Menden. Der Überfall auf ein Rentner-Ehepaar im November 2016 hat Menden geschockt. Der mutmaßliche Täter war europaweit aktiv – eine Rekonstruktion.
Der Mann, der Ende 2016 ein Rentner-Ehepaar brutal überfallen hat und am Landgericht Arnsberg inzwischen zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt worden ist, könnte nach seiner Haft den belgischen Ermittlungsbehörden überstellt oder gar in sein Heimatland abgeschoben werden – sofern das Urteil rechtskräftig wird.
Die Szenarien
„Grundsätzlich erfolgt eine Auslieferung, wenn eine Strafe verbüßt ist“, erklärt Thomas Poggel, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Arnsberg. Es gebe aber auch die Möglichkeit, sofern das Urteil des Landgerichts rechtskräftig wird, den 36-Jährigen an die belgischen Behörden zwecks eines Gerichtsverfahren zu überstellen. Und nach Abschluss des Verfahrens dort wieder an Deutschland rückzuüberstellen, damit das rechtskräftige Urteil hier vollstreckt werden kann. Eine Art Ping-Pong-Spiel der Ermittlungsbehörden.
Deutschland stellte 1484 Ersuche an andere Länder
Das Bundesjustizministerium bringt regelmäßig eine Auslieferungsstatistik heraus. Sie reicht zurück bis ins Jahr 2003. Dort sind Aus- und Einlieferungsersuchen der Bundesrepublik – auch nach Straftaten – gelistet. Die jüngste Statistik (Stand, Januar 2019) umfasst dabei das Jahr 2017.
Insgesamt ergingen 1813 Auslieferungsanträge im Jahr 2017.
Rund 27 Prozent (496 Anfragen) der Auslieferungsersuchen kommen dabei aus dem Nachbarland Polen. Bei 370 Personen wurden demnach Strafvollstreckungsgründe für eine Überstellung angeführt.
Die meisten Auslieferungen an das Nachbarland (182) ergingen aufgrund von Diebstahls- und Sachbeschädigungsdelikten.
1484 Mal hat Deutschland selbst einen Auslieferungsantrag an andere Staaten gestellt.
Die dritte – wenngleich unwahrscheinlichste – Möglichkeit ist eine Überstellung an das Heimatland, damit die Strafe dort vollstreckt werden kann.
Das Ersuchen
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Bei der Generalstaatsanwaltschaft Hamm liegt ein entsprechendes Auslieferungsersuchen der belgischen Ermittlungsbehörden gegen den 36-jährigen Serben vor. Das bestätigt Oberstaatsanwalt Tim Engel auf WP-Anfrage. Engel beschreibt die Überstellung nach Belgien nach der – zumindest teilweisen – Verbüßung der Strafe in Deutschland als derzeit realistischstes Szenario. Eine vorübergehende Auslieferung, „um den Fall in Belgien zeitnah zu bearbeiten“, sei allerdings ebenso möglich. Das Oberlandesgericht Hamm hat bereits am 29. Oktober 2018 eine Auslieferung zu Verfahrenszwecken als grundsätzlich zulässig beurteilt.
Der Schusswechsel
Hintergrund ist eine blutige Auseinandersetzung auf den Straßen Antwerpens. In der Nacht vom 2. auf den 3. Mai 2018 ist sechsmal auf eine Person geschossen worden. Das Opfer erlitt lebensgefährliche Schusswunden im Bauchbereich und Gesicht, überlebte schwer verletzt. Die belgischen Behörden ermitteln wegen versuchten Mordes. Denn das Opfer beschuldigte den mutmaßlichen Räuber aus der Thüringenstraße noch im Krankenhaus, auf ihn geschossen zu haben.
Ein europäischer Haftbefehl erging demnach einen Monat später, am 4. Juni 2018 – kurz nachdem der Serbe am 28. Mai an der deutsch-niederländischen Grenze gefasst wurde. Der Hintergrund der Auseinandersetzung ist indes unklar, das Opfer soll allerdings ebenso unter falschen Personalien bekannt und mit dem Milieu vertraut sein, wie der 36-jährige Belgrader. Handykontakte würden zudem auf einen Kontakt zwischen Opfer und Täter hindeuten. Zu der Tat habe sich der Serbe bislang nicht geäußert, wie Tim Engel sagt.
Die Ermittlungen
Wie der mutmaßliche Räuber aus der Thüringenstraße überhaupt erwischt wurde, lassen die Ermittler derweil offen. Eine Überprüfung seiner Personalien habe am 28. Mai schnell zu Treffern in der Datenbank geführt, wie der Leiter der Hagener Ermittlungskommission im Prozess aussagte.
Welche Daten dies im einzelnen sind, beantwortet die Bundespolizei nur vage. „Die Auskunft steht allein dem Betroffenen zu, die er, bezogen auf den Zuständigkeits- / Verantwortungsbereich der Bundespolizei, beim Datenschutzbeauftragten des Bundespolizeipräsidiums erfragen müsste“, sagt Jens Flören, Pressesprecher der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin, auf WP-Anfrage.
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Generell bleibe festzustellen, dass die Bundespolizei im Zuge einer Grenzkontrolle die Daten einer Person – vor allem Name, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit – mit dem Fahndungsbestand im polizeilichen Auskunftssystem „INPOL“ abgleicht. „Hier sind u.a. Personenfahndungen, z.B. aufgrund einer Aufenthaltsermittlung oder eines Haftbefehls, auf der Grundlage der Strafprozessordnung hinterlegt“, so Flören.
Die Chronologie der Verbrechen
Darüber hinaus werden in „INPOL“ auch Fahndungen aus präventiven Gründen gespeichert. Dies könnten Ermittlungsergebnisse oder Mitteilungen anderer Behörden sein, die besagen, dass mit dem Grenzübertritt einer Person eine Gefahr verbunden ist.
Die Auslieferung
Wann genau mit einer Auslieferung zu rechnen ist, kann Oberstaatsanwalt Engel nicht sagen. „Er wird übergeben, wenn der Strafvollstreckung hinreichend Rechnung getragen ist.“ Und hier schließt sich der Kreis. Denn das ist nur möglich, sofern das Urteil des Landgerichts rechtskräftig wird. Eine vorläufige Auslieferung zu Ermittlungszwecken sei „noch nicht Gegenstand des Verfahrens“, so Engel.
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Dr. Klaus Kirchner, der Verteidiger des gebürtigen Belgraders, hat unmittelbar nach dem Urteil im Februar 2019 einen Antrag auf Revision gestellt. Dieser liegt derzeit noch beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe (BGH), wie Daniel Langesberg, Pressesprecher des Landgerichts Arnsberg, bestätigt: „Eine Rechtskraft des Urteils ist im System noch nicht vermerkt.“ Das Vorgehen ist bei landgerichtlichen Urteilen üblich. Mit dem Abschluss eines Revisionsantrags beim BGH in Haftsachen ist in der Regel nach einem halben Jahr zu rechnen.
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