültigkeitsdauer verlässlich auf dem Handy nachzuweisen, könne es eine schrittweise Rückkehr in die Normalität vor Corona geben. Ob beim Einkaufen oder dem dann auch wieder möglichen Hotelaufenthalt oder Kneipenbesuch.
Der Einzelhandel
Falk Steidel von der Werbegemeinschaft Menden fragt Pinkwart, wie Geschäftsinhaber angesichts stockender Staatshilfen bis zum Herbst durchhalten sollen. Jörg Kötter, Vorstand der Sparkasse Märkisches Sauerland, ergänzt, dass die aktuelle „Click & Meet“-Regelung aus seiner Sicht nichts anderes als „eine Mitleidstour“ für den stationären Fachhandel sei. Der habe doch mit guten Hygienekonzepten unter Beweis gestellt, dass es auch anders ginge. Zugleich stünden die Supermärkte sperrangelweit offen, die obendrein die Sortimente der Fachhändler im Angebot hätten. „Die Einzelhändler brauchen keine Bazooka vom Staat, die wollen selbst ihr Geld verdienen“, erklärt der Bänker. Man müsse sie nur lassen. Kötters Eindruck: „Es gibt keine Strategie, sondern Notfallentscheidungen mit Kompromissen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Da fehlt mir mittlerweile jede Glaubwürdigkeit.“ An dieser Stelle beschreibt Pinkwart eine Problematik zwischen Bund und Land. Er schätze Kanzlerin Angela Merkel sehr, nicht aber ihre Corona-Strategie, die stark von der „Null-Covid“-Ausrichtung geprägt sei. Dabei würden soziale und wirtschaftliche Belange hintanstehen.
Die Kommunikation
„Dann muss Ministerpräsident Armin Laschet jetzt Profil zeigen und den Strategiewechsel auch gegen die Kanzlerin durchsetzen“, fordert wenig später Heiner Schulte, Sprecher des Initiativkreises Mendener Wirtschaft (IMW). Dass die Politik ihre Fehler in der Kommunikation und der Beschaffung mittlerweile eingestehe, finde er gut. Daraus erwachse jetzt zugleich „die Riesenchance, es anders und wieder besser zu machen“. Dafür stünden auch und gerade die Unternehmen bereit. „Die schaffen es nämlich, ihren Beschäftigten Tests anzubieten, und die haben im letzten Jahr auch Masken beschafft.“
Für den Mendener CDU-Fraktionschef Bernd Haldorn hat die Politik dank einer unehrlichen Kommunikation das Vertrauen vieler Bürger und Gewerbetreibenden bereits verloren. Für „dieses Desaster“ nennt er ein aktuelles Beispiel: „Da ist jetzt gerade ganz groß die Rede vom digitalen Impfausweis. Ich werde erst im Herbst geimpft, da brauche ich kein Experte zu sein. Also werde ich nicht in einen Sommerurlaub fahren können. Warum sagen Sie den Leuten so etwas nicht?“ Statt schonungslos Perspektiven und Szenarien aufzuzeigen, würden ganze Bevölkerungsgruppen in der Kommunikation vollkommen ignoriert: „Was ist denn mit den Studentinnen und Studenten, mit den jungen Leuten, die in der Findungsphase ihres Lebens stecken?“ Für die Jugend gebe es keinerlei Strategie, sagt Haldorn, der auch Vorsitzender des Mendener Jugendhilfeausschusses ist. Der Staat lebe den Umgang mit der Pandemie auch nicht vor: „Ich kann zu Aldi gehen, aber versuchen Sie mal, heute ein Auto anzumelden oder einen sonstigen Behördentermin zu bekommen.“
Hier verweist Pinkwart erneut auf den fehlenden Konsens zwischen Bund und Ländern, auch in NRW gebe es hier eine andere Sichtweise als im Bund. „In unserem Expertenrat in Düsseldorf sitzen nicht nur Virologen, sondern auch Unternehmer, Wirtschaftswissenschaftler, Psychologen und Philosophen. Die haben immer gute, differenzierte Empfehlungen gegeben.“ Nur würden die eben nicht immer umgesetzt.
Astrazeneca
Andreas Pinkwart meint, man hätte mit dem umstrittenen Impfstoff weitermachen sollen. Denn das Risiko, an der Impfung zu erkranken, sei um ein Vielfaches geringer als das einer Covid-Infektion. „Warum lassen wir nicht diejenigen impfen, die das wollen? Die Briten tun das auch. Warum müssen wir in Deutschland immer Notbremsen ziehen?“
Die Luca-App
Vom Landrat auf die App-Lösungen angesprochen, sagt Pinkwart: „Wir müssen es schaffen, die verschiedenen Apps mit der Software der Gesundheitsämter zu verbinden. Da braucht es einen QR-Code.“ Der Minister hält dagegen erkennbar wenig davon, mit Luca alles auf eine Karte zu setzen, wie es jetzt auch in Menden versucht wird: „Da haben viele auch heimische Unternehmen gute Lösungen entwickelt, und plurale Angebote sind immer besser.“ Es komme einzig und allein darauf an, dass die Ämter rasch über Infektionen informiert werden – und dann alle möglichen Kontakte der Betroffenen aus der letzten Zeit mitgeliefert bekommen.
Der Datenschutz
Apps könnten das Handy auch anzeigen lassen, ob das letzte Testergebnis noch gültig ist. „Das“, sagt Pinkwart, „wäre der Weg, diese Tests nicht nur zur Selbstinformation zu machen, sondern zur Rückgewinnung neuer Freiheiten.“ Wilfried Kickermann, Mendener Veranstalter, stimmt dem zu: „Wir brauchen die digitalen Hilfen unbedingt. Und weil wir einen Krieg gegen das Virus führen, müssen wir für eine begrenzte Zeit auch beim Datenschutz pragmatischer werden.“ Das findet Pinkwart wiederum nicht: Man könne das durchaus übereinbringen, auch das gebe die Technik her. So würden die App-Daten komplett verschlüsselt. Nur das Gesundheitsamt könne sie auslesen.