Menden. War es ein Schutzraum für Kanoniere oder der Eiskeller des Schlachthofs? Um den entdeckten Bunker ranken sich Mutmaßungen und Erinnerungen.

Der Schreck war groß, als der Baggerfahrer auf dem ehemaligen Bolzplatz am Hönne-Gymnasium auf die massive Bunkeranlage aus dem zweiten Weltkrieg stieß. „Wir wussten ja nicht, ob da noch Munition liegt“, sagt Bauleiter Jens Beele. Erst als es hier Entwarnung gab, legte die Baggerschaufel weitere Betonwände und -röhren frei. Und während Jens Beele jetzt beim Erweiterungsbau des Hönne-Gymnasiums um Kosten und Termine bangt, sorgt der Fund bei älteren Mendenern für viele Erinnerungen: gute, kuriose und grausige.

Meterdicker Beton: Der Bunker-Eingang am Hönne-Gymnasium hatte einst eine Eisentür. Hier mussten die Kinder bei Fliegeralarm hinein, und die kleine Ruth Skibb hatte jedesmal Angst davor.
Meterdicker Beton: Der Bunker-Eingang am Hönne-Gymnasium hatte einst eine Eisentür. Hier mussten die Kinder bei Fliegeralarm hinein, und die kleine Ruth Skibb hatte jedesmal Angst davor. © Thomas Hagemann

„Bei Fliegeralarm rief unsere Mutter immer: ,Lauft wacker, wacker, wacker!’ Dann mussten wir in den Bunker“, berichtet Ruth Skibb, die damals noch Schulte hieß und kaum fünf Jahre alt war. „Ich hatte immer Angst, da reinzugehen. Da drin war es so dunkel und feucht.“

In den Betonröhren, die zwei schmale Räume verbinden, stehen bis heute Holzbänke, auf denen die Kinder ausharren müssen. „Mal waren es drei Stunden, mal die ganze Nacht, bis die Aufsicht Entwarnung gab“, erzählt Ruth Skibb. Ihr Opa war im Fuhrpark am Schlachthof für die Pferde zuständig, die Familie lebte in einer Betriebswohnung. Unmittelbar am Bunker.

Handgranate verletzt Fünfjährige schwer

Im Frühjahr 1945 geschieht etwas Furchtbares. Ruth soll ihren Bruder vom Spielen nach Hause holen, läuft unter der Freitreppe vor der Turnhalle her, unter der das Warm-Badehaus liegt. Dort können die Mendener gegen kleines Geld Badewannen benutzen. Als Ruth am Ende der Treppe ankommt, sieht sie Jugendliche mit etwas spielen. Das Spielzeug ist – eine scharfe Handgranate. Die explodiert, und als das kleine Mädchen im Vincenz-Krankenhaus wieder zu sich kommt, hat es ein Auge verloren. Die Munition haben Besatzungssoldaten einfach liegenlassen.

Dass die Stadtverwaltung nichts von der Existenz des Bunkers wusste, kann sich Ruth Skibb gar nicht vorstellen. „Das wissen in Menden so viele“, sagt sie. Doch Stadt-Sprecher Johannes Ehrlich verweist auf die Pläne, die für den Schulneubau zu Rate gezogen wurden: „Da ist kein Bunker eingezeichnet.“

Heimatsammler sicher: Das war es der Eiskeller des Schlachthofs

Womöglich hat Heimatsammler Klaus Kimna dafür eine Erklärung. Denn für ihn ist klar, dass dieses Bauwerk zwar als Luftschutzkeller diente, aber nicht als Schutzbunker errichtet worden war: „Das war der Eiskeller des Schlachthofs.“ Belege dafür finden sich laut Kimna in alten Plänen aus dem Baujahr 1933.

Darin beschreibt Oberingenieur Eduard Reif aus Düsseldorf die damals supermoderne „Eis- und Kältemaschine des städt. Schlachthofes in Menden“. Lage und Ausmaße des massiven Unterbaus, der große Maschinen zu tragen hatte, kämen hin. Die Pläne will Kimna der Stadt zeigen, Bauleiter Beele könnte sie gebrauchen: „Wir wissen nicht, wie tief der Bunker ist und wo er endet.“

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Das rasch zu wissen, wäre gut. Am Dienstag soll ein Kettenbagger den Bau mit Hydraulikmeißeln zertrümmern. Beele weist auf den Bagger, der den Bunker ausbuddelte: „Der ist ein Spielzeug dagegen.“

FDP-Kritik an Voruntersuchungen des ISM: „Wie Leitmecke und Rödinghausen“

Kritisch setzt sich die FDP-Fraktion mit jetzt zu erwartenden Verzögerungen und Verteuerungen des Erweiterungsbaus für das Hönne-Gymnasium auseinander.

Die Baustelle habe „gerade erst begonnen und steht schon wieder. Offensichtlich sind ausreichende Voruntersuchungen nicht erfolgt, bei denen ein Bunker aus dem zweiten Weltkrieg vor Beginn der Maßnahme hätte entdeckt werden können“, so die FDP.

In der Leitmecke sei es der überraschend auftretende schlechte Baugrund gewesen, „beim Gut Rödinghausen erlebte man kosten- und zeittreibende Überraschungen, weil man die Bausubstanz nicht ordentlich untersucht hatte und über Jahre ,auf Sicht’ gebaut wurde“. Folgen seien immer erhebliche Baukosten- und Zeitüberschreitungen.

Der für den ISM verantwortliche Erste Beigeordnete Sebastian Arlt habe als Instanz der Steuerung und Kontrolle „offensichtlich in den letzten Jahren nur tatenlos zugeschaut und keine Maßnahmen ergriffen“, um die Missstände zu beseitigen. „Es werden Steuergelder ohne Zusatznutzen verbrannt. Hier besteht Handlungsbedarf, erst recht vorm Hintergrund eines durch die Corona-Folgen künftig stark belasteten Haushaltes. Wann kommt die Einsicht, dass mit Geld der Steuerzahler sorgsam umgegangen werden muss?“

Vor Ort wird noch vermutet, der Bunker könne der Besatzung der nahe stationierten Flugabwehr-Kanone (FlaK) als Schutzraum gedient haben. Aber dafür so ein aufwändiger Bau? Die WP hat 2015 in der Serie „So war es früher“ über den Bunker berichtet, dessen Dach einst Zuschauern als Sporttribüne diente.

ISM-Mitarbeiter erkunden die Betonröhren: Hier standen Holzbänke, auf denen die Kinder bei Fliegeralarm ausharren mussten.
ISM-Mitarbeiter erkunden die Betonröhren: Hier standen Holzbänke, auf denen die Kinder bei Fliegeralarm ausharren mussten. © Martin Niehage/ISM

Die Turnhalle mit Badehaus, der alte Ascheplatz, die alte Feuerwache, das ist alles längst weg. Die Zufahrt zur Wache verlief genau durch den Sieben-Meter-Raum des Handballplatzes, auf dem auch Menne Oberkampf als C-Jugend-Handballer der Alemannia spielte. „Wenn die Feuerwehr ausrückte, mussten wir unterbrechen.“

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Der Aufruf der Stadt an ältere Mitbürger hat Oberkampf an diesem Freitag ebenso herkommen lassen wie die Ex-Walram-Schüler Dr. Matthias Pahlen und Heinz Rüberg. Pahlen soll auf Bitten der Schulleitung den Bauplatz regelmäßig mit einer Drohne aufnehmen. Jetzt zeigen seine Bilder die seltsam anmutende Kubatur des Gebäudes, an dem so viel Erinnerung hängt. „Wir wollten da als Kinder immer rein, aber das war dicht“, lacht Oberkampf. Und alle hier wissen: Unterm Parkplatz des Schuhladens am Bahnhof, unterm Galbuschkreuz und anderswo liegen in Menden noch weitere Bunker.

Ein Drohnen-Foto von Dr. Matthias Pahlen, oben im Bild die Walramstraße. Zu erkennen ist die seltsame Kubatur des Gebäudes, das laut Heimatsammler Klaus Kimna der Eiskeller des Schlachthofes war.
Ein Drohnen-Foto von Dr. Matthias Pahlen, oben im Bild die Walramstraße. Zu erkennen ist die seltsame Kubatur des Gebäudes, das laut Heimatsammler Klaus Kimna der Eiskeller des Schlachthofes war. © privat