Menden. Die katholische Kirche steckt in einer tiefen Krise. Nicht zuletzt die Kritik Norbert Wohlgemuths macht das deutlich. Nun findet er Fürsprecher.

Der Rücktritt von Pfarrer Norbert Wohlgemuth aus der Nachbarstadt Fröndenberg schlägt weiterhin hohe Wellen. Wohlgemuth kritisierte die katholische Kirche scharf und legte sein Amt als Pfarrer mit sofortiger Wirkung nieder. Der Mendener Franziskus von Boeselager ist Kaplan im Erzbistum Köln. Er kann die Kritik Wohlgemuths in Teilen nachempfinden und erzählt im Interview, wie die katholische Kirche das Ruder noch herumreißen kann.

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Norbert Wohlgemuth hat er scharfe Kritik an der katholischen Kirche geübt: das Zölibat ist überholt, Strukturen eingefahren, man ist nicht mehr nah am Menschen dran. Wie bewerten Sie diese Kritik?

Franziskus von Boeselager: Tatsächlich kenne ich den Fall nicht, deswegen kann ich die einzelnen Aussagen nicht von ihrer Argumentation her nachvollziehen. Letztendlich ist auch die Frage: Was ist die Konsequenz für mich? Lege ich meinen Dienst nieder und höre auf, oder sage ich: jetzt erst recht. Es ist auch ein Unterschied, ob jemand nur sein Amt als Bundeskanzler niederlegt oder ganz als Politiker aufhört. Ansich habe ich aber Verständnis für seinen Schritt, weil ich sehe, wie die Priester in Verwaltungsaufgaben untergehen. Dass die Kirche nicht nahe genug am Menschen ist und die Strukturen verkrustet sind, das teile ich. Auf jeden Fall befindet sich die Kirche im Absturz. Es ist notwendig, neue – oder aber auch alte – Wege wieder zu finden.

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Mit Ihrer Ansicht sind sie ganz nah an denen Wohlgemuths. Woran machen Sie das genau fest?

Am Glaubensverlust. Welcher Christ glaubt noch, dass Jesus Christus sein Erlöser ist? Ich glaube, dass viele Christen ihre Beziehung zu Jesus Christus und die Geheimnisse neu entdeckten dürfen, um daraus einen Sinn für unser Leben zu finden. Und daraus dann die Kirche erneuern.

A propos erneuern: Die Kirche entfernt sich immer weiter vom Lebensmittelpunkt der Gesellschaft, gibt es auch Gegenbeispiele, wo die Kirche ganz nah dran ist und Veränderungen greifen?

Na klar. Zum einen im Bereich der Caritas gibt es sehr viele kirchliche Werke, wo Glaubenszeugen an der Basis leben, was Jesus uns mitgegeben hat. Nicht nur aus sozialen Motiven, sondern aus dem Glauben heraus. Dann ist die Kirche ja auch sonst noch präsent in der Gesellschaft: in Schulen, Krankenhäusern, allein in ihren Bauwerken, den Kirchengebäuden, die für den Glauben Zeugnis geben. Aber natürlich ist es notwendig, mehr rauszugehen auf die Straße, und nicht zu warten, dass die Leute zum Altbewährten kommen. Von der Volkskirche müssen wir uns verabschieden.

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Könnte es in Zeiten der Digitalisierung auch Möglichkeiten geben, das Ganze online breiter aufzustellen?

Auf jeden Fall. Da gibt es schon gute Beispiele in der Jugendpastoralarbeit, eben dass es Youtube-Kanäle gibt, über Instagram kann man Dinge verfolgen. Jugendliche machen kurze Videoclips, in denen sie Kernaspekte des Glaubens vermitteln. Das ist auf jeden Fall ein Feld, auf dem wir noch ordentlich zulegen müssen. Aber auch Internetportale, auf denen man eingeben kann: Heute möchte ich im Umkreis von 50 Kilometern ein Taizé-Gebet besuchen, wo kann ich das tun? Das ist eine Ebene, die digitale Welt. Aber ich glaube auch, dass der persönliche Bezug nach wie vor eine Stärke der Kirche ist. Das ist der Trumpf: bei den Menschen zu sein, sie zu besuchen, zuhause, in den Cafés und Kneipen, und den Dialog sucht, weil das in der digitalen Welt immer mehr verloren geht. Wir sind eine inkarnatorische Glaubensgemeinschaft, d.h. Jesus Christus ist Mensch geworden. Der Mensch ist das Mittel, durch das Gott zu uns Menschen gekommen ist.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat zuletzt beim Thema Kirchenaustritte Alarm geschlagen. Ist das ein Weckruf oder wird eine Wende verschlafen, um junge Menschen wieder für das Thema Kirche oder Glauben zu begeistern?

Ich würde die Entwicklung nicht an der Entwicklung der Kirchenaustritte festmachen, sondern an der Anzahl der Menschen, die glauben. Es gibt viele gläubige Menschen, die nicht in der Kirche sind. Es gibt zum Beispiel wachsende freikirchliche Bewegungen, wo der christliche Glaube weitergetragen wird. Die Kirchensteuer, die mit den Austritten verbunden ist, ist eher ein Mittel, um den Apparat finanziell am Leben zu erhalten. Das geht für mich aber parallel zur Glaubensentwicklung. Es mögen sicher weiter Menschen aus der Kirche austreten, trotzdem kann es sein, dass der Glaube – aus anderen Gründen – wieder zunimmt.

Welchen Teil tragen denn größere Organisationsformen wie der pastorale Raum zum Problem bei? Also immer größere Gebiete mit weniger Priestern.

Wir sind in Deutschland gewohnt, dass die Hauptamtlichen den Laden am Laufen halten. Wir sind es nicht gewohnt, dass jeder Christ auf seine je eigene, aus der Taufe heraus geschenkten, Weise Kirche gestaltet. Wir sind in einem kulturellen Prozess, wo wir viel zu schnell dieses Taufbewusstsein und die Beförderung der Gaben vorantreiben müssen, damit auch ohne Priester oder pastorale Mitarbeiter die Kirche vor Ort lebendig gehalten werden kann. Da befinden wir uns derzeit in einem zeitlichen Notstand. In anderen Ecken der Welt ist es selbstverständlich, dass der Pfarrer einmal im Monat vorbei kommt und der Rest läuft in der Gemeinde durch die Gemeinde.

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Kirchliche Verbände oder nahe stehende Organisationen wie die Caritas haben sich – genau wie die Kirche selbst – die Nächstenliebe auf die Fahne geschrieben. Wie gelingt das denn auch abseits der Pflege im Alter oder häuslicher Versorgung im ganz normalen Gemeindeleben?

Sehr unterschiedlich. Es gibt Gemeinden, da ist die Caritas sehr stark. Dort werden Leute versorgt oder kommen zusammen, beispielsweise ein Obdachlosenfrühstück. In unserer Kölner Gemeinde haben wir eine Essensausgabe, zu der einmal pro Woche bedürftige Menschen kommen. Es gibt sehr viele Angebote, die noch laufen. Aber eben noch, weil die Zahl der Ehrenamtlichen sinkt und die Aktiven immer älter werden. Die Menschen engagieren sich lieber in Projekten ohne langfristige Bindung. Die Kirche hat da Not, die Helfer zu halten.

Also helfen auf dem kurzen Dienstweg ist im Trend.

Das kann man so sagen. Es ist ja allgemein so, dass sich Menschen nicht langfristig binden und engagieren wollen. Da muss die Kirche schauen – und das tut sie auch schon: wie kann das Ehrenamt angepasst werden und wie können wir die Leute gewinnen? Es gibt Ehrenamtsentwickler in den Bistümern, die sich mit dem Thema beschäftigen.

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